Frisch renoviert: der Wiener Narrenturm, eine der weltweit ersten Psychiatrien aus dem Jahr 1784. Die Wiener tauften den ungewöhnlichen Rundbau aus der Zeit Josephs II. auf den Namen "Gugelhupf".

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U. a. im Narrenturm zu sehen: eine "Raucherlunge" im Querschnitt.

NHM Wien, Wolfgang Reichmann

Neben der Dritte-Mann-Tour durch die Kanalisation ist er der wahrscheinlich schaurigste Geheimtipp in jedem Wien-Reiseführer: Der sogenannte Narrenturm, eine psychiatrische Anstalt aus dem 18. Jahrhundert, verbindet mit dem darin beheimateten Pathologisch-Anatomischen Museum geistige und körperliche Erkrankungen. Nach Jahrzehnten des baulichen Verfalls wurde das Ensemble jetzt umfassend renoviert. Eine Annäherung in alphabetischer Reihenfolge.

ASTROLOGIE 1784 als eine der ersten psychiatrischen Kliniken weltweit vom Architekten Josef Gerl erbaut, ist der Wiener Narrenturm ein architektonisches Unikum. Außerhalb der Stadtmauer auf dem heutigen Unigelände Altes AKH errichtet, steht der Rundbau für den klassizistischen Stil, aber auch für die Umbruchphase während seiner Entstehung, in der alter Aberglaube und neue Wissenschaftlichkeit Hand in Hand gingen. Der Rundbau sollte Modernität signalisieren, dennoch dürfte man sich auch an Zahlen aus der Astrologie orientiert haben: 28 Zellen pro Stockwerk verweisen wohl auf den Mondmonat von ungefähr 28 Tagen. Man vermutete, dass Geisteskrankheit mit dem Mond zu tun hat, wovon auch der englische Begriff "Lunatics" für "Wahnsinnige" zeugt.

BEHANDLUNG durfte man sich als Patient noch keine wissenschaftlich untermauerte erwarten. Sie erfolgte nach Methoden der antiken Humanpathologie, die versuchte, durch Aderlass, Brech- und Abführmittel die vermeintlich durcheinandergeratenen Körpersäfte wieder in Einklang zu bringen. Neben Zwangseinweisungen gab es auch die Möglichkeit, sich freiwillig in Behandlung zu begeben. Ausgelegt auf 139 Patienten, musste der Narrenturm bald ein Vielfaches davon aufnehmen. Die Patienten kamen aus allen gesellschaftlichen Schichten und mit allen Schweregraden geistiger Erkrankung in die Anstalt.

FORTSCHRITT war oberstes Ziel der Einrichtung. So gab es Freigang für die Patienten und – untypisch für die Zeit – großräumige Zellen mit Fenstern nach außen anstatt in den Innenhof. Dennoch wurden bald auch Zwangsjacken verwendet und Menschen angekettet, zudem entpuppte sich das Gebäude als völlige Fehlplanung: Von den Platzverhältnissen bis zur Kanalisation passte nichts. 1869 wurde die Anstalt endgültig geschlossen.

GUGELHUPF ist jene Bezeichnung, die der Wiener Volksmund dafür fand. Sie galt fortan als Synonym für jede psychiatrische Einrichtung. "Narrenturm" wiederum muss heute als politisch unkorrekt gelten. Umbenennung ist aber keine vorgesehen, die Bezeichnung sollte im Kontext ihrer Zeit betrachtet werden, so die Haltung.

DER STANDARD

HANDWERKER gehörten zu den ersten Zwischenmietern des aufgelassenen Gebäudes, das später auch als Wohnheim für Krankenschwestern diente, die in den Zellen Quartier bezogen. Zum Museum für Pathologie wurde der Narrenturm ab 1971, heute ist er ein Teil des Naturhistorischen Museums.

JOSEPH II., Sohn Maria Theresias und als Reformkaiser mit freimaurerischen Idealen der Aufklärung verschrieben, finanzierte den Bau des Narrenturms aus eigener Tasche. Offenbar stolz auf die Einrichtung, besuchte der Kaiser diese oft und ließ sich sogar einen heute nicht mehr erhaltenen, hölzernen Turm über dem Zentrum des Gebäudes bauen. Was Joseph II. darin getrieben hat, ist nicht überliefert. Die Wiener Bürger sollen sich daraus jedenfalls eine rechte Hetz gemacht und auf die Fassade des Narrenturms geschrieben haben: "Joseph II. – Erster unter Gleichen".

PATHOLOGIE ist die Lehre von den (körperlichen) Krankheiten. Seit 1796 wurde in Wien eine weltweit bedeutende Sammlung an Präparaten körperlicher Erkrankungen angelegt – von der in Alkohol konservierten Raucherlunge bis zum Wachsabguss von Tumoren und Geschlechtskrankheiten. Sie dienten zu Lehr- und Forschungszwecken und werden seit 1971 im Narrenturm ausgestellt.

RENOVIERUNG Sowohl das Gebäude als auch die Sammlung wurden nach Jahrzehnten des Verfalls nun gründlich renoviert und neu aufgestellt. Die Kapitel der Schau, die im Gegensatz zu früher viel wissenschaftlichen Kontext liefert, hat man in die einzelnen Zellen hineinverlegt, die in einem kurzweiligen Rundgang verständlich und anschaulich aufbereitet wurden. Schwer verdauliche Präparate der "sensiblen Sammlung" wurden ins obere Stockwerk verlegt.

SPANNER Nötig wurde die Neuaufstellung auch deswegen, weil sich immer wieder Spanner von der Ausstellung angezogen fühlten, die sich an den Präparaten ergötzten. Voyeure und Schaulustige hatte der Narrenturm seit seiner Errichtung angezogen: So mussten die unteren Stockwerke glatt verfugt werden, damit Fassadenkletterer keinen Halt mehr fanden.

TUBERKULOSE ist beispielsweise eine der Krankheiten, die in einer Zelle der Ausstellung umfassend beleuchtet wird. Spannend ist etwa der Hinweis, dass die Lungenkrankheit um 1900 auch als "Wiener Krankheit" bezeichnet wurde, weil sie in der damaligen Weltmetropole mit zwei Millionen Einwohnern weitverbreitet war. Als "Künstlerkrankheit" fand sie auch Niederschlag in zahlreichen Werken wie Thomas Manns Zauberberg. Wo früher in der Schau stumme Präparate aneinandergereiht wurden, wird nun also kulturgeschichtlicher Kontext mitgeliefert.

ZUGANG Die "sensible Sammlung" im oberen Stockwerk ist nach Voranmeldung oder im Zuge einer empfehlenswerten Führung weiterhin zu besichtigen. Geöffnet ist mittwochs bis samstags. (Stefan Weiss, 19.9.2021)