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Der Mann aus dem Eis bei einer der relativ seltenen wissenschaftlichen Untersuchungen, die direkt am Körper durchgeführt werden und nicht bereits entnommene Proben behandeln.
Foto: AP/Marco Samadelli/Eurac/South Tyrol Museum of Archaeology

Was den wohl bekanntesten Südtiroler – Ötzi, den prähistorischen Mann aus dem Eis – angeht, so zeigt die Forschungsgeschichte der vor 30 Jahren gefundenen Gletscherleiche, dass die Entdeckung und Behandlung besser hätte ablaufen können. Und erst zehn Jahre später, als bereits mehrere Röntgen- und CT-Analysen durchgeführt worden waren, erkannte man das wohl aufregendste Detail: die Pfeilspitze in der Schulter, die aufzeigte, dass Ötzi vor rund 5.300 Jahren von hinten erschossen worden und verblutet war.

Dabei war die Anzahl der Publikationen nicht immer ein Anzeichen dafür, wie wichtig ein bestimmter medizinischer Befund ist, sagt Frank Rühli von der Universität Zürich. So gibt es etwa mehr Arbeiten über den Eismann, die sich mit dem verheilten Bruch seines Nasenbeins befassten, als mit der berühmten Pfeilspitze. Gemeinsam mit anderen Forschenden referierte Rühli am Montag im Rahmen des Symposiums "Iceman – quo vadis?" des Bozener Forschungszentrums Eurac Research über vergangene und aktuelle Untersuchungen, die mehr über Ötzi und seine Lebensumstände herausfanden. Gleichzeitig ging es aber auch um die Frage, in welche Richtung künftige Forschungsprojekte gehen sollen und wo noch neue Erkenntnisse zu erwarten sind.

Konservation und Krankheiten

Basierend auf der Dokumentation der Mumie im Laufe der vergangenen 30 Jahre könnten sich auch Veränderungen des Körpers im Laufe der Zeit analysieren lassen, sagt der Mediziner. Ötzi stellt schließlich auch einen archäologischen Sonderfall dar, der sich kaum mit anderen Mumien und deren Konservierung vergleichen lässt, betont der forensische Archäologe Oliver Peschel: "Es gibt auf der ganzen Welt keine Mumie wie diese." Das bringt ein gewisses Element des "trial and error" mit sich: Im Versuch der bestmöglichen Erhaltung wurde und wird erst herausgefunden, welche Maßnahmen gut funktionieren und welche es zu verbessern gilt.

Allgemein dürfte das Zusammenführen mehrerer Indizien aus unterschiedlichen Fachbereichen zu neuen Einschätzungen und Interpretationen führen. So kann sich aber auch die heutige Perspektive auf Krankheiten verändern, wie Rühli am Beispiel der Arteriosklerose schildert: Die Einlagerung von Fetten in die Wände von Blutgefäßen gilt heute als moderne Zivilisationskrankheit, die unter anderem durch nicht ausgewogene, fettreiche Ernährung und mangelnde Bewegung begünstigt wird. Allerdings zeigt die archäologische Forschung, dass Hinweise auf Arteriosklerose interessanterweise nicht nur bei Ötzi, sondern auch bei ägyptischen Mumien häufig gefunden werden. Neuartig dürfte die Krankheit also nicht sein.

Ahnen und Aussehen

Künftig werden sowohl neue Funde als auch neue Methoden weitere Informationen liefern – dieser Ansicht ist auch Johannes Krause vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, der sich vor allem mit der Genetik einstiger Europäerinnen und Europäer befasst. Im Gegensatz zu früher können heute familiäre Verbindungen von Skelettfunden bis hin zum siebten Grad rekonstruiert werden und wir damit 200 bis 300 Jahre in die Vergangenheit der Verstorbenen blicken. Bisher sind die Verwandtschaftsverhältnisse Ötzis noch im Dunkeln. "Aber ich hoffe, dass wir eine Verbindung zu einer Population von Individuen bekommen, mit denen er verwandt ist", sagte Krause.

Genetische Analysen konnten bereits zeigen, dass Ötzi in Bezug auf noch heute lebende Menschen in Europa wohl noch am nähesten zur Bewohnerschaft Sardiniens steht. Seine DNA weist darauf hin, dass er vor allem von den ersten Landwirten abstammt, die vor mehr als 7.000 Jahren aus Anatolien nach Europa kamen. Die vorher ansässigen Jäger-Sammler-Gesellschaften haben weniger Spuren in seinem Erbgut hinterlassen, und noch weniger seiner Vorfahren gehörten zur Jamnaja-Kultur, dem nomadisch lebenden Volk, das erst vor rund 5.000 Jahren nach Zentraleuropa kam.

Dabei stellte sich auch heraus, dass der Südtiroler Eismann – ähnlich wie die frühen Bauern – eher dunkle Haut und braune Augen hatte. Die Aufhellung der Haut bei Menschen in Europa erfolgte wohl aufgrund der landwirtschaftlichen Lebensart, als Anpassung an relativ wenig Sonneneinstrahlung. Im Gegensatz zu Jäger-Sammler-Populationen hatten die Ackerbauer, die sich hauptsächlich vegetarisch ernährten, eine geringere Vitamin-D-Zufuhr über Fisch und Fleisch, Menschen mit hellerer Haut konnten dies besser kompensieren, vor allem in nördlichen Gegenden, führt Krause basierend auf einer früheren Studie aus.

Reste im Eis und RNA-Viren

Die Situation von Funden aus der gleichen Region und Zeit ist leider nicht zufriedenstellend, um entsprechende Vergleiche anstellen zu können, sagt Umberto Tecchiati von der Universität Mailand: "Was die Kupferzeit betrifft, hoffen wir auf mehr Informationen in Zukunft." Der Archäologe Walter Leitner von der Universität Innsbruck setzt große Hoffnungen in ein acht Meter tiefes Eisfeld, das sich in der Nähe von Ötzis Fundort befindet, seit 1991 noch nicht ausgeschmolzen ist und die eine oder andere Überraschung auf dem Grund der Grube verbergen könnte.

Neue Erkenntnisse dürften auch verbesserte Methoden auf unterschiedlichen Gebieten liefern. Rühli vermutet, dass sich etwa bei der Untersuchung des Gehirns noch Neues ergeben könnte. Molekularbiologische Herangehensweisen dürften sich weiter verbessern und nicht nur feststellen können, was Ötzi zuletzt aß. Auch das Mikrobiom, das in und an seinem Körper lebte, ließe sich so noch genauer erforschen. "Der Eismann ist aufgrund der wunderbaren Konservierung von Weichteilgewebe auch das beste Individuum, um alte RNA zu analysieren", sagt Krause. So besteht auch die Hoffnung, eines Tages herauszufinden, welche Gene in verschiedenen Gewebearten aktiviert waren und ob er den einen oder anderen RNA-Virus mit sich trug.

Museumsheimat der Mumie

Für solche Forschungszweige lässt sich wohl auch die eine oder andere Person begeistern, die von der Faszination der Eismumie ergriffen wurde. Mehr als 5,5 Millionen Menschen haben Ötzi bereits im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besucht, wo die Mumie seit 1998 ausgestellt ist. Da das Museum seinen aktuellen Räumlichkeiten entwächst, läuft die Suche nach einem neuen Standort.

Eine Erhebung des Landes Südtirol schlägt das ehemalige ENEL-Gebäude nahe der Drususbrücke vor, ein historisches Gebäude in Zentrumsnähe. Der Immobilieninvestor René Benko hingegen hat die Vision eines futuristischen Neubaus am Virgl, dem Hausberg Bozens. Hierher sollen Besucherinnen und Besucher per Seilbahn gebracht werden und nicht nur ein Museum, sondern auch eine Konzertarena und Restaurants vorfinden. Ötzi bekäme einen Sonderplatz in einer Glaskuppel – ob dieser in Sachen Lichtverhältnisse aber optimale Bedingungen liefert, ist fraglich. (sic, 21.9.2021)