Laschet könnte sich also auch als Zweitplatzierter um eine Koalition bemühen.

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Der 14. Mai 2017 war einer jener Tage, an denen Armin Laschet strahlte. "Die Wählerinnen und Wähler haben eine klare Entscheidung getroffen. Wir haben diese Landtagswahl gewonnen", rief er am Abend in Düsseldorf unter dem Jubel seiner Anhänger.

Bei warmem Frühlingswetter mit viel Sonnenschein hatten sich die Menschen in Nordrhein-Westfalen in die Wahllokale begeben und die von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geführte rot-grüne Landesregierung abgewählt. Laschet und seine CDU kamen auf 33 Prozent, die SPD nur auf 31,2 Prozent.

"Wir haben diese Bundestagswahl gewonnen." Das würde Laschet natürlich gern am 26. September sagen. Doch ob man diesen Satz hören wird, ist fraglich. In Umfragen hat die Union zwar wieder etwas aufgeholt, liegt aber nach wie vor rund vier Punkte hinter der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz.

Wunder von Nordrhein-Westfalen

Die große Frage in der Union lautet nun also: Kann Laschet das noch drehen? Kann er das Wunder von Nordrhein-Westfalen wiederholen? Damals lag er drei Wochen vor der Landtagswahl sechs Punkte hinter der SPD, holte nach und nach auf und ging schließlich als Erster durchs Ziel.

Illustration: Standard; Quelle: Yougov

Nico Siegel, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap, hält ein solches Szenario nicht für ausgeschlossen. "Wer am 26. September als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorgeht, ist offen. Zwar profitiert die SPD seit einigen Wochen von einem Stimmungshoch. Trotzdem können CDU/CSU sich noch Hoffnungen machen, wieder als stärkste Fraktion in den Bundestag einzuziehen", sagt er zum STANDARD.

Der Trend liege aktuell "auf der Seite der SPD". Scholz präsentiert sich kraftvoll, die SPD führt die Umfragen an. Aber, so Siegel: "Strukturell hat die Union vor allem bei dem zahlenmäßig großen Segment der älteren Wählerinnen und Wähler nach wie vor Vorteile."

30 Prozent Unentschlossene

Rund 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler sind noch unentschlossen. "Für alle Parteien geht es jetzt vorrangig darum, Stammanhänger zu mobilisieren, ein positives Momentum im Endspurt zu generieren", meint Siegel. Dabei werde die Union betonen, "dass die Wähler Parteien wählen und keine Kanzler direkt – also wie in Österreich bei Nationalratswahlen".

Auch Tobias Blasius, Koautor der Laschet-Biografie Der Machtmenschliche, glaubt, dass die hohe Bindung der Wähler an die Union Laschet helfen könnte. "Er selbst ist keine Wahlkampflokomotive, aber letztendlich könnte ihm das Bedürfnis der Unions-Wählerschaft nach Kontinuität helfen."

Merkel greift nun doch ein

Laschet jedenfalls sieht noch einige Möglichkeiten, um für sich zu werben. Am Sonntagabend findet das dritte und letzte TV-Triell mit ihm, Scholz und der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock statt. Vier Tage später, am Donnerstag, steigt die "Elefanten-Runde" im Fernsehen.

Und dann geschehen doch noch Zeichen und Wunder: Die bisher äußerst zurückhaltende Bundeskanzlerin und Ex-CDU-Vorsitzende Angela Merkel lässt sich für Laschet auf die Marktplätze herab.

Sie wird in Stralsund an der Ostsee, das in ihrem eigenen Wahlkreis liegt, mit Laschet auftreten, zudem dem Kanzlerkandidaten in dessen Wahlkreis Aachen (Nordrhein-Westfalen) einen Besuch abstatten. In Bayern ist ein Auftritt von Laschet, Merkel und CSU-Chef Markus Söder geplant. "Die Bundeskanzlerin greift in den Wahlkampf ein, das ist ein gutes Signal", freut sich Laschet.

Unerschütterliches Selbstbewusstsein

Biograf Blasius, der Laschet viele Jahre in Nordrhein-Westfalen begleitet hat, ist von der "Comeback-Erzählung", die nun in der CDU bemüht wird, nicht ganz überzeugt. "Man kann es nicht vergleichen, da Amtsinhaberin Hannelore Kraft damals schon sehr viel von ihrem Nimbus verloren hatte."

Eine Parallele allerdings sieht er zwischen dem Landtagswahlkampf von damals und dem Bundestagswahlkampf heute: "Laschet strahlt trotz des Absturzes ein schier unerschütterliches Selbstbewusstsein aus."

Laschet sei "ein ungewöhnlicher Spitzenpolitiker", sagt Blasius. Deshalb habe ihn auch eine Biografie über den CDU-Mann aus Aachen gereizt. "Einerseits kommen ihm seine Leutseligkeit und die rheinische Froh natur zugute, das sind seine positiven Seiten", sagt Blasius. Doch Laschet sei "kein präziser Handwerker und ist bei öffentlichen Auftritten eher sorglos".

Kein Krisenmanager

Oft, meint Blasius, habe er gehört: "So einer kann doch nicht Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen werden." Und später dann: "So einer kann doch nicht CDU-Chef werden." Doch Laschet hat beides geschafft. Jetzt sagen viele: "So einer kann doch nicht Kanzler werden." Vielleicht irren auch sie.

Vieles ist schiefgegangen in Laschets Wahlkampf. Doch den einen großen Moment, mit dem man seinen Absturz begründen könnte, gibt es laut Meinungsforscher Siegel nicht. "Laschet kämpft mit erheblichen Popularitätsproblemen, die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Bilder von einem lachenden Kanzlerkandidaten während einer Flutkatastrophe helfen nicht, aber Laschets Image wird nicht durch dieses eine singuläre Ereignis geprägt", sagt er.

Die Mehrheit der Deutschen habe "geringes Vertrauen in seine Sachkompetenz und seine Führungsstärke". Außerdem: "Bei der Bekämpfung von Corona nahmen ihn viele in Deutschland nicht als standfesten und zielorientierten Krisenmanager wahr."

Historischer Rückblick

Verspielt Laschet nach 16 Jahren das Kanzleramt und damit Merkels Erbe? Oder kann er es doch noch schaffen? Bei diesen bangen Fragen blickt die Union aber noch sehr viel weiter zurück als nur auf das Jahr 2017, in dem Laschet in Nordrhein-Westfalen siegte.

Im Auge hat sie auch 1969, 1976 und 1980. In diesen drei Jahren fanden Bundestagswahlen statt. Stärkste Kraft wurde jeweils die Union, doch sie stellte nicht den Kanzler.

Ins Bonner Kanzleramt zogen die Sozialdemokraten Willy Brandt (1969) und Helmut Schmidt (1976, 1980) ein, sie bildeten sozial-liberale Koalitionen mit der FDP.

Anders als in Österreich wird der stärksten Kraft nach einer Wahl in Deutschland nicht vom Bundespräsidenten formal der Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Es herrscht stattdessen das freie Spiel der Kräfte.

Laschet könnte sich also auch als Zweitplatzierter um eine Koalition bemühen. Bringt er sie rechnerisch wie tatsächlich zustande und gelingt das dem möglichen Sieger Olaf Scholz nicht, dann ist der Weg für Laschet frei. (Birgit Baumann, 19.9.2021)