Der Statistiker Erich Neuwirth kritisiert, dass einige Covid-Informationen nicht zentral erfasst werden.

Foto: STANDARD / Regine Hendrich

Der Rechnungshof kritisiert die Datenpolitik der Bundesregierung während der Corona-Pandemie: Ein Rohbericht des parlamentarischen Kontrollorgans prangert etwa an, dass das Epidemiologische Meldesystem (EMS) nicht mit Krankenanstalten verbunden ist. Der Statistiker Erich Neuwirth stimmt in die Kritik ein. Er fordert eine zentrale Erfassung von Daten statt der "buschtrommelartigen" Verbreitung von Informationen.

STANDARD: Wie wäre aus Ihrer Sicht die ideale Situation bei Covid-Daten in Österreich?

Neuwirth: Für mich als Statistiker wären anonymisierte Einzeldaten ideal. Dann kann ich mir daraus alles ableiten, was ich brauche. Für die allgemeine Öffentlichkeit ist das sicher zu viel. Außerdem gibt es da ein ernsthaftes Datenschutzproblem, weil man diese individualisierten Daten unter Umständen zu Einzelpersonen zurückverfolgen kann. Das soll der Datenschutz ja verhindern, und dieses Argument verstehe ich auch.

Man kann mit den derzeitigen Daten aber nicht herausfinden, wie viele Patienten mit Covid-19 überhaupt in Spitäler eingeliefert worden sind. Veröffentlicht werden nämlich nur die Belagszahlen, nicht aber die Zu- oder Abgänge. Das ist ein Problem, denn wenn doppelt so viele Leute nur halb so lange liegen, kommt man auf dieselben Belagszahlen, wie wenn halb so viele Leute doppelt so lang liegen. Dass es die Zahlen der Zu- und Abgänge nicht gibt, halte ich daher für einen ganz schweren Fehler. Es wäre nämlich wichtig zu wissen, wie viele Personen bisher mit der Diagnose Covid-19 ins Spital und auf die Intensivstation mussten.

Erich Neuwirth ist emeritierter Professor für Statistik und Informatik an der Universität Wien.
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Bei den Einzelzahlen könnte man auch bei jedem Fall schauen, wann jemand diagnostiziert worden ist, ins Spital gekommen ist, wie lang der Aufenthalt war und wann die Person wieder entlassen werden konnte. Ebenso wäre es nützlich, zusätzlich zu wissen, ob der Patient verstorben ist und ob der Tod auf der Intensiv- oder Normalstation eingetreten ist. All diese Informationen haben wir aber nicht. Die Zahlen, die wir jetzt haben, sind einfach zu grob und zu wenig detailliert.

STANDARD: Wie könnte man die Datenlage verbessern?

Neuwirth: Momentan wäre das Wichtigste, Spitals- und Impfdaten zu verknüpfen. Die Spitalsdaten sollten nicht nur die Belagsdaten, sondern die Zu- oder Abgänge ausweisen. Ich wäre zunächst einmal schon sehr froh, wenn es das gäbe. Wenn man die Spitalsfälle mit dem EMS verknüpft und das vielleicht noch mit den Sozialversicherungsdaten, könnte man sehen, welche Berufsgruppen besonders gefährdet sind. Das geschieht derzeit nicht oder wird zumindest nicht publiziert. Das wäre datenschutzrechtlich heikel, aber aus gesundheitspolitischer Sicht sehr hilfreich.

Auf der Forschungsdatenplattform, zu der ich Zugang habe, gibt es sogar Einzelfalldaten. Da sieht man, wie alt jemand ist und wann er krank und wieder gesund geworden ist. Wenn man das mit dem Impfstatus verbinden könnte, wäre das schon eine ganz entscheidende Information. Der Impfstatus ist in diesen Daten aber nicht miterhoben. Deshalb gibt es derzeit auch keine umfassenden Daten darüber, wie viele Covid-19-Spitalspatienten geimpft sind und wie viele nicht. Wir erfahren das nur anekdotisch aus einzelnen Spitälern. Es gibt die Morgenmeldungen der Länder an das Gesundheits- und Innenministerium mit den aktuellen Zahlen der Spitalspatienten, es gibt aber keine zentrale bundesweite Datenbank, wo das alles gespeichert ist und man auch geordnete Analysen machen kann. Das halte ich für einen der größten Fehler: dass einige der Daten gar nicht zentral erfasst werden, sondern im Rahmen einer morgendlichen Videokonferenz buschtrommelartig aus den Bundesländern an die Ministerien weitergegeben werden.

STANDARD: Wie würde eine bessere Datenlage konkret zur Pandemiebekämpfung beitragen?

Neuwirth: Es gäbe vor allem konsolidierte Informationen für die Öffentlichkeit, wie sehr die Impfung hilft oder nicht. Es gibt gerade die schlimmsten Gerüchte, was bei der Impfung alles passiert. Es wäre hilfreich, wenn man sagen könnte: So viele der Hospitalisierten waren geimpft, so viele nicht. Diese Zahlen gibt es aber nicht. Auch wenn wir etwas über die Belagsdauern wüssten, wären Aussagen möglich, ob beispielsweise Geimpfte kürzer im Spital bleiben müssen als Ungeimpfte. Solche Aussagen hielte ich für extrem wichtig – die sind derzeit aber unmöglich zu machen.

STANDARD: Sie haben immer wieder über Datenschutz angesprochen. Welche Rolle spielt dieser Aspekt in der ganzen Diskussion?

Neuwirth: Grundprinzip des Datenschutzes ist es, dass durch Verknüpfung von Daten nicht möglich sein darf, Informationen über Einzelpersonen zu erfahren und einzeln identifizieren zu können. Das ist ein sinnvolles Prinzip. Im Epidemiegesetz steht allerdings, dass im Krisenfall der Gesundheitsminister da schon mehr Rechte hat. Und dass in dem Fall Datenschutz nicht das oberste Prinzip ist. Wie gesagt: Was jemand über jemand anderen wissen soll, ist immer eine heikle Frage. Wenn aber die Folge des Datenschutzes ist, dass wir gesundheitspolitisch nicht so effizient sein können, wie wir anders sein könnten, dann ist zu überdenken, wie sinnvoll da möglicherweise zu übertriebener Datenschutz ist. Dass die Verknüpfung von Daten auch datenschutzwahrend möglich ist, zeigt die Statistik Austria, die beispielsweise die Volkszählung so durchführt. (Ana Grujić, 20.9.2021)