Rangersdorf in Oberkärnten: Im Wirtshaus fragen sich die Alten, was in der Corona-Krise in die Jungen gefahren ist.

Foto: Ferdinand Neumüller

Von der Fassade leuchten fröhlich die Geranien, doch dahinter hängt der Haussegen schief. "Keine Ahnung, was in die Jungen gefahren ist", rätselt der ältere Herr, der sich auf einem Bankerl neben der Garage eine anraucht. Damals, nach dem Krieg, seien sie, ohne gefragt zu werden, ganz selbstverständlich gegen alles Mögliche geimpft worden, "doch heute machen s’ so ein Theater".

Der Schwiegervater kenne halt kein Facebook und kein Servus TV, schallt es prompt von der anderen Seite der Einfahrt zurück, "der schaut nur ORF, wo sie nichts berichten". Solange sie vielleicht noch einmal ein Kind wolle, sagt die junge Frau an der Haustür, lasse sie sich das Zeug sicher nicht spritzen: "Jetzt, wo sie uns aussperren wollen, erst recht nicht."

Breiter Widerstand

Wer sich in Rangersdorf umhört, gerät rasch zwischen die Fronten. Kaum anderswo in Österreich ballt sich derart breiter Widerstand gegen die Impfung wie im kärntnerischen Mölltal. Wie aufgefädelt liegen hier drei der impffaulsten Gemeinden des Landes. Erst 39 Prozent der 1700 Einwohner von Rangersdorf haben sich bis dato voll immunisieren lassen. Die im Burgenland beheimateten Spitzenreiter kommen auf den doppelten Wert.

Warum so viele den Stich scheuen? Beim Stadlwirt an der Dorfstraße antwortet so mancher mit einer Gegenfrage. "Für was soll ich mich impfen lassen?", erwidert ein blonder Bursche, der wie einige andere Arbeiter der umliegenden Sägewerke und Baustellen hier sein Mittagsmenü – Frittatensuppe und Leberkäs mit Spiegelei – isst.

Ihm fehle ja nichts, also würde er auch von einer Corona-Erkrankung gesunden. Außerdem sei zu bezweifeln, dass die Impfung wirklich schütze. "Alle, die bei uns krank waren, haben nicht mehr gespürt als bei einer Grippe", sagt der 17-Jährige und schiebt das Gemüse an den Tellerrand: "Aber ich kenn’ einige, denen es nach der Impfung nicht so gutgegangen ist."

Das halbe Dorf gelöscht

An den Wirtshaustischen zeichnet sich rasch ein Muster ab. Unter den Arbeitern ist kaum eine gegenteilige Meinung herauszukitzeln – dafür kommen die ergrauten Häupter eine Stube weiter nicht aus dem Kopfschütteln heraus. Er habe selbst vier Kinder, erzählt ein 76-Jähriger, alle in den 40ern und 50ern, eine Tochter sei sogar eine Studierte.

Doch statt sich impfen zu lassen, versuchten sie ihn mit Beiträgen von Servus TV und ähnlichem Kram – "Schau Papa, wie gefährlich das ist!" – zu bekehren. "Die Gegenpropaganda ist so stark", sagt er, "da beißt du auf Granit."

Einst habe er 800 Facebook-Freunde gehabt, berichtet ein anderer Pensionist draußen vor der Tür. Doch irgendwann seien ihm all die Leute, die ihre Meinung über die Erkenntnisse der Wissenschaft stellten, unerträglich geworden. Es folgte ein radikaler Schnitt: "Ich habe das halbe Dorf gelöscht."

Nicht vor Verschwörungstheorien gefeit

Selbst "Doktoren und Diplomingenieure" seien nicht vor Verschwörungstheorien gefeit, sagt Josef Kerschbaumer, "das können sonst vernünftige Leut’ sein". Der 50-Jährige sollte die Rangersdorfer kennen wie kein Zweiter, schon sein Habitus verrät das Amt: Mit Fleecejacke, Jeans und emporgebürstetem Haarschopf wirkt Kerschbaumer wie ein Prototyp des sanft modernisierten Landbürgermeisters.

Bürgermeister Kerschbaumer erkennt in der Impfskepsis die Früchte blauer Propaganda: "Würde der oberste Chef nicht so schreien, läge unsere Rate bei 70 Prozent oder mehr."
Foto: Ferdinand Neumüller

Der türkise Kuli outet ihn als ÖVP-Mann, aber noch lange nicht als Adepten der Message-Control. Beim Impfen habe die höhere Politik einiges übersehen, sagt er: "Ich kenn nicht einmal eine g’scheite Kampagne."

"Net so guat" stehe im Vergleich auch seine Gemeinde dar, räumt Kerschbaumer ein, was aber nicht am eigenen Einsatz liegen könne. Er werbe nach Kräften, unlängst war am Wochenende sogar der Impfbus da – und dass er selbstverständlich auch geimpft sei, wisse im Dorf jeder.

"Nur eines mache ich sicher nicht mehr", sagt der Ortschef, "mit eingefleischten Impfgegnern diskutiere ich nicht. Da bist nur der Verlierer." Diese aussichtslosen Debatten brächten nichts als böses Blut: "Dafür setze ich keine Beziehungen aufs Spiel. Als Bürgermeister darf ich keine Gräben aufreißen."

Unverwüstlich

Als Hochburg der verbohrten Verweigerer will Kerschbaumer seine Gemeinde dennoch nicht sehen. Das Viertel an Unüberzeugbaren werde es in Wien genauso geben, sagt er, beim Rest spielten besondere Faktoren mit.

Viele hier arbeiteten körperlich hart, fühlten sich folglich unverwüstlich und seien als Pendler nur am Wochenende daheim: Wer fährt da gerne in eine Impfstraße? Außerdem habe das Virus bereits viele Bewohner erwischt, dadurch hätten sie Antikörper aufgebaut: "Die Genesenen warten oft lieber ab."

Wer sich seiner Abwehrkräfte versichern will, klopft ein paar Hundert Meter weiter, vorbei an der mit Holzschindeln gedeckten Pfarrkirche, um einen Termin an. Hell und einladend sieht die Ordination aus. Doch seit wegen Corona Anmeldung Pflicht ist, sei die landarztpraxentypische Gaudi aus dem Wartezimmer verschwunden, erzählt Hausherr Peter Wellik. Und auch aus einem anderen Grund ist mancher Patient enttäuscht.

Schädliche Angstparolen

Liegt kein triftiger Grund vor, führe er keine Antikörpertests mehr durch, erläutert Wellik, "da habe ich die Reißleine gezogen". Stattdessen erkläre er den Patienten, dass es von Person zu Person stark unterschiedlich sei, welche Antikörperkonzentration einen Schutz verspricht: "Die Leute sollen sich impfen lassen."

"Manchmal ist es zum Verzweifeln", erzählt Hausarzt Peter Wellik vom Kampf für die Impfung: "Aber ich bin Arzt und kein Pfarrer. Bei Glaubensfragen bin ich machtlos."
Foto: Ferdinand Neumüller

Auf zehn Prozent der Ortsbevölkerung schätzt er den Anteil der ungeimpften Genesenen, genau wisse er das aber nicht. Mit Hinweis auf den Datenschutz informiert das Land Kärnten weder die Bürgermeister noch Ärzte der Gemeinden über die lokalen Infektionsraten. "Dafür sollen wir aber jeden neuen Fall am besten per unverschlüsselte E-Mail melden", sagt Wellik.

Eine überzeugende Erklärung für das Mölltaler Phänomen bietet dieser Aspekt ohnehin nicht. Auch anderswo in Österreich gibt es viele Genesene, dennoch hält sich die Impf-Aversion in Grenzen. "Manchmal ist es zum Verzweifeln", sagt Wellik, der im Internet schon von Ex-Patienten angegriffen wurde. "Aber ich bin Arzt und nicht Pfarrer. Bei Glaubensfragen bin ich machtlos."

Mixtur an Gründen

Eine Mixtur an Gründen sieht Wellik hinter dem Unwillen, manches deckt sich mit der Einschätzung des Bürgermeisters. In der relativen Abgeschiedenheit der Region falle Esoterik auf besonders fruchtbaren Boden – es sei kein Zufall, dass der Bürgermeister von Spittal/Drau, der nächstgelegenen Kärntner Stadt, nebenbei Energetiker ist.

Die einzigen ihm bekannten Corona-Toten wohnten im Altersheim, weshalb viele heute die Warnungen für überzogen hielten: "Die Angstparolen der Regierung zu Beginn der Pandemie rächen sich."

Vor allem laufen die Erklärungen bei einer lokalen Besonderheit zusammen: Trotz politisch andersfärbiger Bürgermeister genießt die FPÖ in den Gefilden nahe der Osttiroler Grenze traditionell starken Rückhalt. Bei der Nationalratswahl 2017, vor der Ibiza-Krise, landeten die Freiheitlichen in Rangersdorf mit 45,5 Prozent trotz des Hypes um Sebastian Kurz weit vor der Konkurrenz. Dem örtlichen Statthalter wolle er nichts unterstellen, sagt Gemeindevorstand Kerschbaumer: "Aber würde deren oberster Chef nicht so schreien, läge unsere Impfrate bei 70 Prozent oder mehr."

Zerbrochenes Vertrauen

Max Lackner nennt das ein Missverständnis. "Wo, bitte, hat der Herbert Kickl gegen die Impfung agitiert?", fragt der mit kräftiger Stimme und Statur ausgestattete Rangersdorfer FP-Chef und weist auch in eigener Sache jeden Verdacht von sich. Er sei kein Arzt und werde nichts empfehlen, das sei die Entscheidung jedes Einzelnen. Bis zu einem gewissen Grad biete die Impfung sicher Schutz, gerade für Ältere. Aber er verstehe auch, "wenn ein Wuzel wie ich sagt: ,Ich hab’ Corona gehabt und nix gespürt.‘"

"Wir sind keine Aluhutträger, die sich vor dem implantierten Chip fürchten": FPÖ-Mann Lackner hält gebrochenes Vertrauen für die Triebfeder der Impfmuffel.
Foto: Ferdinand Neumüller

Lackners Ausführungen sind nicht nur wegen des ins Osttirolerische lappenden Dialekts herausfordernd. Laut wird es im Dachbüro über seiner Schlosserei, als er sich über bedenkliche Nebenwirkungen, lächerliche Werbung und das Niederbügeln von Kritikern verbreitet.

Die Obrigkeiten hätten so viel Vertrauen zerbrochen, dass die Leute jetzt einfach nicht mehr alles schlucken wollten, sagt Lackner: "Wir sind keine Aluhutträger, die sich vor dem implantierten Chip fürchten. Aber so weit können s’ im Mölltal schon rechnen, um zu merken: Gar so super, wie getan wurde, ist die Impfung nicht."

Womöglich ist ein 90-prozentiger Schutz vor schwerer Erkrankung aber auch nicht ganz schlecht. Ob sich Lackner, wie im Ort gemunkelt wird, nicht selbst hat impfen lassen? Das sei Privatsache und gehe niemanden etwas an, erwidert er: "Es ist so krank! Früher hast ,Grüß Gott‘ gesagt, heute fragt man: ,Bist geimpft?‘"

Handgreiflichkeiten

Nicht nur deshalb sieht der blaue Wortführer das Gefüge im Tal bröckeln. Handgreiflichkeiten seien ebenso Symptom wie jene für die Wirte ruinöse Sitte, die manche im Dorf unverblümt "Garagensaufen" nennen. Es sei bezeichnend, dass der örtliche Adeg gleich neben dem Eingang eine üppige Ladung Schwechater-Dosen postiert hat.

Einen Stock tiefer hat der Chef wenig Einspruch zu erwarten. "Wir haben halt unseren eigenen Kopf", sagt ein 24-jähriger Schlosser, der gerade an einer Metallstiege werkt. In ein paar Jahren lasse er sich vielleicht impfen, "aber der Erste muss ich nicht sein". Wieder folgen Geschichten über harmlose Viruserfahrungen und bedrohliche, unerforschte Nebenwirkungen.

Beim Stadlwirt dreht sich die Debatte ein Stück weiter. Eine Frechheit sei es, wenn die Regierung Ungeimpfte vom Nachtleben aussperren wolle, echauffiert sich ein Arbeiter – und provoziert damit die Wirtin zum Einspruch. Wenn stattdessen alles zusperre, "sind wir, die Geimpften, die Tocker*", schimpft sie und klopft auf den Tisch. Nachsatz im Abgang: "Es ist ein stures Volk." (Gerald John, 18.9.2021)