Was als kleine aktivistische Gruppe begann, ist heute der weltweit größte Umweltschutzkonzern, der mehrere Millionen Euro pro Jahr einnimmt. Seit einem halben Jahrhundert macht Greenpeace mit zum Teil umstrittenen, aber stets öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf den Klimawandel aufmerksam und wettert gegen Walfänger oder die Atomindustrie.

An der Gründung der NGO am 15. September 1971 in Vancouver waren sowohl Rex Weyler als auch Bill Darnell maßgeblich beteiligt, heute sind sie nicht mehr dabei und überlassen die Aktionen den Jungen. Vor 50 Jahren aber dokumentierte Weyler damals noch als Kampagnenfotograf eine Handvoll Aktivisten und Aktivistinnen, die Atombombentests der US-amerikanischen Regierung vor der Küste Alaskas verhindern wollten. Darnell soll sogar maßgeblich für den Namen der neuen Organisation mitverantwortlich sein. Der STANDARD erreichte die beiden in Kanada leben Mitbegründer anlässlich des Jubiläums per E-Mail.

STANDARD: Das Wort Greenpeace ist ein Kofferwort aus "grünem Frieden", die Bewegung Resultat von Friedens- und Ökologiebewegungen. Wie wichtig ist eine gesunde Umwelt für eine friedliche Welt?

Weyler: Ökologie ist ein fundamentaler Wert, eine Notwendigkeit für alles Leben auf der Erde. Wir können leben, weil die Erde die Energie der Sonne in Biomasse umwandelt. Und die Diversität unseres Ökosystems kreiert eine Vielzahl an lebensnotwendigen Services für uns: Sauerstoff, Nahrung, Wasseraufbereitung und so weiter. Genau deshalb ist auch die Zerstörung dieses fragilen Ökosystems ein Haupttreiber von Konflikten und Krieg. Der Schutz dieses Ökosystems ist aber nicht nur wichtig für ein friedvolles Miteinander, sondern für jede menschliche Aktivität.

Darnell: Zudem sind Krieg und Militär ein großer Grund für Umweltschäden. Wenn die Umwelt aber nicht gesund ist, drängt es die Menschen in Konflikte und Krieg. Deshalb braucht es Greenpeace, grünen Frieden. Das Wort sagt eh schon alles aus.

Waghalsige Stunts gehören bei Greenpeace dazu.
Foto: Daniel Beltrá / Greenpeace

STANDARD: Was ist der nachhaltigste Erfolg von 50 Jahren Greenpeace?

Weyler: Den größten Erfolg sehe ich darin, Ökologie in den politischen und populären Diskurs gebracht zu haben. Klar kümmerten sich auch schon vor tausenden Jahren taoistische oder buddhistische Traditionen sowie indigene Völker um die Erde. In der modernen Welt musste es aber erst ankommen, und nun gilt es, Ökologie zu leben, umzusetzen und die notwendigen Veränderungen in der Gesellschaft einzuleiten.

Darnell: Es ist unmöglich, einen Erfolg herauszupicken, es wurde so viel erreicht. Dass es Greenpeace aber heute noch schafft, junge und alte Menschen für die Konservierung des Lebens auf der Erde zu begeistern, ist wohl der größte Erfolg.

STANDARD: Und worin liegt das größte Versäumnis?

Darnell: Wir haben anfangs unterschätzt, wie wichtig Gerechtigkeit ist, um alles Leben auf der Welt zu erhalten.

Weyler: Wir alle sind menschlich und beschränkt in unserem Verständnis, unseren Möglichkeiten und unserer Fähigkeit, Veränderungen zu durchleben. Das gilt auch für die Leute bei Greenpeace, und Greenpeace ist klein im Vergleich zur Größe der Probleme, die vor uns liegen. Wir haben es noch nicht geschafft, eine tatsächlich nachhaltige Kultur zu werden. Ganz abgesehen vom Kohlendioxid kippen wir Gift in unsere Ökosysteme, breiten uns überall aus und drängen die Biodiversität zurück. Es ist noch ein langer Weg, bis wir eine ökologische Gesellschaft sind.

STANDARD: Die junge Generation, die Fridays-for-Future-Bewegung (FFF), ist enttäuscht von mangelnden Erfolgen und Bestrebungen der vergangenen Generationen in Bezug auf die Klimakrise. Verstehen Sie deren Frustration?

Weyler: Ich habe eng mit ihnen zusammengearbeitet, und natürlich verstehe ich ihre Frustration. Wir sehen, dass wir auf dieselben Widerstände wie die Reformer vor uns treffen. Kultureller Wandel ist nicht leicht und geschieht selten in einer Lebenszeit, und ja, es kann extrem frustrieren. Die große Aufgabe ist es, sich dieser frustrierenden Realität zu stellen und weiterzuarbeiten.

Darnell: Auch ich bin über den mangelnden Fortschritt der vergangenen 30 Jahre frustriert. Aufgeben ist aber keine Option.

STANDARD: Kann die oftmals als starre, bürokratische NGO Greenpeace etwas von jungen dynamischen Bewegungen wie Fridays for Future lernen, die viel über soziale Medien machen?

Weyler: Natürlich. Es gibt immer etwas zu lernen von den Jungen. Aber auch Greenpeace war mal jung, neu, arm und ohne Büros. Wir waren den heutigen FFF sehr ähnlich. Wir hatten anfangs nie Geld. Als die Idee aber wuchs, weltweit Büros eröffneten und Geld reinkam, musste dieses Netzwerk organisiert werden. Um mit Regierungen und Unternehmen in Austausch zu treten, mussten wir uns bürokratisieren, ansonsten kannst du keinen globalen Kampagnen organisieren. Junge Gruppen wie FFF oder Extinction Rebellion müssen diese Herausforderung meistern. Greenpeace ist nur eine Organisation, und eine allein ist nicht genug, um diese Krise zu meistern.

Je größer das Unternehmen, desto größer scheint oft der Ansporn der Aktivisten, ihre Message anzubringen.
Foto: Peter Thompson / Greenpeace

STANDARD: Herr Weyler, Sie haben vorgeschlagen, dass Umweltschützer die Klimakonferenzen boykottieren sollten. Warum?

Weyler: Diese Klimakonferenzen haben nichts erreicht. Noch schlimmer: Sie haben den Eindruck hinterlassen, dass etwas getan wird, wenn effektiv nichts geschieht. Wir hatten 33 internationale Konferenzen in 40 Jahren, und jedes Jahr steigt der CO2-Ausstoß. Diese Konferenzen sind politisch, dienen der Politik und der Beibehaltung des Status quo. Gebt diesen Meetings keine Legitimität, boykottiert die Klimakonferenzen, und lenkt eure Aufmerksamkeit auf direkte Aktionen!

Darnell: Ich bin da anderer Meinung. Obwohl die UN-Konferenzen ineffektiv waren, müssen wir Druck auf nationale Regierungen ausüben, um umgehende Effekte zu sehen.

STANDARD: Verstehen wir das volle Ausmaß der Klimakrise?

Darnell: Wer sind "wir"? Die Wissenschaft ist klar. Jene von uns, die in umwelt- und sozialpolitischen Bewegungen arbeiten, wissen auch Bescheid. Viele sind aber immer noch verunsichert, weil eine kleine Gruppe an Menschen Desinformationen streut.

Weyler: Wir machen große Fehler, indem wir den Status quo erhalten wollen und gleichzeitig oberflächliche und symbolische Handlungen setzen. Wir sind in einem ökologischen "Overshoot". Wir schießen über das Ziel hinaus. Wir holen zu viele Ressourcen aus der Erde heraus und konsumieren zu viel. Wir blenden uns selbst, indem wir glauben, dass wir das mit E-Autos, Klimakonferenzen und sogenannten "grünen" Produkten lösen können.

STANDARD: Was meinen Sie mit "Overshoot"?

Weyler: Wir sehen das in Gärten, wo Sträucher zum Nachbar rüberwachsen, oder Algen, die einen See kippen lassen und zum Sumpf werden lassen. Auch Heuschrecken fressen zu viel ihres Futters auf. Overshoot kommt überall in der Natur vor, aber nur eine natürliche Schrumpfung ist ein möglicher Ausweg. Alle Spezies, die die Kapazität ihres Habitats überschreiten, müssen wieder schrumpfen. Wir müssen dieser Wahrheit ins Auge sehen, dem frivolen Konsumverhalten ein Ende setzen, toxischen Abfall aus unserer Industrie beseitigen, unsere auf Wachstum und Profit ausgelegte, antiökologische Wirtschaftsweise reformieren, das Bevölkerungswachstum bremsen und womöglich umkehren und die unangemessene Macht großer Unternehmen, die auf Kosten von Menschenrechten und ökologischer Integrität geht, limitieren.

STANDARD: Sie waren bei der ersten Greenpeace-Aktion dabei, die Nuklearwaffentests unterbinden sollte. In den Jahren danach versenkten noch jahrelang zahlreiche Staaten Atommüll in den Meeren. Eure Haltung zu Atomenergie ist bekannt. Was aber sollten wir mit dem Atommüll machen, den wir bislang schon ansammelten?

Weyler: Wir haben dieses Problem noch nicht in den Griff bekommen. Das beschreibt unser ökologisches Dilemma ganz gut. Die Regierungen müssen noch Milliarden investieren, um Wege zu finden, diesen toxischen Müll von uns und den Ökosystemen zu isolieren. Vielleicht sollten wir die rund zwei Billionen US-Dollar, die die Welt für das Militär jährlich ausgibt, anders einsetzen und dieses Geld nutzen, um unser ökologisches Dilemma des Atommülls lösen, CO2 zu reduzieren, wilde Naturflächen zu heilen und unsere Biodiversität zu stärken.

Darnell: Wir müssen zunächst einmal aufhören, weiteren Müll zu produzieren. Den Müll loszuwerden muss eine unserer Top-Prioritäten werden. Wir haben die Mittel und das Know-how, das zu schaffen.

STANDARD: Was sagen Sie jenen, die sagen, dass Greenpeace eh schon genug Geld bekommt?

Weyler: Greenpeace geht es darum, Resultate für den Frieden, die Ökologie und den Anstand zu erreichen. Es sammelt dafür Geld wie andere Organisationen und Regierungen auch. Das Geld ist aber verschwindend gering im Vergleich zu dem, was für Militär, Krieg oder Gewalt ausgegeben wird. Greenpeace kann aber Herausforderungen und Lösungen an Unternehmen und Regierungen herantragen, deren Budget tausendfach höher ist. Die Spenden an Greenpeace sind nicht das Problem. Die Herausforderung ist unser ökologischer Kollaps, und diesen schickt sich Greenpeace an zu verhindern.

Darnell: Greenpeace geht es meiner Erfahrung nach darum, die richtigen Probleme unserer Zeit anzusprechen. Es geht ihnen nicht um die Anhäufung von Geld. In unserer Gesellschaft können Menschen aber sehr oft vom Geld abgelenkt werden und vergessen dadurch darauf, die Initiative zu ergreifen. (Fabian Sommavilla, 19.9.2021)