AN: STANDARD-Leserinnen und -Leser
VON: Helmut Spudich
DATUM: 22. September 2021
BETREFF: Meeting 4.0, Projekt Bartleby

Seit geraumer Zeit registrieren wir in unserem regelmäßig erhobenen internen Stimmungsbarometer unter unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wachsende Unzufriedenheit mit der Kommunikationskultur unseres Unternehmens, insbesondere im Rahmen von Meetings. Eindeutig wird in unseren Umfragen dafür ein bisher als unerlässlich betrachtetes Tool als Hauptschuldiger ausgemacht: Powerpoint-Slides, die inzwischen de facto für jede Art von Kommunikation verwendet werden, selbst wenn eine mehrzeilige Mail für eine Mitteilung ausreichend wäre.

Im Auftrag des Vorstands hat darum HR gemeinsam mit externen Expertinnen und Experten daran gearbeitet, effizientere Wege für unsere interne Kommunikation zu finden. Nach sorgfältiger Evaluierung unterschiedlichster digitaler Werkzeuge ist unsere Taskforce zu einer scheinbar überraschenden Lösung gekommen: die Wiederbelebung der Kunst des Memos, verbunden mit weiteren zusammenhängend geschriebenen Textformen. Mit einer Reihe von Pilotprojekten haben wir die nicht zu unterschätzenden Herausforderungen dieser Umstellung analysiert und können nun konkrete Maßnahmen vorschlagen, um unserem Projekt – genannt Bartleby – zu einem durchschlagenden Erfolg zu verhelfen.

Ausführung

Im Zuge unserer Problemanalyse haben wir uns selbstverständlich zunächst intensiv mit dem Status quo der Kommunikation im Rahmen von Meetings und Abteilungen befasst. Dabei zeigt sich, dass praktisch alle Texte in Form von sogenannten Bulletpoints verfasst werden, die methodisch mehr einem Brainstorming als durchdachten und zusammenhängend formulierten Sätzen und Gedanken entsprechen. Gern wird dazu eine Vielfalt an Grafiken und Tabellen verwendet, ohne dass der Zusammenhang zwischen diesen Elementen und dem Thema dargestellt wird.

Der Effekt dieser Darstellungen ist ein sehr unvollständiges Verständnis des intendierten Inhalts bei den jeweiligen Empfängern. Mangels verbindender, den Sinn der Darstellung vermittelnder Sätze bleiben die Bulletpoints leere Schlagworte und werden von unterschiedlichen Leserinnen und Lesern unterschiedlich interpretiert. Im besten Fall ergibt sich der Sinn aus der gesprochenen Erklärung ("auf der Tonspur", wie dies häufig genannt wird), falls das Thema in einem Meeting präsentiert wird.
Häufig werden jedoch die meist sehr umfangreichen Powerpoint-Slides per Mail versandt und nur bruchstückhaft aufgenommen. Die von uns in Testanordnungen befragten Kolleginnen und Kollegen konnten sich meist nur an die – oft aufwendigen – visuelle Effekte erinnern, selten jedoch das Wesentliche der jeweiligen Unterlage wiedergeben.

Wenig erfreuliche Nebeneffekte von Powerpoint-Slides sind enorm große Dateien, die aufgrund großer Verteiler und Weiterleitungen unser Mailsystem und unseren Speicherplatz stark belasten. Durch den vielfachen Ausdruck dieser Dateien entstehen zusätzlich nicht unwesentliche Druckkosten.

Interessanterweise konnten ältere Mitglieder unserer Taskforce entscheidende Impulse zur Suche nach Alternativen beitragen (eine erfreuliche Bestätigung unserer vor einigen Jahren implementierten Diversity-Policy). So erinnerte Kollegin B. daran, dass vor der flächendeckenden Einführung von Windows-PCs das sogenannte Memorandum, kurz Memo, als zentrales Instrument der Kommunikation diente.

Tatsächlich konnten wir in unserem Archiv, dessen Papierbestände leider über die Jahre weitgehend verloren gingen, dafür eine Reihe interessanter Beispiele finden. Obwohl uns der Kontext der Jahrzehnte zurückliegenden Geschäftsvorgänge nicht mehr bekannt war, erschienen die meist sorgfältig verfassten Texte gut verständlich und gaben interessante Einblicke in die damalige Kommunikations- und Unternehmenskultur. Bemerkenswert sind die jeweils gut argumentierenden Antworten und inhaltlichen Ergänzungen, die sich aus den jeweiligen Memos ergaben.

Insgesamt konnten wir aus diesem Material die wesentlichen Elemente von Memos klar herausarbeiten und erachten diese nach genauer Analyse auch heute für sinnvoll. Dies sind: Adressat, Absender, Datum und Betreff; eine prägnante Einleitung zum Themenaufriss und daraus vorgeschlagener Aktion, gefolgt von der nötigen Kontextualisierung und inhaltlichen Details, sowie den daraus abgeleiteten Schlüssen und Maßnahmen (Action-Points).

Conclusio und Maßnahmen

Es ist die einstimmige Empfehlung unserer Taskforce, zusammenhängend geschriebene Memos anstelle von Powerpoint-Slides zur Basis der Kommunikation bei Meetings und zwischen Abteilungen zu machen. Wir sind überzeugt davon, dass dies nicht nur zum besseren Verständnis der dargestellten Materie bei den jeweiligen Empfängern beiträgt, sondern auch bereits beim Verfassen zur besseren logischen Durchdringung der Materie führt.
Empirische Studien belegten, dass Sprache das Medium unseres Denkens ist, und wer in Bulletpoints spricht, denkt auch in solchen: Schlagworte, deren Zusammenhang sich allenfalls in der ergänzenden Fantasie ergibt, aber nicht in der Darstellung selbst.

Die Umsetzung erscheint uns in einem Zeithorizont von einem Jahr realistisch und erfordert eine Reihe von Begleitmaßnahmen. Boardmeetings sollten aus Sicht der Taskforce die erste Ebene sein, um dies zu verwirklichen, da die Präzision der Darstellung hier im höchsten Maße mission critical ist. Alle Themen, mit denen sich das Board befasst, sollen in Form von Memos adressiert werden. Soweit notwendig, können Tabellen oder Grafiken als Beilagen mitgegeben werden. Zur Unterstützung haben wir im Intranet digitale Memo-Vorlagen und Lernmodule bereitgestellt, die zur klaren Strukturierung und Abfassung guter Memos beitragen.

Wesentliche Nachqualifikation zur unternehmensweiten Umsetzung sind Schreibwerkstätten, um die Erstellung durchdachter, gut verständlicher Texte als Schlüsselkompetenz zu etablieren. Dies bringt nicht nur die erhoffte Effizienzsteigerung in der internen Kommunikation, sondern auch gegenüber unseren Kunden und externen Partnern. Gerade in Kundenbeziehungen haben wir leider wiederholt die Ausdrucksmängel der Social-Media-Generation verzeichnet, die wir dadurch beheben können. Für unsere Recruiting-Prozesse empfehlen wir künftig gleichfalls die stärkere Einbeziehung von Schreibübungen als Entscheidungsbasis. (Helmut Spudich, 22.9.2021)