Anett Fritsch (Anima) und Daniel Schmutzhard (Corpo) müssen allerlei Versuchungen widerstehen.

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Das Jahr 1600 wurde in der Ewigen Stadt groß gefeiert. Papst Clemens VIII. hatte es zum "Heiligen Jahr" ausgerufen, um der Reformation Paroli zu bieten und um das Volk daran zu erinnern, dass es nur einen wahren Glauben gibt – den katholischen. Die Botschaft war einfach: Wer danach lebt, findet Erlösung, der Rest landet in der Hölle. Oberste Maxime war die Verbindung zwischen Körper und Seele, die, fern aller irdischen Versuchungen, ewiges Leben schenkt.

Die großen Fragen des Lebens verhandelt auch Emilio de Cavalieris Rappresentatione di Anima et di Corpo. Inspiriert von den mittelalterlichen Mysterienspielen hatte Cavalieri es anlässlich der römischen Feierlichkeiten komponiert. Entsprechend prominent war das Publikum der Uraufführung, darunter 15 Kardinäle, hohe Geistliche und Aristokraten.

Gesungen wurde in prachtvollen Kostümen, und die dramatische Struktur des Werks sowie das unmittelbare Spiel mit den Affekten deuten darauf hin, dass es sich hier um das erste erhaltene Stück Musiktheater handelt. Erst sieben Jahre später fand in Florenz mit Monteverdis Orfeo die offizielle Geburtsstunde der Oper statt.

Himmlische Klänge

Im Theater an der Wien hat Robert Carsen Cavalieris Allegorienspiel neu inszeniert und ins Hier und Jetzt geholt. Und so wuselt es zu Beginn auf der Bühne nur so von Menschen in Alltagskleidern. "Worum geht es eigentlich?", fragt eine Frau. "Um Leben und Tod und um Gott." "Gott ist tot!", ruft ein Mann. Und: "Religion ist nur Theater!" Auf ein babylonisches Sprachgewirr folgt endlich Musik.

Das fantastische Il Giardino Armonico und Dirigent Giovanni Antonini lassen wahrhaft himmlische Klänge aus dem Graben emporsteigen, während es auf der Bühne ans Eingemachte geht: In Jeans und Chelsea-Boots begeben sich der Körper (Daniel Schmutzhard) und die Seele (Anett Fritsch) auf die gemeinsame Suche nach dem höheren Sinn des Lebens. Dabei müssen sie naturgemäß allerlei Versuchungen widerstehen, etwa wenn das Vergnügen (Margherita Maria Sala) und ihre Gefährten in knappen feuerroten Kostümen zum erotischen Bacchanal laden. Kurze Zeit später wartet die nächste Verlockung: Mondo (die Welt) und Vita Mondana (das weltliche Leben) in Gestalt von Georg Nigl und Giuseppina Bridelli samt Gefolge wollen das Paar mit Gold und Reichtum verführen. Da kann selbst die sonst so selbstbeherrschte Seele nur schwer widerstehen.

Doch hinter der glitzernden Fassade verbirgt sich körperlicher Verfall. Sind die Hüllen erst einmal gefallen, bleiben ausgemergelte, faltige und schwache Körper. Nigl und Bridelli winden sich auf dem Boden, und auch von den einst verführerischen Stimmen ist nichts mehr übrig. Animo und Corpo sind erleichtert, dem Sündenpfuhl entkommen zu sein, und ziehen weiter.

Der Weg zur Erlösung ist ein steiniger – gut, dass ihnen dabei immer wieder der Verstand (Cyril Auvity), der Gute Rat (Florian Boesch) und der Schutzengel (Countertenor Carlo Vistoli) zu Hilfe eilen.

Fabelhafte Bilder

Abgesehen von einigen wenigen Farbtupfern aus Rot und Gold beschränkt sich Robert Carsen, der gemeinsam mit Kostümbildner Luis Carvalho auch das Bühnenbild entworfen hat, auf Schwarz und Weiß. Die Ausstattung ist minimalistisch: Ein bewegliches Portal symbolisiert die verschiedenen Stationen, effektvoll eingesetztes Licht sorgt für die entsprechende Stimmung.

Dabei gelingen fabelhafte Bilder – in der Luft schwebende Körper zwischen Himmelsfreuden und Höllenqualen stehen für ewiges Licht und ewiges Feuer. Gesanglich und darstellerisch ist das Ganze ein Fest: dem ausgezeichneten Ensemble stehen der herausragende Arnold Schoenberg Chor und eine virtuose Tanzcompagnie (Choreografie von Lorena Randi) zur Seite.

Am Ende dieser aufreibenden Reise werden alle mit einer ausgelassenen Fête blanche belohnt. Es gibt großen Jubel für alle Beteiligten. (Miriam Damev, 21.9.2021)