Über den Reiz der kleinen Wahlen im Schatten der großen schreibt der Politik- und Medienberater Peter Plaikner in seinem Gastkommentar.

Schon wieder im Schatten. Am Wochenende gilt höchstens in Graz und Linz selbst ihren kommunalen Entscheidungen das größte politische Interesse. Statt wie gewohnt Wien überlagern am Wahlsonntag Deutschland und das eigene Landesvotum die Neugier auf Österreichs zweit- und drittgrößte Stadt. Sie sind Rivalen und Gegenpole – untereinander, für ihre Länder und zur Metropole. Urbane Labore zwischen personeller Disruption und parteilicher Kontinuität. Das buntscheckige Graz und das rote Linz, Kulturhauptstädte Europas von 2003 und 2009, werden dort die VP- und da die SP-Mehrheit wie ihre Bürgermeister behalten. Siegfried Nagl (58) regiert seit 18 Jahren, Klaus Luger (60) seit acht.

Nicht nur in Deutschland und Oberösterreich wird am kommenden Sonntag gewählt: Linz und Graz sind auch an der Reihe.
Illustration: Fatih Aydogdu

Unter der Decke dieser klaren Verhältnisse lagert aber parteilicher Sprengstoff. In Graz war vor Nagl der Sozialdemokrat Alfred Stingl beinahe ebenso lange im Amt. 1983 endete ein Jahrzehnt unter dem Freiheitlichen Alexander Götz. Heute ist die Kommunistin Elke Kahr (59) die beliebteste Politikerin der Stadt. Ihre KPÖ hat vor allem infolge des Themas Wohnen bei den Gemeinderatswahlen 2012 und 2017 mit jeweils 20 Prozent klar Rang zwei erreicht. Das war zuletzt doppelt so viel wie für die SPÖ, die ihre durchgehende Mehrheit in der Zweiten Republik erst 2003 verlor. Ihr zweites Desaster nach 1973, als ein Pakt von ÖVP und FPÖ sie um den Bürgermeister brachte. Er wirkt heute noch wie eine Blaupause für 1989 und die Wahl von Jörg Haider zum Landeshauptmann von Kärnten.

Stärkere Interferenzen

Zumindest solch Unbill bleibt Luger in Linz erspart. Denn anders als in Graz gibt es dort die Direktwahl des Bürgermeisters. Trotz elf antretender Listen mit zehn Stadtchefkandidaten geben ihm Umfragen sogar Chancen, sich ein Stechen 14 Tage später zu ersparen. Er glaubt das nicht, hofft für die Partei auf einen leichten Zuwachs über 35 Prozent und verdankt seinen Erfolg auch der Positionierung am rechten Flügel der SPÖ. Dahinter hat sich dennoch die FPÖ wieder erholt und liefert sich ein Umfrageduell mit der ÖVP rund um die 20 Prozent. Danach folgen die Grünen mit 15 und die Neos mit fünf Prozent. Das wären abgesehen von einem blauen Verlust sehr stabile Verhältnisse im Vergleich zu 2015.

In Graz wird der ÖVP ein leichter Rückgang auf 35 Prozent, der KPÖ Gleichstand, den Grünen ein deutlicher Zuwachs, der FPÖ starke Einbußen und das Match mit der leicht erholten SPÖ um Rang vier prophezeit. Die steirische Hauptstadt pflegt einen unabhängigen Wahltermin. Linz hingegen wählt immer zugleich mit allen oberösterreichischen Kommunen und dem einzigen Regionalparlament mit sechsjähriger Funktionsperiode. Das sorgt für stärkere Interferenzen im Stadt-Land-Spiel. Doch so wie die SPÖ hier bei Nationalratswahlen gegen die Kurz-ÖVP – wie zuvor nur in der Schüssel-Ära – nicht mehr die stärkste Partei war, hat sie die zweitgrößte Stadt Wels an die FPÖ verloren.

Luger meidet Auftritte mit seiner schwer gebeutelten Landespartei unter Birgit Gerstorfer, um nicht in ihren Abwärtssog zu geraten. In der Steiermark gärt unterdessen noch die Rivalität von Nagl mit Hermann Schützenhöfer, obwohl der Bürgermeister im Landeshauptmannnachfolgespiel seltener genannt wird. Während der Kollege in Linz sein Arbeitsübereinkommen mit der FPÖ 2019 beendet hat, blieb Schwarz-Blau in Graz intakt. Der Partnerfrage gilt aber da wie dort das größte Rätselraten nach einem hüben wie drüben ruhigen Wahlkampf. ÖVP und KPÖ schließen eine Koalition aus. In Graz könnten die Grünen der nächste Junior sein. Falls es sich zu zweit ausgeht. Das sollte in Linz für die SPÖ auf jeden Fall mit ÖVP und FPÖ der Fall sein – und wahrscheinlich auch mit den Grünen.

Möglicher Nutznießer

Für die Außensicht aber bleibt – wie bei der Oberösterreich-Wahl insgesamt – das Spannendste am nächsten Sonntag, ob der deutsche Trend hier spürbar wird. Das wirkt weit hergeholt, doch die aus den Momentaufnahmen der Umfragen erwartete rote Welle von der Nordsee bis zu den Alpen verändert die über Medien zugleich transportierte und geschürte öffentliche Grundstimmung. Sie war gefühlt seit Mitte der 1990er-Jahre nicht mehr so positiv für die Sozialdemokratie. Dazu trägt ihr österreichischer Ableger kein Scherflein bei, könnte aber ein bisschen Nutznießer sein. Während die SPD für den Bundestag, das Abgeordnetenhaus von Berlin sowie den Landtag in Mecklenburg-Vorpommern enorme Wahlsiege erwarten darf, sollte die SPÖ zumindest nicht mehr tiefer sinken.

Das hat durchaus existenzielle Bedeutung. Denn Oberösterreich und die Steiermark sind essenziell für bundesweite Mehrheitsfähigkeit. Bei den Nationalratswahlen 2013 war die SPÖ da wie dort die stärkste Partei. Graz hat mit 300.000 Einwohnern fast so viele Einwohner wie das Burgenland. Der um Linz dichtere Ballungsraum ist mit 800.000 der zweitgrößte in Österreich. Ihre zweitstärkste urbane Bastion und das gefährlichste kommunale Krisengebiet sind Frühwarner für eine Sozialdemokratie in Opposition, die regionale Pflichtsiege in Wien und Burgenland mit bundesweiter Wettbewerbsfähigkeit verwechselt.

Doch weder rote Bestwerte in Österreichs virtuell viertgrößter Stadt Favoriten (48,4 Prozent) noch im 70 Einwohner schwachen Tschanigraben (86,2 Prozent) liefern dafür schlüssige Hinweise. Solche Indizien kommen eher aus den Städten, die sich bewarben mit "Graz darf alles" und "In Linz beginnt's". (Peter Plaikner, 22.9.2021)