Er kann sich freuen: Die Partei Wladimir Putins hat bei der Parlamentswahl erneut eine überwältigende Stimmenmehrheit errungen, Kritik gibt es aber angesichts der zahlreichen Unregelmäßigkeiten.

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Moskau – Die Kreml-Partei Einiges Russland hat sich bei einer von Manipulationsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl nach rund 20 Jahren an der Macht erneut zum Sieger ausrufen lassen. Zwar musste die Partei im Vergleich zur letzten Abstimmung 2016 wegen großer Unzufriedenheit der Menschen mit der Kremlpolitik deutliche Verluste hinnehmen. Dennoch sprach ihr die von Präsident Wladimir Putin eingesetzte Wahlleiterin Ella Pamfilowa in Moskau erneut die absolute Mehrheit zu.

Anhänger der Opposition zeigten sich entsetzt vom Ausgang und sprachen von Wahlen, die den Menschen gestohlen worden seien.

Kommunistische Partei als starke Zweite

Zulegen bei der Wahl konnten erwartungsgemäß die Kommunisten, die von der Stimmung im Land profitierten. Viele Menschen klagen über sinkende Löhne bei rasant steigenden Preisen. Die Wahlbeteiligung wurde mit 51,6 Prozent angegeben. Nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen lag Einiges Russland bei 49,8 Prozent. Die Kommunisten landeten demnach bei 18,9 Prozent, die Rechtspopulisten der LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski nach massiven Verlusten bei 7,5 Prozent und die Partei Gerechtes Russland bei 7,5 Prozent.

Knapp über der Fünf-Prozent-Hürde lag die neue Partei Neue Leute. Sie ist mit 5,3 Prozent die fünfte Partei im bisherigen Vier-Parteien-Parlament. Alle Kräfte gelten als Kreml-nah.

Die vom russischen Präsidenten unterstützte Partei Geeintes Russland feierte bereits am Sonntagabend, als erst wenige Stimmen ausgezählt waren, ihren Sieg. "Putin, Putin, Putin, Putin" und "Sieg", rief Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin. Das Ergebnis sei eine Bestätigung des Kurses des Kremlchefs.

Vorbereitung für Präsidentschaftswahl

In Russland wird 2024 ein neuer Präsident gewählt – Kommentatoren sehen den Ausgang der Wahl als Weichenstellung für eine mögliche neue Kandidatur des 68 Jahre alten Putins.

Einiges Russland ist die wichtigste Machtbasis für den Staatschef – sie erzielte eine Mehrheit von mehr als 300 der 450 Sitze im Parlament dank vieler Direktmandate. 225 Sitze werden über Direktmandate vergeben. Im Vergleich zur Wahl 2016 muss die Kremlpartei allerdings Verluste hinnehmen. Damals kam sie auf 54,20 Prozent der Stimmen. Die Kommunisten legten deutlich zu – sie waren vor fünf Jahren auf 13,35 Prozent gekommen.

Verbündete Nawalnys kritisieren "schmutzige Wahl"

Umfragen hatten Einiges Russland angesichts der großen Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage vor der Wahl bei weniger als 30 Prozent gesehen. Die Opposition wirft dem Machtapparat Manipulationen der Wahl zugunsten der Kremlpartei vor. Das Team um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny sprach von Wahlbetrug, den niemand hinnehmen sollte.

Nawalnys Mitarbeiter Leonid Wolkow kritisierte beim Kurznachrichtendienst Twitter: "Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 – viel schmutziger." Die unabhängigen Wahlbeobachter der Organisation Golos hatten mehr als 4000 Verstöße aufgelistet. Besonders verbreitet waren demnach unter anderem erzwungene Stimmabgaben etwa unter Staatsbediensteten.

Golos kritisierte auch Unregelmäßigkeiten bei der Online-Abstimmung in Moskau. Dort hatten zunächst andere Kandidaten als die der Kremlpartei nach Auszählung der Stimmzettel gewonnen. Dann wurden mit starker Verspätung die Online-Daten veröffentlicht – und überall standen dann Kremlkandidaten als Sieger.

Wahlleiterin Pamfilowa und das Innenministerium bestätigten zwar einzelne Verstöße. Die Wahlleitung ließ auch Tausende Wahlzettel annullieren. Pamfilowa sprach aber von einer unbedeutenden Zahl an Beschwerden, die keinen Einfluss hätten auf die Abstimmung insgesamt.

In Russland und im Ausland waren von Freitag bis Sonntag rund 110 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen gewesen. 14 Parteien waren zugelassen, aber nicht die Opposition.

Nawalnys Anhänger zeigten sich entsetzt vom Ausgang der Wahl. Sie hatten mit der "schlauen Abstimmung" zu einer Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen, um so ihr Machtmonopol zu brechen. Bei der "schlauen Abstimmung" sollten die aussichtsreichsten Kandidaten anderer Parteien gewählt werden, nur nicht die von Einiges Russland. Wolkow sagte mit Blick auf das "nachgebesserte" Ergebnis für die Kremlpartei, dass so Wahlen aussähen, die den Menschen gestohlen würden.

Die Kommunisten kündigten Straßenproteste an, weil sie viele in Moskau sicher geglaubte Mandate nach der Online-Zählung plötzlich wieder verloren. Allerdings lehnte das die Stadtverwaltung wegen der Corona-Pandemie kategorisch ab. Der Parteichef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, glaubt, dass Geeintes Russland bei "objektiver Betrachtung" nicht mehr die absolute Mehrheit erreicht habe. Er warnte einmal mehr vor Wahlbetrug. Die Kommunisten meinten, dass unter der Kremlpartei und Putin kein Fortschritt zu erwarten sei.

Später ist es in Moskau dennoch zu Protesten gekommen. Am Puschinkplatz im Zentrum der Hauptstadt versammelten sich am Montagabend schätzungsweise 300 Menschen friedlich und forderten den Rücktritt von Staatschef Wladimir Putin, wie der Radiosender Echo Moskwy berichtete. Sie folgten demnach einem Aufruf der Kommunisten, die sich bei der Abstimmung massiv um Stimmen gebracht sehen.

In Videos, die im Nachrichtenkanal Telegram verbreitet wurden, war eine riesige Menschenmenge zu sehen – trotz schlechten Wetters. Die Menge skandierte etwa "Russland ohne Putin" und "Wir werden nicht vergeben". Zunächst gab es keine Angaben über Festnahmen. Die Moskauer Stadtverwaltung lehnt Straßenproteste wegen der Corona-Pandemie kategorisch ab.

Wahlbetrug ist Risiko für den Kreml

Auch unabhängige Beobachter kritisierten die Abstimmung als reinen Machtbeweis Putins. "Es geht hier nicht um Wahlen", sagte die russische Politologin Tatjana Stanowaja. Vielmehr habe der Machtapparat gezeigt, dass er "Mehrheiten" für den Kreml organisieren könne. Die Kritiker des Kreml hätten erhalten, was sie wollten: "Sie haben Fälschungen erwartet und welche bekommen."

Zugleich sprach sie von einem "gefährlichen Spiel" mit der Machtkonstruktion in Russland. Die Kommunisten hätten weniger Stimmen zugestanden bekommen von der Wahlleitung als erwartet. Stanowaja nannte es ein Risiko für den Kreml, sich die Kommunistische Partei zum Feind zu machen: Es bestehe für Putin die Gefahr, dass sich die Kommunisten von einer System- in eine Oppositionspartei verwandeln.

EU und USA beklagen Unregelmäßigkeiten

Die EU übte scharfe Kritik am Ablauf des Urnengangs. Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, warf Moskau am Montag in Brüssel eine "Atmosphäre der Einschüchterung aller kritischen unabhängigen Stimmen" vor. "Wir haben eine Reihe von Berichten unabhängiger Beobachter vor Ort, die auf viele Unregelmäßigkeiten während dieser Wahl hinweisen", betonte der Sprecher. Die EU bemängelte zudem den Ausschluss "internationaler, unabhängiger und glaubwürdiger Beobachter" bei der Wahl, wie sie normalerweise von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gestellt werden.

Das US-Außenministerium erklärte am Montag, die Russen seien bei der Wahl "daran gehindert worden, ihre Bürgerrechte und ihre politischen Rechte auszuüben". Die Duma-Wahlen seien unter Umständen abgehalten worden, die einer "freien und fairen" Abstimmung "nicht förderlich" gewesen seien.

Außenamtssprecher Ned Price verwies unter anderem auf das Gesetz zu "extremistischen Organisationen", das unter anderem gegen den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny eingesetzt worden war. Dies habe "den politischen Pluralismus stark eingeschränkt". (APA, 20.9.2021)