Stolz sein auf Europa? Natürlich geht das – wenn man sich zum Beispiel für den schönen Golfsport interessiert. Im Ryder Cup, dem seit 1927 ausgetragenen Vergleich zwischen den USA und Europa, liegen die Amerikaner zwar mit insgesamt 26:14 Erfolgen voran, zu denen auf beiden Seiten noch jeweils eine erfolgreiche Titelverteidigung nach einem Remis zu addieren ist. Doch Europa hat sich gemausert. Seit der Jahrtausendwende gab es sieben klare Erfolge des Alten Kontinents, denen der, nun ja, junge Kontinent nur zwei Siege entgegenzusetzen hatte. Auch kommende Woche treten die Europäer als Titelverteidiger an, wenn auch auswärts, in Whistling Straits bei Sheboygan in Wisconsin. Nach einer Corona-bedingt drei- statt zweijährigen Pause kehrt der Ryder Cup am Ufer des Lake Michigan quasi zurück in die ungeraden Kalenderjahre, von denen er nach einer 9/11-bedingt ebenfalls dreijährigen Pause 2002 abgekommen war.

Wiesberger hat sich mit starken Leistungen direkt für Europas Team qualifiziert.
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Aus österreichischer Sicht ist die 43. Auflage ab Freitag sowieso eine historische. Nach England (94 Teilnahmen), Spanien (40), Schottland (43), Irland (20), Schweden (19), Deutschland (14), Nordirland (16), Wales (12), Italien (7), Dänemark (5), Frankreich (3) und Belgien (2) ist Österreich als 13. europäisches Land beim Ryder Cup vertreten, Bernd Wiesberger sei Dank! Der 35-jährige Burgenländer hat sich auf direktem Weg einen der neun Fixplätze im zwölfköpfigen Team gesichert, war nicht auf eine der drei Wildcards von Teamkapitän Padraig Harrington angewiesen. "Ich bin sehr stolz, Europäer sein und Österreich beim Ryder Cup vertreten zu dürfen."

Der Ryder Cup ist für jeden Golfprofi speziell, schließlich wird kein Preisgeld ausgeschüttet, dafür geht es um Ruhm und Ehre in einem Teambewerb. Speziell auf das Gefühl, Teil einer Mannschaft zu sein, freut sich Wiesberger besonders. Darauf hat er, der seit 2006 Profi ist und zwölf Turniersiege gefeiert hat, jahrelang hingearbeitet. In den Clubhäusern, am 19. Loch, wie es oft heißt, sitzen die Golfer nicht selten zusammen. "Da werden oft Storys und Anekdoten erzählt", sagte Wiesberger vor kurzem bei einem Medientermin. "Und die meisten stehen in einem Zusammenhang mit dem Ryder Cup." Er erinnerte an den legendären, 2011 im Alter von nur 54 Jahren einem Krebsleiden erlegenen Spanier Severiano Ballesteros. Dieser hatte fünf Majors und 86 weitere Turniere gewonnen, ist vielen aber vor allem wegen seiner Ryder-Cup-Auftritte unvergesslich.

Superstars hüben wie drüben

In den vergangenen Wochen und Monaten, als sich seine Qualifikation schon abgezeichnet hat, war Wiesberger mit Teamkapitän Harrington laufend in Kontakt. Es gab etliche Telefonate mit dem Iren, es gab das eine oder andere gemeinsame Dinner. Im europäischen Team stehen nicht wenige Superstars des Golfsports, voran Sergio Garcia, Rory McIlroy, Jon Rahm und Lee Westwood. Das US-Team mit u. a. Bryson DeChambeau, Jordan Spieth, Brooks Koepka und Dustin Johnson ist zu favorisieren, wenn man auf die einzelnen Weltranglistenpositionen blickt. Das macht den Europäern aber kein Kopfzerbrechen. "Ich weiß nicht, wann die Amerikaner einmal nicht in der Favoritenrolle waren", sagt Wiesberger. Und er fügt hinzu: "Jeder ist bis in die Haarspitzen motiviert." Den Ryder Cup spiele man schließlich "für sich selbst, für das Team und für den ganzen Kontinent".

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Team: Europa: Paul Casey, Matthew Fitzpatrick, Tommy Fleetwood, Sergio Garcia, Tyrrell Hatton and Viktor Hovland Shane Lowry, Rory McIlroy, Ian Poulter, Jon Rahm, Lee Westwood und Bernd Wiesberger.
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Dem STANDARD sagt Wiesberger, dass er sich nicht sonderlich für Teamsportarten interessiert. Auch als er 2018 wegen einer Verletzungspause nicht wenig Zeit mit Fernsehen verbrachte, habe er andere Einzelsportarten verfolgt, speziell Tennis wegen Dominic Thiem und alpinen Skisport. Es sei aber auch nicht so, dass sich Einzelsportler sozusagen einsam freuen müssen. "Ich hab’ als Golfer auch fast eine Mannschaft hinter mir", bei Erfolgen freuen sich neben dem Caddy und den Coaches auch die Familie und Freunde mit.

Freunde mit Fähnchen

Apropos: Was die Reise nach Wisconsin angeht, ist es noch etwas unsicher, wer Wiesberger am Montag begleiten wird. Die Coaches Morgan und Philippe DeBusschere sowie sein Vater Klaus und sein Bruder Niki leisten ihm auf jeden Fall Gesellschaft, viel mehr Tickets werden Corona-bedingt nicht drinnen sein. Klarerweise hat Wiesberger auch in den USA einige Freunde, etlichen hat er zu Ryder-Cup-Tickets verholfen unter der Bedingung, dass sie nicht mit amerikanischen, sondern mit europäischen Fahnen am Kurs in Whistling Straits antanzen werden. Bei der PGA-Championship 2015 hat Wiesberger schon einmal in Whistling Straits abgeschlagen, das betrachtet er ungeachtet der Tatsache, dass er damals den Cut verpasst hatte, als Vorteil. "Ich kann mich noch sehr gut an die Gegebenheiten erinnern, bin froh, den Platz schon einmal gesehen zu haben."

Den Ryder Cup macht nicht zuletzt aus, dass er im Gegensatz zu den meisten Golfturnieren nicht als Zählspiel, sondern im Lochspielmodus (Matchplay) bestritten wird. Am Freitag und Samstag treten Zweierteams zu insgesamt acht Fourball- und acht Foursome-Partien an – im Foursome schlagen die Spieler einer Mannschaft den Ball abwechselnd, im Fourball schlagen beide, und der bessere Ball zählt. Am Sonntag folgen zwölf Einzel, da wird also Mann gegen Mann gespielt. Jeder Sieg bringt einen Punkt, jedes Remis einen halben. Der Herausforderer, aktuell die USA, benötigt 14,5 Punkte zum Erfolg, bei 14:14 hat der Titelverteidiger gewonnen.

Er habe im Matchplay, sagt Wiesberger, schon einiges an Erfahrung und auch an Erfolgen gesammelt. "Ich hab mich des Öfteren auch schon gegen in der Rangliste besser platzierte Gegner durchgesetzt." Einigermaßen gespannt erwartet er, mit wem ihn Harrington zusammenspannen wird. Dass er etwa mit Garcia, McIlroy oder Westwood "schon viel Golf gespielt" habe, sei "kein Geheimnis". Bernd Wiesberger sieht sich als "ruhigen, umgänglichen Typen, der mit allen gut zurechtkommen kann". Der erste Österreicher bei allen vier Majors, in den Top 30 der Weltrangliste und den Top Drei der European Tour ist nun auch der erste Österreicher beim Ryder Cup. Logischerweise will er der erste sein, der ihn auch gewinnt. (Fritz Neumann, 17.9.2021)