Wie ist das eigentlich mit dem Weltkulturerbe? Wenn man Ruth Veronika Pröckl in ihrem Büro in der Sektion IV Kunst und Kultur besucht, sieht man erst einmal: viel Papier. Verdammt viel Papier. Mehr als 2.000 Seiten hat allein der zweibändige Bericht über das Donaulimes-Projekt, das heuer Weltkulturerbe wurde, der auf ihrem Schreibtisch thront.

Was soll in Zukunft für die Menschheit erhalten werden? Das ist eine Frage in Großbuchstaben. Um sie zu beantworten, braucht es viel Organisation. Beim Denkmalschutz wird "das öffentliche Interesse amtswegig festgestellt", dann ist man – mehr oder weniger erfreut – plötzlich Besitzer eines Denkmals.

2.000 Seiten hat allein der Bericht über das Donaulimes-Projekt aus dem Büro von Weltkulturerbe-Koordinatorin Ruth Pröckl.
Foto: Regine Hendrich

"Welterbe funktioniert genau gegenteilig", sagt Pröckl: Für einen Antrag muss man selbst definieren, warum das Projekt "von außergewöhnlichem universellem Wert ist", "outstanding universal value" (OUV) hat, "muss es beschreiben, definieren und beweisen, das wird dann evaluiert von Icomos international" (dem Internationalen Rat für Denkmalpflege). Dann gibt es eine Empfehlung. Oder Fragen, die beantwortet werden müssen.

Außergewöhnlich! Universell!

Schnellen Erfolg gibt es nicht. "Man muss schon Überzeugungstäter sein, man darf nichts persönlich nehmen. Man braucht Durchhaltevermögen und ein bisschen Fantasie: Man muss sich überlegen, wie kann ich was wem nahebringen. Weil ex cathedra etwas zu verkünden nützt gar nichts, da erzeugst du beim Gegenüber sofort eine Abwehrhaltung." Dann gibt es noch neun Bundesländer, neun verschiedene Bauordnungen, 2.100 Gemeinden und viel mehr Bürgermeister, die über Flächenwidmung entscheiden. "Auf beiden Seiten Kompromisse zu schließen ist ein Um und Auf", sieht das Pröckl entspannt. Und nein, "die Hardcore-Denkmalschützer, die sagen, es darf sich gar nichts ändern", haben auch nicht recht. Eine "adäquate Entwicklung" wird beim Welterbe gefordert. Das heißt nicht, "dass da ein Glassturz drüberkommt und man in einem Museum lebt".

Blauäugige Rechnung

Wie hat alles begonnen? Mit dem Bau des Assuan-Staudamms in Ägypten in den 1960er-Jahren. "Da wäre die riesige Tempelanlage von Abu Simbel im Stausee versunken. 50 Unesco-Staaten haben sich zusammengetan und das Budget aufgestellt, um diese Tempelanlage zu verlegen. Daraus ist der Gedanke entstanden, es müsste doch weltweit Kulturerbestätten und auch Naturerbestätten geben, die so wichtig sind, dass ihre Erhaltung von weltweiter Bedeutung ist und nicht nur für das Gebiet, auf dem sie sich befinden." Daraus entstand 1972 die Welterbekonvention.

Blauäugig rechnete man damals mit 100 schützenswerten Stätten. "Mittlerweile sind es 1.451, ein Ende ist nicht in Sicht", so Pröckl. Gut die Hälfte der Welterbestätten befinden sich in Europa. Insgesamt 194 Staaten haben die Konvention mittlerweile ratifiziert, 165 haben tatsächlich Welterbestätten, das ist auch eine Frage der Ressourcen oder in Konfliktgebieten und bei Naturkatastrophen ein schlichtes "Wir haben gerade andere Probleme".

Denkmalsschutz ist Klimaschutz

Die Idee des Denkmalschutzes und des Weltkulturerbes erforderte Änderungen in der Haltung. 1975 wurde in Deutschland das Internationale Jahr des Denkmalschutzes begangen, damit fand auch das "großräumige Wegräumen von Arealen, die im Krieg gar nicht zerstört worden waren", langsam ein Ende. Altbauten und Altstädte waren teilweise in schlechtem Zustand und hatten keinen guten Ruf, nur im Neubau sah man die Heilsversprechung (siehe auch in Wien: Spittelberg). Ein wichtiger Schritt in Österreich war 1978 die Ergänzung des Denkmalschutzes um den Ensembleschutz, "da ist das Bewusstsein für den Altbestand gekommen", auch das so Pröckl, "nicht ganz freiwillig". Die Ölkrise 1973 mit dem autofreien Tag gemahnte daran, dass "die Ressourcen nicht ohne Ende vorhanden sind. Und in so einer Situation zieht man sich gern auf das zurück, was man hat."

Wer sich mit dem Thema Weltkulturerbe beschäftigt, landet schnell beim Klimaschutz und bei der Ressourcenschonung. "Das Bauholz wird knapp, die Fertigteilbranche hat deshalb Probleme. Wenn ich jetzt ein altes Gebäude nutze, bin ich in der Ressourcenschonung und damit im Klimaschutz schon ganz vorne dabei, wenn ich eine Gesamtrechnung anstelle und in Lebenszyklen rechne. Da kann ich mich mit einem Neubau, der so klimaschonend wie nur irgendwie möglich errichtet ist, lange hinten anstellen." Bezieht man das in die Gesamtrechnung mit ein, kann man fast sagen, Denkmalschutz ist Klimaschutz.

Bauen als Investition

Ein Welterbeareal steigt im Wert, es wird damit auch geworben. Doch der "Entwicklungsdruck" muss sich einpassen in die fortbestehende Kulturlandschaft und ihren Grundcharakter, erklärt Pröckl am Beispiel der Wachau. Das klingt nach viel Streiterei, kann aber den Charakter einer Modellregion bekommen: Wer gezwungen ist, wegen des Welterbes eine "geschlossene Siedlungs- und Bauform" zu erhalten, stärkt Orts- und Stadtkerne und lernt auch Flächensparen, ein wesentlicher Schritt, um der in Österreich grassierenden Bodenversiegelung entgegenzutreten – nach dem Motto: Nur bauen, was man braucht. Mit Einbindung der Community – "Da muss man auch noch viel mehr machen als in den letzten 20 Jahren!" – kann das klappen. Ein Problem diesbezüglich hat man der Finanzkrise zu verdanken: "Jetzt wird auch viel als Finanzprodukt, als Investition gebaut".

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Das Heidentor ist Teil des Donaulimes und damit Weltkulturerbe.
Foto: Picturedesk/Weingartner

Wie kommt man zu so einem Beruf, Frau Pröckl? "Indem man Eltern hat, die einen schon in frühester Jugend rund um den Erdball schleppen. Mein Vater war Eisenbahner mit Leib und Seele". Also ging es 1976 nach Afghanistan, 1980 nach China mit der Transsibirischen Eisenbahn, 1991 nach Nordkorea. "Wenn man viel sieht von der Welt, kriegt man einen anderen Blick auf die Dinge." Es folgte ein Studium der Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Architekturgeschichte.

Insgesamt zwölf Welterbestätten gibt es in Österreich, von Kulturlandschaften wie dem Neusiedler See bis hin zu den Altstädten von Salzburg, Graz und Wien, aber auch einige Pfahlbauten, alte Wälder sowie die Semmeringbahn sind Welterbe. Noch steht die Wiener Innenstadt wegen des Hochhausprojekts auf dem Wiener Heumarkt auf der offiziellen Danger List, mit einem Kompromiss ist zu rechnen. Tatsächlich wurden bisher von den weit über 1000 Stätten nur drei gestrichen. Die Großglockner Hochalpenstraße ist übrigens auf der Liste für das Aufnahmeverfahren.

Grabsteine syrischer Soldaten

Heuer Weltkulturerbe geworden ist das Projekt Donaulimes, es soll in Zukunft von Großbritannien bis ans Schwarze Meer führen, entlang der Grenzen des Römischen Reiches. "Das war einmal ein riesiges Gebiet, das gemeinschaftlich verwaltet war. Wir haben in Carnuntum Grabsteine von syrischen Soldaten. Also die Syrer, die 2015 auf dieser Flüchtlingsroute nach Europa gekommen sind, sind gar nicht so andere Wege gegangen wie seinerzeit die römischen Soldaten, die von Mitteleuropa in den Nahen Osten gegangen sind oder bis nach Großbritannien. Es haben im Römischen Reich noch ganz andere Leute dazugehört, das muss man erst verinnerlichen", sagt Pröckl.

"Eines der charmantesten Welterbeprojekte, das zweite, das heuer eingeschrieben worden ist, sind die ‚Great Spas of Europe‘", schwärmt Pröckl. Elf Kurstädte in ganz Europa gehören dazu, unter anderem Baden bei Wien, aber auch Karlsbad, Marienbad, Franzensbad in Tschechien, Vichy in Frankreich, Baden-Baden in Deutschland, Montecatini Terme in Italien und natürlich Spa in Belgien, namentlich die Mutter aller Spas.

Wie kann man sich solche Projekte vorstellen? Ist das ein internationales Netzwerk von sympathischen Wahnsinnigen, die gemeinsam forschen und bewahren? Frau Mag. Pröckl lächelt sanft: "Manchmal." (Julia Pühringer, 21.9.2021)