Susanna Öllinger fordert, dass an den Schulen der Nutzen der Impfung aktiver thematisiert wird, um Falschinformationen entgegenzuwirken.

Foto: Standard/Newald

Susanna Öllinger ist die neue oberste Vertreterin von 1,1 Millionen Schülerinnen und Schülern. Die Oberösterreicherin, die eine AHS-Maturaklasse im Mühlviertel besucht, wurde am Sonntag mit großer Mehrheit zur Bundesschulsprecherin gewählt. Wie auch ihre Vorgängerinnen und Vorgänger der vergangenen 16 Jahre ist sie bei der als ÖVP-nah geltenden Schülerunion aktiv, die momentan 22 von 29 Mandaten in der Bundesschülervertetung stellt. Im Antrittsinterview mit dem STANDARD spricht Öllinger über Schulunterricht zur Impfung, den mitunter schädlichen Einfluss der Elternhäuser sowie über Gedichte und Steuerklärungen.

STANDARD: Schülerinnen und Schülern über zwölf können geimpft werden, trotzdem ist immer noch mehr als die Hälfte ungeimpft. Tut die Politik genug, um die Durchimpfung an den Schulen voranzutreiben?

Öllinger: Die Pandemie hat bewiesen, wie schnell sich Fake-News verbreiten. Junge Menschen nutzen vor allem soziale Medien, und dort kursieren viele falsche Gerüchte. Zum Beispiel, dass man nach der Impfung keine Kinder mehr bekommen kann. Dagegen braucht es Aufklärungsarbeit an den Schulen. Man muss mit faktenbasierter Information versuchen, solche Ängste zu widerlegen.

STANDARD: Sollte man die Impfung in den kommenden Wochen direkt im Unterricht, etwa in Biologie, zum Gegenstand machen?

Öllinger: Es sollte auf jeden Fall von Personen gemacht werden, die das nötige Wissen in dem Bereich haben. Das kann mitunter der Biologielehrer sein, doch man muss vorsichtig sein: Es gibt ja leider auch unter Lehrpersonen Impfverweigerer und Corona-Leugner. Man sollte auch versuchen, Ärzte an die Schule zu holen oder Wissenschafter von der Uni.

STANDARD: Passiert das momentan an den Schulen?

Öllinger: Das Impfthema ist allein dadurch präsent, dass in jeder Klasse Geimpfte und Ungeimpfte sitzen. Das sorgt für Gesprächsstoff. Aber inwiefern das Thema von den Schulen aufgegriffen wird, hängt sehr von den individuellen Lehrpersonen ab. Aus meiner Sicht bräuchte es hier einen generellen, aktiveren Zugang zur Aufklärung. Kinder und Jugendliche wohnen zu Hause und sind dadurch automatisch stark vom Meinungseinfluss der Eltern geprägt. Die Schule muss für Schüler die Möglichkeit eröffnen, sich auch unabhängig vom Elternhaus eine Meinung zur Impfung zu bilden. Ich finde es schlimm, wenn Kinder zum Opfer ihrer Eltern werden, nur weil diese eine Einstellung zu einer Pandemie haben, die der Faktenlage widerspricht.

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STANDARD: Zuletzt haben dreimal so viele Eltern wie sonst ihre Kinder für den häuslichen Unterricht angemeldet und damit aus der Schule genommen. Sehen Sie darin ein Problem?

Öllinger: Dieser Anstieg ist schockierend. Schülerinnen und Schüler waren anderthalb Jahre hauptsächlich im Distance-Learning oder Schichtbetrieb. Jetzt gibt es endlich wieder normalen Präsenzunterricht, und dann werden manche erst recht wieder zu Hause gelassen. Kinder haben ein Recht auf Bildung und ihre sozialen Kontakte, man sollte also auf jeden Fall genau kontrollieren, wieso sie von der Schule abgemeldet wurden.

STANDARD: In der Lehrerschaft ist jeder Fünfte ungeimpft. Wie beurteilen Sie das?

Öllinger: Ich finde es nicht okay, wenn Kinder unter zwölf und auch ältere Schüler, die noch nicht geimpft sind, einer ungeimpften Lehrperson ausgesetzt sind. Die junge Generation hat mehr als ein Jahr zurückgesteckt – teils aus Selbstschutz, aber vorwiegend aus Solidarität mit den Älteren, die häufig schwerer erkranken. Jetzt hat sich die Situation gedreht, und die Älteren, für die es Impfstoffe gibt, sollten sich dem Schutz der Jüngeren verschreiben. Insbesondere, da das Virus durch Mutationen über die Pandemie auch für Junge gefährlicher wurde.

STANDARD: Soll eine Lehrerimpfpflicht verhängt werden?

Öllinger: Momentan würde ich noch nicht so weit gehen. Es ist schwierig, nur eine Berufsgruppe herauszugreifen. Aber wenn wir die Infektionszahlen weiterhin nicht in den Griff bekommen, sollte man eine Impfpflicht durchaus andenken.

STANDARD: Wir haben jetzt viel über Corona gesprochen. Ist das symptomatisch für Ihren Alltag? Oder kommt man als Schülervertretung auch zu anderen Themen?

Öllinger: Corona ist sehr präsent. Aber leider, die Pandemie ist eben nicht vorbei, gerade für Schüler. Trotzdem sind wir an einem Punkt, an dem wir unter dem Motto "Back to Topic" das Schul- und Bildungswesen wieder als Ganzes in den Blick nehmen wollen.

STANDARD: Sie fordern mehr Finanzbildung an Schulen. Was stellen Sie sich darunter vor: Geldpolitik, volkswirtschaftliche Zusammenhänge? Wissen, wie man eine Steuererklärung ausfüllt?

Öllinger: Die Steuererklärung ist das beste Beispiel. Man sollte sich nach der Schule im echten Leben zurechtfinden können, egal welchen Schultyp man besucht hat. Ich selbst gehe an eine AHS und kann Gedichte analysieren oder verschiedene Arten von Metaphern benennen. Aber wie man Verträge abschließt oder eben eine Steuererklärung macht, weiß ich nicht. Es gibt immerhin das Fach Geografie und Wirtschaftskunde, aber ökonomische Fragen des Alltags kommen da nur selten vor. Das sollte sich durch einen stärkeren Fokus auf Wirtschaftskunde ändern. Außerdem gibt es in dieser Sparte viele externe Experten, die man einladen könnte. Sei es von einer Wirtschaftsuni oder aus Führungspositionen in Unternehmen.

STANDARD: Besteht da nicht die Gefahr, dass Vortragende aus der Finanzbranche ein gefärbtes Bild liefern, um Finanzprodukte zu bewerben und deren Risiken unterschlagen?

Öllinger: Natürlich muss man da aufpassen. Wir wollen keinen Schwerpunkt einzuführen, für den irgendwelche unqualifizierten Leute an die Schule geholt werden, die das ausnutzen. Ich schlage aber vor, im Bildungsministerium einen Pool zu schaffen, in dem kompetente Fachleute und Institutionen registriert sind, denen die Schulen vertrauen können.

STANDARD: Sie haben sich auch vorgenommen, das Thema psychische Gesundheit in den Vordergrund zu rücken.

Öllinger: Ja, durch die Corona-Krise ist die Zahl von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen erschreckend in die Höhe gegangen. Das Thema hat jetzt die Aufmerksamkeit, die es verdient, aber noch immer werden psychische Probleme oft zu wenig ernst genommen und kleingeredet, nach dem Motto: "Jeder hat mal einen schlechten Tag." Wir wollen dazu beitragen, psychische Krankheiten zu enttabuisieren. Dafür braucht es niederschwellige Angebote, damit es nicht so schwer ist, sich Hilfe und Rat zu suchen. Darum fordern wir neben einer Aufstockung von Schulpsychologen, dass es an jeder Schule einen Vertrauenslehrer gibt, der sich mit dem Thema auskennt.

STANDARD: Wie wollen Sie Ihre Rolle als Chefschulsprecherin anlegen?

Öllinger: Im Schulbereich gibt es viele Akteure, die mitreden. Eltern, Lehrer, das Ministerium. Am meisten betroffen sind aber die Schüler. Meine Aufgabe ist, ihren Standpunkt einzubringen. Dafür werde ich mich viel mit anderen Schulsprechern und den Schülern austauschen. Umso mehr Informationen ich über ihre Anliegen bekomme, umso besser kann ich sie im Austausch mit den anderen Schulpartnern vertreten. (Theo Anders, 22.9.2021)