Mehr und bessere Wiesel-Züge, wie die Doppelstockwagen vor mehr als zwanzig Jahren genannt wurden, braucht es in der Ostregion. Aber die ÖBB bekommt Verspätung.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Der Zeitplan der ÖBB-Zugbeschaffungen gerät gehörig in Verzug. Nach dem Debakel in Vorarlberg, wo der Zugausrüster Alstom/Bombardier mit der Lieferung von 21 Elektrotriebzügen seit zwei Jahren in Verzug ist, reißt nun auch die auf 400 Millionen Euro taxierte Bestellung von Doppelstockzügen für den Einsatz in Niederösterreich und Wien eine saftige Verspätung auf.

Der Grund: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zuschlagserteilung an den schweizerischen Anbieter Stadler Rail am 10. September für nichtig erklärt. Dies deshalb, weil die Angebotsprüfung durch die ÖBB-Personenverkehr AG fehlerhaft war, erfuhr DER STANDARD in ÖBB-Aufsichtsratskreisen. Der Auslöser ist brisant und für die zuständigen Sachbearbeiter in der Bahn eine Blamage: Stadler hatte sein Angebot mit digitaler Signatur abgezeichnet, allerdings nicht mit der richtigen. Denn die schweizerische Version der elektronischen Unterschrift wird in der EU nicht anerkannt. Die Schweiz ist zwar der EU durch bilaterale Abkommen eng verbunden, vollendet wurde die Partnerschaft mittels Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aber nie. Die verwendete Signatur ist offenbar nicht grenzüberschreitend gültig.

Versteckter Mangel

Erkannt hat diesen Mangel übrigens nicht Alstom Transport Austria, wie die vom französischen Bahntechnikkonzern Alstom übernommene Bombardier Transportation Austria seit der Übernahme heißt. Alstom hatte im August, wie DER STANDARD exklusiv berichtete, gegen die Vergabe des Millionenauftrags an Stadler Einspruch beim Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Gestolpert ist die ÖBB nicht über die in der Verhandlung am 17. August unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgebrachten Einwände der Franzosen. Es war der Richter, der die Legitimation des von Stadler gelegten und von der ÖBB zugelassenen Angebots überprüfte und prompt diesen gravierenden Mangel feststellte. Ohne Einspruch wäre der Fehler nie bekannt geworden.

Angebotsprüfung fehlerhaft

Die ÖBB hätte sich und allen Teilnehmern an der Ausschreibung bei genauer Prüfung viel Aufwand erspart. Denn ein nicht ordnungsgemäß unterfertigtes Angebot hätte nie in das auf die Bekanntmachung folgende Verhandlungsverfahren kommen dürfen.

Nun hat die Staatsbahn ein veritables Problem: Sie hat kaum mehr Anbieter für das nun folgende neuerliche Ausschreibungsverfahren. Siemens hatte an der Ausschreibung gar nicht teilgenommen, weil sich der deutsche Elektromulti aufgrund der Bauweise seiner Dosto-Modelle außerstande sah, die geforderte Zahl an Sitzplätzen zu liefern. Alstom/Bombardier wurde vom Doppelstock-Auftrag aufgrund der massiven Lieferschwierigkeiten bei den Vorarlberger Single-Deck-Zügen ausgeschieden (der Talent-3 hat noch immer keine Zulassung der Eisenbahnbehörde). Bleibt einzig Stadler Rail, die nach dem Debakel bei der Vergabe eigentlich Schadenersatz verlangen könnte, weil der immense Aufwand des Verhandlungsverfahrens für die Katz war, wie es ein mit der Materie vertrauter Eisenbahner ausdrückt. Stadler beliefert die Westbahn seit 2011 mit Doppelstockzügen.

Neues Angebot, neue Züge

In jedem Fall scheint die Auslieferung der ersten vier-, fünf- und sechsteiligen Doppelstockzüge (die genaue Anzahl an bestellten Zügen war am Montag nicht in Erfahrung zu bringen) bis Dezember 2024 hochgradig unrealistisch. Das wiederum bringt die ÖBB unter Druck, denn die neuen Dostos, wie Doppelstockwagen in der Bahnbranche genannt werden, müssen zum Winterfahrplanwechsel auf Schiene sein, denn da ist im Verkehrsverbund Ostregion einiges an Angebotsausweitung geplant, die im Verkehrsdienstevertrag bereits fix vereinbart ist.

Auf die Frage nach Alternativen gab es bei der ÖBB am Montag beredtes Schweigen. Von einem "Desaster obersten Ranges" ist die Rede. Über Konsequenzen für den für Einkauf und Recht zuständigen Vorstandsdirektor will man offiziell noch nicht nachdenken. Das Vorstandsmandat von Heinz Freunschlag, einem Vertrauten von ÖBB-Holding-Finanzchef Arnold Schiefer, wurde erst vor wenigen Monaten verlängert. (Luise Ungerboeck, 20.9.2021)