Mit der Veröffentlichung eines anregenden Sammelbandes – 30 Ideen für Europa (Czernin-Verlag) – feierte kürzlich die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik ihre 30 Jahre der Förderung einer "konstruktiv-kritischen Europa-Debatte".

Die Beschwichtigungspolitik von Sebastian Kurz löst nicht nur in Österreich Verblüffung und Proteste aus.
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In einem Beitrag mit dem Titel "Wider den autoritären Zeitgeist. Für ein demokratisches und freies ,Morgen‘ muss die EU kämpfen" beschreibt der bekannte Balkanexperte Vedran Džihić mit konkreten Beispielen den Demokratieabbau, geprägt von einem autoritären und demokratiefeindlichen Nationalismus in Ungarn und Polen, Slowenien und Serbien. In diesem Zusammenhang betont der Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Internationale Politik, dass der Ausgang der entscheidenden Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autarkien von der Fähigkeit und Bereitschaft der EU abhängen werde, das gesamte politische Kapital einzusetzen, um die liberale und offene Gesellschaft zu verteidigen. Er fügt hinzu, dass "Taktieren mit den europäischen Autokraten" sie nicht zähmen und von den Vorzügen der Demokratie überzeugen lässt.

Es geht in der Tat um die auch in dieser Publikation fachkundig behandelte zukünftige Entwicklung der Europäischen Union. In der großen Debatte über den Kampf um die Zukunft der europäischen Demokratie plädiert nicht nur Džihić für die Verknüpfung des Zugangs zu den EU-Geldern mit der Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundregeln.

Untergrabung des Rechtsstaates

Noch schärfer forderte der angesehene britische Historiker Timothy Garton Ash kürzlich in einem Interview mit Euronews die Verbindung zwischen dem "Europa der Werte" und dem "Europa des Geldes". Er sprach von einem "abscheulichen Zustand", dass Ungarn und Polen, die die europäischen Werte massiv verletzen und gegen die EU-Organe hetzen, noch immer Milliarden in EU-Fonds bekommen. Viktor Orbán als "symbolischer Führer des antiliberalen, ethnisch-nationalistischen, sozial-konservativen Europas", unterstützt von Matteo Salvini, Marine Le Pen, Nigel Farage, Geert Wilders, sei eine der größten Bedrohungen der Europäischen Union.

Zahlreiche Berichte des Europa-Parlaments und der EU-Kommission, Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs und der EU-Staatsanwaltschaft bestätigen die Untergrabung des Rechtsstaates, die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die blühende Korruption in Ungarn und Polen. Ein ähnlicher Wind weht sogar in Slowenien und in dem um die EU-Mitgliedschaft werbenden Serbien.

Dass ein österreichischer Bundeskanzler in dieser von allen westlichen Qualitätszeitungen einhellig beschriebenen Situation "mehr Fairness" gegenüber Polen und Ungarn wünscht und sein Außenminister vor "einer Zweiklassengesellschaft innerhalb Europas" warnt, löst nicht nur in Österreich zu Recht Verblüffung und Proteste aus.

Eine solche kontraproduktive Beschwichtigungspolitik könnte die Bürger empören, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass sie mit ihren Steuergeldern gefestigte autoritäre und obendrein hochgradig korrupte Systeme finanzieren.

Mir fällt die Warnung des US-amerikanischen Dichters Charles Simic ein: "Auf dem Balkan sagt man, es gibt nichts Gefährlicheres als Politiker, die an ihre eigenen Märchen glauben." (Paul Lendvai, 21.9.2021)