Ein kleines Bauteil bei sechs Uhr macht die Slimline Monolithic Manufacture von Frederique Constant zum rasantesten mechanischen Zeitmesser aus der Schweiz.

Foto: Frederique Constant

Es ist mittlerweile fünf Jahre her, dass man in der Uhrenwelt das letzte Mal von einer Revolution gesprochen hat. 2021 scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Wieder spricht man von einer "Sensation". Aber der Reihe nach: 2017 stellte die in Le Locle, Schweiz, ansässige Marke Zenith die Defy Lab vor und mit ihr einen neuartigen Gangregler, der ein seit 346 Jahren bestehendes Prinzip der Uhrmacherei über den Haufen warf.

Denn seit 1675 funktionieren mechanische Zeitmesser im Wesentlichen nach den Grundlagen, die der niederländische Astronom, Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens niedergeschrieben hat: auf Basis einer Hemmung mit einer Unruh samt Spiralfeder und Anker plus Ankerrad. Dieses Regulierorgan sorgt für den richtigen Gang der Uhr, ist für das typische Ticken verantwortlich – und es verrichtet nach wie vor in Millionen von Uhrwerken zuverlässig seinen Dienst.

Immer wieder Silizium

2017 dachte man, dass sich das mit der Defy Lab langsam ändern könnte: Deren neuartiger Gangregler bestand aus nur einem Stück monokristallinem Silizium. Einem flexiblen, leichten, amagnetischen temperaturunempfindlichen und ohne Schmierung auskommenden Material, das in der Uhrenbranche schon davor für einen Innovationsschub gesorgt hatte. Rolex setzt auf den Werkstoff, ebenso wie viele andere Uhrenmarken.

Stille Wasser: Die technische Innovation wurde vom Hersteller recht klassisch verpackt.
Foto: Frederique Constant

Mit Anteilen, die dünner als ein menschliches Haar sind, ersetzte das neue Schwingsystem bei der Defy Lab die Unruh samt Spiralfeder und Anker. Die über 30 Einzelteile des bisherigen Regulierorgans einer mechanischen Uhr wurden durch ein einziges, nur einen halben Millimeter hohes Bauteil ersetzt.

Zum Vergleich: Die Bauhöhe eines herkömmlichen Regulierorgans beträgt etwa fünf Millimeter. Hinzu kommt, dass mechanische Verbindungen verschiedener Bauteile fehlen. So werden nachteilige Effekte wie Reibung, Abnutzung und Spiel zwischen den Bauteilen, die Notwendigkeit zur Schmierung sowie eine aufwendige Montage vollständig vermieden.

Auch das Ankerrad besteht aus Silizium. Dabei schwingt der Gangregler mit einer sehr hohen Frequenz von 15 Hertz. Das sind 108.000 Halbschwingungen pro Stunde. Folgt man der Faustregel "Je schneller, desto präziser", dann ist das schon sehr beeindruckend.

So erreichte das Kaliber namens ZO 342 auch eine Ganggenauigkeit, die es davor bei einer mechanischen Uhr nicht gab. Zenith brachte ein Jahr später die Defy Inventor mit 18 Hertz heraus, also eine noch rasantere, präzisere Uhr. Seither war es allerdings eher still geworden rund um das Thema.

Neuartiges Regulierorgan

Bis Frederique Constant heuer mit einer Neuentwicklung aufhorchen ließ. Die Genfer Manufaktur, seit 2016 Teil von Citizen, stellte die Slimline Monolithic Manufacture vor. Eine auf den ersten Blick gewöhnliche Uhr. Wäre da nicht ein Detail, das stutzig macht: Bei sechs Uhr schimmert es bläulich – typisch für Silizium.

Auf den zweiten Blick entpuppt sich das Teil als ein neuartiges Regulierorgan. Frederique Constant war es mithilfe von Spezialisten im niederländischen Delft gelungen, ebenfalls einen Silizium-Oszillator aus einem Guss ("monolithic") in die Uhr zu bringen. Aber im Gegensatz zu seinem Konkurrenten aus Le Locle, dessen Durchmesser verhältnismäßig viel Platz im Uhrwerk einnimmt, ist jener der Genfer so klein, dass er sich anstelle der klassischen Hemmung in ein Automatikwerk implementieren lässt.

Sein Durchmesser beträgt nur 9,8 Millimeter bei 0,3 Millimeter Höhe. Das ist schon einmal ein Wettbewerbsvorteil. Richtig interessant ist aber, welche Kennzahlen das Ding, an dem zwei Jahre geforscht wurde, noch so mit sich bringt. Allen voran seine Frequenz: das Herz der Monolithic Manufacture schwingt mit einer rasanten Frequenz von 40 Hertz, also 288.000 Halbschwingungen pro Stunde. Das gab’s bisher noch bei keiner mechanischen Uhr aus der Schweiz und bringt einen weiteren Schub in Sachen Präzision.

80 Bewegungen pro Sekunde

Das stellte die Uhrmacher vor eine Herausforderung. Denn ein traditionelles Räderwerk wäre nicht in der Lage, die Geschwindigkeit eines 40-Hertz-Regulators zu bewältigen. Also musste ein neues Uhrwerk her, das man Kaliber FC-810 taufte. Aber wie misst man die Ganggenauigkeit einer Uhr, deren Sekundenzeiger 80 Bewegungen pro Sekunde vollführt? Herkömmliche Messvorrichtungen stützen sich auf das Ticken des Uhrwerks, nur tickt diese Uhr nicht wie herkömmliche Zeitmesser. Man muss für die Messung auf Highspeedkameras zurückgreifen, die 250.000 Bilder pro Sekunde aufnehmen können.

Unterm Strich geht Frederique Constant den Weg, der von Zenith (und anderen davor) beschritten wurde, weiter. Es stellt sich die Frage, was die Schweizer Tüftler noch unternehmen, um die Grenzen des physikalisch Möglichen auszureizen. Eines steht bereits fest: Was die Preisgestaltung betrifft, haben die Genfer die Nase vorn. Die "Monolithic" ist mit unter 5000 Euro eingepreist. Für die Defy Inventor muss man mit dem Dreieinhalbfachen rechnen. Vielleicht ist das die wahre Sensation. (Markus Böhm, RONDO, 24.9.2021)