Gabriel Roland: "Design ist ein unglaublich spannender Werkzeugkasten."

Foto: Katharina Gossow, Vienna Design Week

STANDARD: Wie überraschend war es, als Lilli Hollein Ihnen mitteilte, dass Sie der neue Chef der Vienna Design Week werden?

Gabriel Roland: Ich war ja bereits im Vorjahr Vizedirektor. Also war der grundsätzliche Gedanke, ihr nachzufolgen, nicht abwegig und irgendwie vorgezeichnet. Das Ganze bedeutet aber dennoch eine große Ehre. Und Verantwortung. Und anders formuliert: Ich bin nicht aus allen Wolken gefallen.

STANDARD: Wie fühlt es sich an, wenn man sich mit 32 Jahren Herr Direktor nennen darf?

Roland: Es ist bis zu einem gewissen Grad kurios. Abgesehen davon, nenne mich nur selten so. Wenn man sich das Wort genauer anschaut, steht es dafür, in welche Richtung man gemeinsam geht. Mein Job ist es also, für mehrere Jahre gemeinsam mit meinem Team in die Zukunft zu blicken.

STANDARD: Also Sie stehen nicht morgens vor dem Spiegel und schmunzeln ein "Herr Direktor" in sich hinein?

Roland: Nein, aber das sollte ich vielleicht.

STANDARD: Lilli Hollein meinte einmal, als Direktorin stehe man hin und wieder halt als die Hantige da. Wie hantig sind Sie?

Roland: Lassen Sie es mich so sagen: In den wenigsten Fällen verlange ich mehr, als reasonable ist …

STANDARD: Sie treten, was die heimische Designszene betrifft, in große Fußstapfen. Lilli Hollein kennt in der Kreativszene jeder. Ein Kollege von der "Süddeutschen Zeitung" bezeichnete sie als geniale Kommunikatorin. Schlafen Sie manchmal schlecht angesichts dieser Fußstapfen?

Roland: Ich bin ins Wasser gesprungen, habe aber gute Schwimmflügel. Nein, im Ernst, als wir im Mai unsere Jahrespressekonferenz abhielten, war dies der Punkt der offiziellen Übergabe. Schon im Vorfeld gab es wichtige Gespräche mit unseren großen Partnern, unter anderem der MA 7, der Wirtschaftsagentur, Wien-Tourismus, Erste Bank, Rado etc. Alle haben mir ihren Support zugesagt. Das sehe ich als Rückenstärkung und Auftrag gleichzeitig. Ich schlafe nicht schlecht, aber ich bin mir dieser Verantwortung bewusst.

STANDARD: Hollein bezeichnete die Design Week und ihren Job einmal als "großartige Sandkiste". Wie sehen Sie das Festival?

Roland: Bei Sandkiste fällt mir meine neun Monate alte Tochter ein, die gerade ins Sandkistenalter kommt. Die Sandkiste zeigt spannende soziale Gefüge. Als ich bei der Design Week angefangen habe, war ich für die unterschiedlichsten Programmpartner zuständig, denen wir eine weit offene Bühne als Plattform zur Verfügung stellen. Auf dieser können sie ihr "business as usual" für eine Zeit verlassen. Dafür steht für mich auch das Wort Festival, ebenso für größere Fragen, Experimente und Zusammenhänge. Eine Sandkiste mit hohen Ansprüchen. Das gilt auch oder gerade für unser Format der Passionswege.

STANDARD: Das Programm für die Design Week 2021 wurde noch mit Lilli Hollein erarbeitet. Was wird sich künftig unter Ihrer Führung ändern?

Roland: Für mich ist 2021 das Jahr des Beobachtens. Ich sehe das Festival nun aus einer anderen Perspektive. Mit diesen Eindrücken gehen wir in eine intensive Teamklausur und in einen Überlegungsprozess. Aber man kann jetzt schon sagen, dass es Dinge gibt, die mir ein Anliegen sind. Dabei handelt es sich um Bereiche, die bereits da sind, die aber vielleicht einen neuen Stellenwert bekommen müssen. Der kuratierte Kern wird sicher beibehalten werden. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Design Week. Ich möchte das Festival langfristig sichern. Besonders am Herzen liegt mir eine Verstärkung des Vermittlungsbereichs. Ich möchte viel mehr mit jungen Menschen, Schulen und anderen Zielgruppen zusammenarbeiten.

STANDARD: Das ist ein guter Punkt. Der Vienna Design Week wird manchmal vorgeworfen, dass sie zu sehr in ihrem eigenen Saft schmurgelt. Dass der eigentliche Auftrag, Design einer wirklich breiten Öffentlichkeit nahezubringen, nicht wirklich erfüllt werde.

Roland: Nennen Sie mir ein Festival, das jedes Jahr einen anderen Ort der Stadt im Fokus hat und unzählige Programmpunkte bei freiem Eintritt bietet. Und ich spreche von Orten, die eigentlich keine Design-Hotspots sind. Ich glaube, dass Sie recht haben, wenn es darum geht, noch mehr zu kommunizieren und zu vermitteln, aber die grundsätzliche Geschichte des Festivals, sein nomadischer Charakter sind sehr gut. Wir zeigen Blickwinkel, wie Design an den unerwarbarsten Orten im Alltag sichtbar wird. Und wir stellen Fragen wie: Wie sollen wir zusammentleben?

STANDARD: Für viele ist Design noch immer ein recht schwammiger Begriff. Viele verstehen darunter eine manierierte Oberflächenbehübschung. Wie würden Sie denn Design in einem Satz definieren?

Roland: Design ist ein unglaublich spannender Werkzeugkasten. Es geht um die Gestaltung von Ökologie, von Gegenständen, Räumen, Prozessen von Dienstleistungen und noch mehr. Und es geht uns wie gesagt darum, den Designbegriff tiefer in der Gesellschaft zu verankern.

STANDARD: Würde es dabei helfen, mehr prominente Namen nach Wien zu holen, wie das in den Anfangsjahren öfter der Fall war? Vielleicht einen Philippe Starck?

Roland: Klar gibt es einzelne Persönlichkeiten, die uns viel erzählen könnten. Aber das Kernproblem ist ein anderes.

STANDARD: Nämlich?

Roland: Viele Menschen in Österreich denken beim Begriff Design an ein teures italienisches Ledersofa oder eben an Philippe Starck. Man muss nicht in einen Showroom an der Ringstraße gehen, um Design zu sehen. Und da liegt das Missverständnis. Vielen ist nicht klar, dass sie Design laufend in ihrem Alltag betrifft. Deshalb informieren sie sich auch nicht darüber. Ich will den Menschen nicht vorschreiben, wofür sie sich interessieren sollen. Aber Design ist relevant für unser aller Leben. Außer ich vertschüsse mich auf eine einsame Insel.

STANDARD: Und selbst dort werden Sie sich ein Trinkgefäß und eine Hütte gestalten. Aber zu etwas anderem: Welchen großen Designer würden Sie denn gern einmal treffen?

Roland: Ich komme gerade zurück von der Triennale in Mailand und habe mir die wunderbare Enzo-Mari-Ausstellung angeschaut, die Hans Ulrich Obrist kuratiert hat. Also der Mari, der wäre schon so einer gewesen. Leider ist er vor einem Jahr gestorben. Mari hat es super geschafft, formale Exzellenz mit sozialen Werten und politischen Überzeugungen zu kombinieren. Das ist nichts, was in den Elfenbeintürmen von shiny Headquarters entstand.

STANDARD: Was darf man bei der heurigen Vienna Design Week auf keinen Fall verpassen?

Roland: Unter anderem ist unser Format "Stadtarbeit" zum Thema resiliente Nachbarschaft super gelungen. Die Festivalzentrale am Sachsenplatz im 20. Bezirk ist sehr wichtig. Wir schauen uns hier auch die Stadtentwicklung genau an. Es gibt aber auch zahlreiche kleine Geschichten wie eine von mir kuratierte Kollektion aus österreichischen Designstücken für die dänische Online-Galerie Adorno und, und, und …(Michael Hausenblas, RONDO, 25.9.2021)