Das Schuljahr hat gerade begonnen, da bleiben viele Klassen auch schon wieder leer: Müssen Kinder büßen, um ungeimpfte Erwachsene zu schützen?
Foto: Imago Images / Imagebroker

Rund um die Schulen gehen die Wogen hoch. Seit Ferienende schickten die Behörden bereits über 600 Klassen wegen Covid-Fällen nach Hause, die Regeln sind umstritten. Zuletzt kritisierten die sozialdemokratischen Lehrervertreter die Lockerung der Quarantänebestimmungen: Dies widerspreche jeder epidemiologischen Logik.

Wie dramatisch ist die Lage? Für eine Einschätzung lohnt es sich zu wissen, wie gefährlich Covid-19 für Kinder wirklich ist. Denn der Blick auf die Infektionsrate allein hat nur begrenzte Aussagekraft. Entscheidend ist vielmehr, wie viele Kinder schwer am Virus erkranken und in der Folge womöglich zu einer Überlastung der Intensivstationen in den Spitälern beitragen.

DER STANDARD hat bei der Gesundheit Österreich GmbH (Gög), einem nationalen Forschungs- und Planungsinstitut, Daten erfragt. Demnach ist das Risiko für Kinder, mit Corona im Spital zu landen, weitaus geringer als für Erwachsene. In der ersten Hälfte des Jahres wurden 20.055 Covid-Fälle von Kindern bis einschließlich neun Jahren registriert. Für 335 Infizierte, also 1,67 Prozent, bedeutete dies einen Spitalsaufenthalt, davon wiederum kamen 28 in die Intensivstation (0,14 Prozent). In der Altersgruppe zehn bis 19 Jahre mussten 305 von 37.170 Kindern ins Krankenhaus (0,82 Prozent), 18 davon auf die Intensivstation (0,05 Prozent).

Je älter, desto gefährdeter

Zum Vergleich: Bei 50- bis 59-Jährigen beträgt die Hospitalisierungsrate 7,94 Prozent, bei 70- bis 79-Jährigen gar 33,5 Prozent (siehe Grafik). Entsprechend höher ist auch das Risiko, ein Intensivbett zu brauchen.

Zu bedenken ist dabei, dass die offiziellen Zahlen den Anteil noch ein Stück überschätzen. So sind auch Patienten erfasst, die Covid als Nebendiagnose hatten, also aus einem anderen Grund im Spital lagen – in einer früheren Phase waren das laut Gög 15 bis 20 Prozent. Säuglinge werden oft aus Vorsicht in eine Intensivstation gebracht, außerdem ist bei den Infizierten keine Dunkelziffer eingerechnet. Gezählt werden nur per PCR-Test bestätigte Covid-Fälle. Wer infiziert war, ohne etwas zu merken oder einen Test zu machen, fehlt in der Statistik.

Einen etwas höheren Wert wies hingegen eine Studie der Gesundheitsagentur Ages, Med-Uni Graz und Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) aus. Demnach mussten bei einer Stichprobe von 755 infizierten Kinder von null bis 14 Jahren 2,4 Prozent ins Spital.

Schulschließungen ärger als das Virus

So oder so sieht Volker Strenger, Kinderarzt an der Uni-Klinik Graz und Chefinfektiologe der ÖGKJ, in den Zahlen einen Grund, die Lage an den Schulen "mit mehr Gelassenheit" zu bewerten. Der Mediziner warnt vor überschießenden Reaktionen auf steigende Infektionsraten. Denn aus dem relativ geringen Risiko für Kinder, schwer an Covid zu erkranken, lasse sich eine Feststellung ableiten: "Das Virus selbst ist für Kinder nicht so bedrohlich wie es Schulschließungen mit all ihren sozial und bildungspolitisch schädlichen Folgen sind."

Folglich hält Strenger die von manchen Experten kritisierte Lockerung der Quarantäneregeln für gerechtfertigt. Das gilt nicht nur für die Möglichkeit, sich künftig schon nach fünf statt erst zehn Tagen aus der Isolation freitesten zu können. Es sei auch vertretbar, im Falle einer Infektion nicht gleich die ganze Klasse heimzuschicken. Auch in der Arbeitswelt werde nach Enge des Kontakts unterschieden und nicht immer der ganze Betrieb nach Hause geschickt – selbst wenn alle in einem Raum arbeiteten.

Aber geht es bei den Kindern nicht auch um das Problem, dass diese die gefährdeteren Erwachsenen anstecken können? "Ja", sagt Strenger, "aber dafür gibt es eine einfache Lösung: Die Erwachsenen sollen sich impfen lassen. Man kann nicht Kinder einsperren, um ungeimpfte Erwachsene zu schützen."

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, fügt Strenger an: All das spreche nicht dagegen, Kinder über zwölf Jahren – für sie sind Vakzine zugelassen – impfen zu lassen. Auch wenn schwere Verläufe seltener sind, lohne sich die Absicherung gegen die Krankheit. (Gerald John, 20.9.2021)