Im "Grauen Haus" verhandelt ein Schöffensenat die versuchte Vergewaltigung eines Mädchens im Jahr 2019.

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Wien – Andreas Böhm, Vorsitzender des Schöffengerichts im Verfahren gegen Herrn L., ist kein Mann der subtilen Zwischentöne. "Der Angeklagte hat einen völlig unglaubwürdigen Eindruck abgegeben. Ganz im Gegensatz zum Opfer", sagt er in seiner Begründung, nachdem der Senat den 56-jährigen L. wegen versuchter Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs einer Unmündigen nicht rechtskräftig zu drei Jahren Gefängnis verurteilt hat. Das Opfer, von dem Böhm spricht: das damals elfjährige Nachbarmädchen.

Die Vorwürfe der Staatsanwältin wiegen schwer: Im Jahr 2019 soll der unbescholtene syrische Familienvater sich in seiner Wohnung an dem Kind vergangen haben, als das Mädchen ihm Essen brachte.

Angeklagter ändert Verantwortung

Die Glaubwürdigkeitseinschätzung des Vorsitzenden beruht darauf, dass L. bei der Polizei noch gesagt hatte, das Kind sei öfters bei ihm zu Gast gewesen, und es sei zu Umarmungen und Küssen auf den Mund gekommen. Vor Gericht lässt der Angeklagte nun übersetzen, nichts von den Behauptungen des Kindes sei wahr. Einmal habe er Essen der benachbarten Familie entgegengenommen, das das Kind an seine Tür gebracht hatte. Dafür habe er sich mit einer Umarmung bedankt.

Sein Wahlverteidiger ist überzeugt, sogar ein Alibi für seinen Mandanten liefern zu können: Der Sohn des Angeklagten meldete sich über einen Monat nach dessen Festnahme. Und sagte aus, er sei damals auch in der Wohnung gewesen, und es habe keine besonderen Vorfälle gegeben.

Eben das ist es, was Böhm misstrauisch macht: Beim Tattag soll es sich um den 31. Dezember 2019 gehandelt haben. Wenn nichts Besonderes passiert sei – warum könne der Sohn sich dann noch erinnern? "Meine Mutter und meine Schwester waren damals in Finnland, mein Vater hatte hohen Blutdruck und eine Operation hinter sich, deshalb war ich damals bei ihm", sagt der Sohn zunächst.

Essensspenden nur bei Abwesenheit von Frauen zulässig

Es sei das einzige Mal gewesen, dass das Mädchen Essen aus der Nachbarwohnung gebracht habe. "Woher wollen Sie das wissen?", fragt der Vorsitzende. "Gemäß unserer Tradition ist es nicht zulässig, dass man Essen bringt, wenn eine Frau in der Wohnung ist", lässt der Zeuge übersetzen. Und da damals eben weder Mutter noch Schwester im Lande gewesen seien, könne es nur einmal vorgekommen sein, ist der Sohn überzeugt.

Der dann auf mehrmaliges Nachfragen Böhms allerdings zugeben muss, in einem anderen Zimmer gesessen zu sein und nicht sagen zu können, wie viel Zeit zwischen dem Klopfen des Mädchens und dem Erscheinen seines Vaters mit dem Essenstablett vergangen war. So, wie das Mädchen das Verbrechen unter Ausschluss der Öffentlichkeit schildert, handelte es sich aber nur um wenige Minuten.

Große Schwester half beim Blockieren der Nummer

Interessanter ist die Aussage der älteren Schwester des Kindes. Die kann sich nämlich noch erinnern, dass die Elfjährige unmittelbar danach zu ihr ins Zimmer kam und sagte, der Nachbar habe sie "geküsst". Und sie bat die große Schwester, die Nummer des Nachbarn auf dem Mobiltelefon des Mädchens zu blockieren, da sie nicht wusste, wie das ging.

Erst im Frühjahr 2021 erzählte das Kind Freundinnen, dass es damals nicht nur zu einem Kuss, sondern zu einer versuchten Vergewaltigung gekommen sein soll. Gemeinsam ging man zur Polizei und erstattete Anzeige. Der Angeklagte habe ihr damals einen Saft versprochen, deshalb sei sie in die Wohnung gegangen, gibt das Kind an. Was offensichtlich für den Senat ihre Glaubwürdigkeit erhöht: Sie hat bei der Polizei und der kontradiktorischen Einvernahme durch das Gericht im Gegensatz zum Angeklagten stets eine gleichlautende Geschichte erzählt.

Der mittlerweile geschiedene L. kann die Entscheidung des Gerichts nicht fassen und bricht in Tränen aus, als ihm das Urteil übersetzt wird. Da sein Verteidiger Bedenkzeit nimmt und die Staatsanwältin keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 21.9.2021)