Balanceakt: Kapuzinerkresse auf Marmor und Holzgerüst.
Foto: Nick Ash

Nach dem imposanten Bühnenbild der Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster ist der Hauptraum der Secession nun erstaunlich leer. Ganz bewusst hat sich Danh Vō entschieden, den White Cube offen zu lassen. Darin verteilt der Konzeptkünstler fünf Installationen wie Inseln, die er aus angefertigten Marmorplatten und wiederverwerteten Staffelhölzern baut – Letztere haben lustigerweise zuvor als Gerüst bei Gonzalez-Foerster gedient.

Vō gehe es darum, das sonst nicht Sichtbare zu zeigen, erklärt die Kuratorin Jeanette Pacher. Fehlstellen, Brüche, Gefundenes sind hier okay. Marmorsockel balancieren auf schmalen Stegen, die wiederum auf die flachen Platten gebettet sind. Nichts hier ist angeschraubt. Auf kleinen Holzgerüsten, die eigentlich als Innenleben für Transportkisten verwendet werden, lagern Objekte wie Trophäen – und sind mit Sträußen aus Kapuzinerkresse garniert.

Das Ohr der Freiheitsstatue

Die Pflanze bezieht der Künstler, der 2015 Dänemark bei der Venedig-Biennale vertrat, immer wieder in seine skulpturalen Werke ein. Wie auch in seinem Garten, den er nach vielen Jahren des nomadenhaften Künstlerlebens bei seinem Atelier-Hof in Brandenburg (mit einer Gärtnerin) betreut, wächst das Kraut nun im Hinterhof der Secession. In der Schau hängen Fotografien von Blüten von dort, der darunter gesetzte Schriftzug in Lateinschrift stammt von Vōs Vater, der in Zitaten immer wieder in dessen Arbeiten einbezogen wird.

Generell spickt Vō seine zugegeben etwas schwer zugänglichen Arbeiten immer wieder mit biografischen Elementen. Als Vierjähriger musste er 1979 mit seiner Familie aus Vietnam als Bootsflüchtling fliehen und gelangte über Umwege nach Europa. So fragt der Künstler in rätselhafter Poetik immer auch nach Identität und zeigt die Fragilität von Nationalität auf. Schicht für Schicht muss man sich durch diese Ebenen arbeiten.

Eines der 300 Einzelteile von "We The People". Oben darauf sitzt ein Jesuskopf.
Foto: Nick Ash

Vō setzt Fragmente zu einem Ganzen zusammen – oder nimmt Ganzes auseinander. Für sein wohl bekanntestes Werk We The People (2011 bis 2016) ließ er eine Replik der Freiheitsstatue im Maßstab 1:1 aus 300 Bronzeteilen anfertigen und verstreute diese auf der ganzen Welt. In der Secession hängt jetzt eines der Ohren ebenfalls an einem der Holzgerüste, auf die Ohrmuschel hat Vō einen Abguss eines Jesuskopfes platziert. Eine nächste Schicht also.

Jesus in a box

Zwar merkt man das nicht gleich, aber mehrmals tauchen hier christliche Symbole auf. Zum Beispiel wurde der zum Kopf gehörende Christusrumpf in eine Holzkiste gestopft – und so zugeschnitten, dass er da überhaupt hineinpasst. Obwohl bei Vō nichts belehrend oder offensichtlich ist, sickern doch subtile Kommentare durch, die wieder mit seiner Biografie zusammenhängen. Die Aussage scheint: Wer ins Bild passen möchte, muss sich anpassen, so Kuratorin Pacher. Sein eigener Vater konvertierte aus politischem Protest vom Konfuzianismus zum Katholizismus, der Künstler selbst ist homosexuell.

Über einer beleuchteten Kühlvitrine thront ein antiker Skulpturenkopf eines römischen Jünglings, darin hängen Bronzeabgüsse der Füße von Vōs Partner wie jene von Jesus überkreuzt. Dass bei näherer Betrachtung die Zehennägel glänzend poliert sind, lässt den nötigen Humor endlich durchblitzen. (Katharina Rustler, 22.9.2021)