Zürich/Wien – Wie geht es einem Großverleger 2021 mit einer werbefinanzierten Gratiszeitungsgruppe und Beteiligung an "Heute" zwischen Pandemie und den globalen Werberiesen Google und Facebook? Pietro Supino (55) ist beim börsennotierten Schweizer Medienriesen TX Group Verleger, langjähriger Verwaltungsratspräsident und Mitglied der bestimmenden Eigentümerfamilie Coninx.

Kurze Antwort zur Lage: "Danke, es geht mir gut." Wie das geht, erklärt Supino im Interview noch ausführlicher. Die Fragen des STANDARD wollte er schriftlich beantworten.

Supinos Ansagen (wie heute.at hier vielleicht titeln würde)

  • Expansion in Österreich Der Schweizer Verleger zeigt im STANDARD-Interview Interesse, bestehende Engagments in Österreich wie bei "Heute" auszubauen, und auch an "artverwandten" Investments hier.
  • Journalismus Supino betont, trotz "enormer" Rückgänge im Werbegeschäft: "Ich kann mir nicht vorstellen, in einer Gesellschaft zu leben, in der unabhängiger Journalismus keine nachhaltige Geschäftsgrundlage bietet." Seine Perspektive 2031: "Soweit ich sehen kann, wird der Journalismus eine tragende Säule unserer Gruppe sein."
  • Sexismusvorwürfe Zu Vorwürfen von Sexismus und Mobbing in einem offenen Brief von 78 Mitarbeiterinnen der Tamedia sagt Supino: "Es verdichtet sich der Eindruck, dass das Problem in einer männerdominierte Redaktionskultur liegt. Das wollen wir ändern."

Morgen, Donnerstag, eröffnet Supino, zudem Präsident des Schweizer Verlegerverbands, den zweiten der Österreichischen Medientage mit der Keynote "Qualität und Innovation sind und bleiben der Schlüssel zum Erfolg". Bevor der Jurist 2007 den Vorsitz im Verwaltungsrat übernahm, besuchte er die Columbia University Graduate School of Journalism in New York und begründete dort den "Summer Investigative Reporting Course" mit.

Seine Vorstellungen von Journalismus hat Supino in einem Handbuch – "Qualität der Medien" – niedergeschrieben und 2017 ein regelmäßiges Qualitätsmonitoring für alle Medien der TX Group eingeführt.

Zur TX Group gehören zwei Mediengruppen – die Tamedia-Gruppe mit Kaufzeitungen wie dem Zürcher "Tages-Anzeiger" sowie 20 Minuten mit Gratiszeitungen, darunter sind auch die Beteiligungen an "Heute" (25,5 Prozent) und Heute.at (51 Prozent) in Wien. Die beiden anderen Geschäftsbereiche: Werbevermarkter Goldbach und TX Markets für (digitale) Marktplatzportale, darunter auch 49 Prozent an karriere.at in Österreich.

Die TX Group setzte 2020 rund 860 Millionen Euro um, etwas weniger als Konkurrent Ringier ("Blick"). Wie in Österreich der ORF mit rund einer Milliarde Euro Umsatz ist die öffentliche Rundfunkanstalt SRG-SSR mit 1,33 Milliarden Euro größtes Medienhaus der Schweiz.

Supino legt Wert auf systematische Investments in investigativen Journalismus und neue Technologien in seiner Gruppe, er hat das Media Technology Center an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich mitbegründet.

"Es verdichtet sich der Eindruck, dass das Problem in einer männerdominierte Redaktionskultur liegt"

Pietro Supino, Kopf und Miteigentümer der Schweizer TX Group.
Foto: Urs Jaudas/Tamedia AG

STANDARD: Wie geht es dem Verleger und seinem großen Medienkonzern mit historisch starkem Printschwerpunkt im Herbst 2021 zwischen Pandemie und digitalen Riesen, die große Teile des Werbegeschäfts abholen, zwischen öffentlichen Medienförderungen und Fusionen?

Supino: Danke, es geht mir gut. Sehr positiv ist für mich die Entwicklung im Nutzermarkt. Das hohe Interesse an professionellem Journalismus und das starke Wachstum der digitalen Abonnements finde ich ermutigend. Auf dem Werbemarkt sind wir im historischen Vergleich mit enormen Verlusten konfrontiert. Auch wenn wir eine gewisse Erholung verzeichnen, bleiben es anspruchsvolle Zeiten. Das Tempo der Transformation hat sich weiter beschleunigt. Aber wir sind gut aufgestellt, um die Herausforderungen anzunehmen. Entscheidend ist die Qualität unserer Inhalte. Das ist gerade in Krisenzeiten von großer Bedeutung und wird auch anerkannt. Darauf dürfen wir stolz sein.

"Natürlich müssen die Ambitionen und die Kosten mit dem Ertragspotenzial in Einklang gebracht werden."

STANDARD: Kann man mit Journalismus – den Sie, wie ich hoffentlich zutreffend las, als Ihre "Leidenschaft" bezeichnen – heute noch relevant Geld verdienen, zum Beispiel um neben der Finanzierung von Journalismus auch noch ordentliche unternehmerische Gewinne einzufahren? Und, wenn ja: wie?

Supino: Ja. So unterschiedliche Beispiele wie die "New York Times" oder der norwegische Lokalzeitungsverbund Amedia zeigen es. Wichtig ist, dass wir für unsere Leserschaft und für unsere Anzeigenkunden klar erkennbare Mehrwerte schaffen. Diese beruhen auf unserer journalistischen Unabhängigkeit und auf traditionellem Handwerk sowie zunehmend auf neuen technologischen Fähigkeiten, die wir weiterentwickeln müssen. Natürlich müssen am Ende auch die Ambitionen und die Kosten mit dem Ertragspotenzial in Einklang gebracht werden. Das ist nicht neu, aber es wird angesichts der enormen Konkurrenz sowohl auf dem Nutzer- als auch auf dem Werbemarkt immer anspruchsvoller.

"Ich kann damit leben, dass die Umsätze im Verlagsgeschäft nicht mehr so hoch sind wie im letzten Jahrhundert."

STANDARD: Die TX Group hat in den vergangenen Jahren wesentlich an den Redaktionen gespart– jene von "Bund" und "Berner Zeitung" wurden etwa zusammengelegt, "Le Matin" in gedruckter Form (und unter Streiks auch anderer Westschweizer Redaktionen) 2018 eingestellt. Journalismus als – aus wirtschaftlicher Sicht – zu teure Leidenschaft?

Supino: Mit Tamedia und 20 Minuten beschäftigen wir rund 800 Journalistinnen und Journalisten. Wir befinden uns mit ihnen auf dem Wege der digitalen Transformation, die wir aktiv gestalten. Wir haben den investigativen Journalismus ausgebaut. Dafür und darüber hinaus haben wir in technologische Arbeitsinstrumente investiert. Wir haben ein Qualitätsmonitoring aufgebaut, das auf unserem Handbuch "Qualität in den Medien" beruht. Und wir haben eine neue Form von Wahl- und Abstimmungsumfragen und Nachbefragungen etabliert, um nur einige Beispiele zu nennen. In der Schweiz investiert niemand vergleichbar in den Journalismus. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Investitionen wichtig sind und wir damit auch wirtschaftlich Erfolg haben werden. Ich kann damit leben, dass die Umsätze im Verlagsgeschäft nicht mehr so hoch sind wie im letzten Jahrhundert. Aber ich kann mir nicht vorstellen, in einer Gesellschaft zu leben, in der unabhängiger Journalismus keine nachhaltige Geschäftsgrundlage bietet.

"Im Wettbewerb mit den globalen Akteuren müssen wir nationale Allianzen bilden."

STANDARD: Wie gehen Sie mit der – global übermächtigen – Konkurrenz von Google, Facebook und Co im Werbemarkt um? In Österreich kann man aus Werbe- und Digitalabgaben darauf schließen, dass internationale Digitalkonzerne heute zumindest fast so viel mit Werbung einnehmen wie die klassischen österreichischen Medien zusammen – in einzelnen Monaten schon mehr.

Supino: Die Situation in der Schweiz ist vergleichbar. Im Wettbewerb mit den globalen Akteuren müssen wir nationale Allianzen bilden. Das haben wir mit der Digital-Allianz getan. Wir wollen eine Kultur der Registrierung auf unseren digitalen Plattformen etablieren – um das Nutzererlebnis und die Produktentwicklung sowie die Vermarktung unserer Inhalte und die Werbemöglichkeiten zu verbessern. Darüber hinaus brauchen wir ein Leistungsschutzrecht nach europäischem Vorbild, damit die Nutzung unserer Inhalte auf den internationalen Plattformen fair abgegolten wird.

"'20 Minuten' ist mit deutlich mehr als 50 Prozent digitalen Erträgen ein internationales Vorzeigebeispiel."

STANDARD: Die TX Group setzt dagegen etwa auf Marktplatzportale und hat sich in dem Feld gerade mit dem großen Printkonkurrenten Ringier ("Blick") sowie dem Versicherungskonzern Mobiliar und Investor General Atlantic zusammengetan. Geht es im Digitalgeschäft nur noch mit so großen, den nationalen Markt beherrschenden Einheiten – und was sagen die Schweizer Kartellbehörden dazu?

Supino: Da wir mit dem Zusammenschluss eine eigenständige Unternehmung schaffen, deren Umsatz unter dem maßgeblichen Grenzwert liegt, fällt er als solcher nicht unters Schweizer Kartellrecht. Tatsächlich ist es unsere Überzeugung, dass ein solcher nationaler Schulterschluss notwendig war, um den Standort Schweiz im internationalen Wettbewerb langfristig abzusichern.

STANDARD: Haben werbefinanzierte Gratiszeitungen – eines von vier großen Geschäftsfeldern in der TX Group – eine Zukunft unter diesen Konkurrenzbedingungen? Pandemie und Homeoffice haben zudem in den vergangenen Monaten einen wesentlichen Vertriebsweg von Pendlerzeitungen wie "20 Minuten" getroffen, und damit eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage.

Supino: Ja, wenn sie über die notwendige Reichweite verfügen. "20 Minuten" erreicht täglich drei Millionen Schweizerinnen und Schweizer und steht damit sehr gut da. Auch punkto digitale Transformation ist "20 Minuten" mit deutlich mehr als 50 Prozent digitalen Erträgen ein internationales Vorzeigebeispiel.

"Bemerkenswert ist, dass "Heute" sich in der gedruckten Form im internationalen Vergleich sehr gut behauptet."

STANDARD: Die TX Group hält die Mehrheit an heute.at und gut 25 Prozent an der Gratiszeitung "Heute" in Österreich. Was bringt die Beteiligung in Österreich, wie zufrieden sind Sie mit dem Engagement im fünften Jahr, gibt es Überlegungen oder Vereinbarungen, die Anteile aufzustocken oder umgekehrt zu reduzieren oder für weitere Beteiligungen in Österreich – und welche?

Supino: Wir sind sehr zufrieden mit unserer Partnerschaft bei "Heute" und heute.at. Bemerkenswert ist, dass "Heute" sich in der gedruckten Form im internationalen Vergleich sehr gut behauptet. Gleichzeitig konnten wir das digitale Angebot markant weiterentwickeln und sind sehr erfreut über den Erfolg, den wir damit verzeichnen. Daneben sind wir in Österreich über die Jobcloud mit 49 Prozent an karriere.at beteiligt, einem der erfolgreichsten Digitalunternehmen, die ich kenne. Schließlich entwickeln sich die österreichischen Aktivitäten unserer Werbevermarkterin Goldbach sehr positiv. Angesichts dieser schönen Erfahrungen können wir uns weitere Engagements in Österreich gut vorstellen.

"Interessant wären für uns Investitionen in die bestehenden Engagements oder in artverwandte Aktivitäten."

STANDARD: Welche Engagements in Österreich wären interessant bzw. in welchen Bereichen? Zeitungshäuser, Onlineplattformen, journalistisch oder Marktplätze oder Vermarktung...? Gibt es dazu etwas Konkreteres/Gespräche/Überlegungen?

Supino: Es gibt derzeit keine konkreten Pläne. Interessant wären für uns Investitionen in die bestehenden Engagements oder in artverwandte Aktivitäten.

"Wir erwarten nicht, dass unsere Partner die gleichen Offenlegungsstandards wie wir pflegen."

STANDARD: Verstehen Sie aus der Perspektive an der Spitze des börsenkotierten Mutterkonzerns die Geheimniskrämerei von "Heute" und heute.at, das mit einer Ausnahme bisher nicht einmal seine Umsätze veröffentlicht?

Supino: Wir erwarten nicht, dass unsere Partner die gleichen Offenlegungsstandards wie wir pflegen. Es ist für uns hingegen wichtig, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen können. Das ist in Bezug auf "Heute" kein Problem.

"Es ist meine Überzeugung, dass eine gesunde Distanz zwischen Staat und Medien gewahrt werden sollte."

STANDARD: Zu Medienförderungen haben Sie Anfang des Jahres erklärt, es wäre besser, Medienkompetenz zu fördern, Infrastruktur zu stärken und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, als "als Fördergelder an Medienunternehmen zu zahlen und damit unvermeidlich die Unabhängigkeit des Mediensystems zu gefährden". Zugleich haben Sie als Präsident des Verlegerverbands eine Aufstockung der Medienförderung um 30 auf 120 Millionen Franken befürwortet, plus 30 Millionen Onlineförderung. Wie passt das zusammen?

Supino: Es ist meine Überzeugung, dass eine gesunde Distanz zwischen Staat und Medien gewahrt werden sollte. Sinngemäß nach dem deutschen Philosophen und ehemaligen Verfassungsrichter Böckenförde ist der freiheitliche demokratische Staat auf Voraussetzungen angewiesen, die er nicht selber schaffen kann. Aber der Staat kann und sollte zu guten Rahmenbedingungen für die Medienlandschaft beitragen, namentlich im präkompetitiven Bereich. Das sogenannte Medienpaket, über das wir in der Schweiz voraussichtlich im nächsten Februar abstimmen werden, respektiert die Unabhängigkeit der Medien. Es wurde kontrovers diskutiert. Am Ende hat sich das Parlament auf einen Kompromiss geeinigt, den ich gut finde und aus Solidarität zur gesamten Branche unterstütze.

STANDARD: Die Schweiz will online, soweit ich das verstehe, kleine und mittlere Medienunternehmen und -angebote relativ höher fördern, Konzerne mit mehreren Online-Outlets nur einmal. Dient das nicht der – ohnehin stetig abnehmenden – Eigentümervielfalt im Medienbereich?

Supino: Das ist die Idee und gehört zum erwähnten Kompromiss.

"Wir werden für das Geschäftsjahr 2020 keine Dividende beantragen."

STANDARD: Wie andere Medienunternehmen auch in Österreich nutzte die TX Group im Pandemiejahr 2020 die Möglichkeit der Kurzarbeit. Wie begegnen Sie der Kritik an zugleich ausgeschütteten hohen Renditen für die Aktionäre?

Supino: Zunächst konnten wir als öffentliches Unternehmen den Dividendenantrag für das Geschäftsjahr 2019 Anfang März 2020 nicht mehr einfach ändern. Aber wir haben damals gesagt, dass wir für das Geschäftsjahr 2020 keine Dividende beantragen werden, was von der Generalversammlung in diesem Jahr genehmigt worden ist. Bei der Entschädigung für Kurzarbeit handelt es sich um eine Art Versicherungsleistung, für die wir entsprechende Beiträge einbezahlt haben. Kurzarbeit und Dividendenzahlungen schließen sich nicht aus, wie auch Unternehmen im Eigentum der Eidgenossenschaft zeigen.

"Soweit ich sehen kann, wird der Journalismus eine tragende Säule unserer Gruppe sein."

STANDARD: Wie hat man sich die TX Group im Jahr 2031 vorzustellen? Ist das noch ein Medienkonzern mit wesentlichen journalistischen Aktivitäten – und, wenn ja, wie groß wird ihr wirtschaftlicher Stellenwert im Gesamtkonzern sein?

Supino: Das ist eine spannende Frage. Unsere Ambition ist es, ein international anerkanntes Netzwerk von Plattformen zu bilden, die Information, Orientierung, Unterhaltung und Hilfestellungen für den Alltag bieten und es den Menschen ermöglichen, sich ihre eigenen Meinungen zu bilden. Damit wollen wir zu einer freiheitlichen Gesellschaft beitragen. Der Journalismus gehört zum Kern unseres Selbstverständnisses. Soweit ich sehen kann, wird der Journalismus eine tragende Säule unserer Gruppe sein.

"Es verdichtet sich der Eindruck, dass das Problem in einer männerdominierte Redaktionskultur liegt."

STANDARD: Im März haben 78 Mitarbeiterinnen der Tamedia in der TX Group in einem offenen Brief protestiert, Frauen würden in dem Medienhaus systematisch benachteiligt und gedemütigt, von Mobbing und sexueller Belästigung war darin die Rede. Sie haben sich "sehr betroffen" über die Vorwürfen gezeigt, sie nähmen sie "sehr ernst". Was ist hier seither in der Tamedia / TX Group geschehen?

Supino: Wir haben den Brief sehr ernst genommen und die darin geschilderten Fälle mit einer externen Spezialistin aufgearbeitet sowie weitere Maßnahmen ergriffen. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Aber es verdichtet sich der Eindruck, dass weniger sexuelle Belästigungen im eigentlichen Sinne das Problem waren, sondern dass es vielmehr in einer männerdominierte Redaktionskultur liegt. Das wollen wir ändern. Diversität geht aber weit über die Geschlechterfrage hinaus und sollte jedem aufgeklärten Menschen ein Anliegen sein. Diversität und Inklusion sind in doppelter Hinsicht wichtig. Nur auf dieser Basis können wir ein breites Publikum zufriedenstellend bedienen und wirtschaftlich erfolgreich sein. Ganz grundsätzlich stellt jede Diskriminierungen eine individuelle Ungerechtigkeit dar und wirkt sich negativ auf das ganze Umfeld aus. Das gilt es zu bekämpfen und zu verhindern. Medienschaffende stehen dabei in einer besonderen Verantwortung. (Harald Fidler, 22.9.2021)