Durch die Pandemie sind viele Routine-Impfungen ausgefallen. Die gilt es jetzt nachzuholen.

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Die Impfung und wann sie für die ganz Jungen endlich kommt, ist derzeit das große Thema. Das verstellt aber den Blick darauf, dass es neben Covid-19 auch noch andere Infektionskrankheiten gibt. Meningokokken etwa, Diphterie, Kinderlähmung, Hepatitis oder auch Humane Pappilomaviren (HPV), gegen die üblicherweise routinemäßig im Pflichtschulalter geimpft oder aufgefrischt wird.

Viele dieser Impfungen haben in der Pandemie aufgrund von Schulschließungen und weniger Arztbesuchen nicht stattgefunden. Jetzt heißt es, die fehlenden Immunisierungen nachzuholen.

Karl Zwieauer, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und Mitglied des Nationalen Impfgremiums, betont dazu im Zuge eines Pressegesprächs: "Das kindliche Immunsystem ist unerfahren, aber extrem lernkompetent. Bei jedem Kontakt mit Pathogenen bildet es sich immunologisch weiter und wird besser. Diese Auseinandersetzung kann unkontrolliert stattfinden, also durch Infektion und Krankheit. Mit der Impfung kann man diese Auseinandersetzung aber kontrollieren. Deshalb ist es auch so wichtig, die im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie versäumten Impfungen nachzuholen."

Das Problem besteht dabei weniger bei Babys und Kleinkindern, im Zuge des Mutter-Kind-Passes hat der Großteil der Untersuchungen und Impfungen stattgefunden. Wiewohl es auch hier gewisse Lücken gibt, sind aber vor allem die ausgefallenen Impfaktionen an Schulen für den Rückstau verantwortlich.

Die Impfaktionen sind zum Teil nämlich dramatisch ins Stocken gekommen. In den Monaten Februar bis November 2020 wurden nur 70 Prozent der Impfstoffe für die Vierfachimpfung (Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Polio) abgerufen, 39 Prozent der Meningokokken-ACWY-Impfstoffe, 40 Prozent der Hepatitis-Impfstoffe und 45 Prozent der HPV-Impfstoffe. Und auch bei Kinder- und Hausärzten wurde weniger geimpft – denn viele hatten Angst, sich bei einem Hausarztbesuch anzustecken oder haben nicht unbedingt nötige Untersuchungen aufgrund der Umstände verschoben.

Heftiger Winter erwartet

Werden diese Impfungen aber nicht nachgeholt, so Zwieauer, "wird es im Winter vermehrt zu Problemen mit Influenza, Meningokokken, Pneumokokken und auch anderen Krankheiten wie Masern kommen. Denn im vergangenen Jahr hat das Immunsystem praktisch nichts gelernt. Für Krankheitskeime bietet das einen Pool an Personen, die deshalb nur schlecht geschützt sind, weil das Immunsystem nicht gewappnet ist. Es könnte eine größere Epidemie auf uns zukommen, vor allem, wenn Schutzmaßnahmen wie Masketragen oder Händedesinfektion abnehmen."

Aufholen will Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres diesen Rückstau durch enge Zusammenarbeit von Schulärzten, Lehrpersonal und Eltern, die den Impfstatus ihrer Kinder im Auge behalten sollen: "Das ist wichtig, weil derzeit die Corona-Infektionen vor allem bei den Kleinen steigen. Es geht darum, kombinierte Infektionen so gut es geht zu verhindern."

Diese Gefahr besteht zumindest so lange, bis die Corona-Impfung für die unter Zwölfjährigen zugelassen ist. Hier liegen jetzt die für eine Zulassung nötigen Daten der Hersteller Biontech/Pfizer für die Gruppe der Fünf- bis Elfjährigen vor. Szekeres hofft, dass eine Zulassung noch in diesem Jahr erfolgen wird, und plädiert dafür, diese dann auch an den Schulen zu verabreichen.

Fokus auf HPV- und FSME-Impfung

Abseits vom saisonalen Infektionsgeschehen heben die Experten vor allem zwei Impfungen hervor: die gegen FSME, das durch einen Zeckenbiss übertragen werden kann, und die gegen HPV. Szekeres betont, dass "auch die Impfrate für FSME zurückgegangen ist, die Fallzahlen sind in diesem Sommer dafür gestiegen".

Und er verweist auch auf die langfristige Wichtigkeit der HPV-Impfung. Denn Humane Papillomaviren können ein Zervixkarzinom auslösen. Daran erkranken österreichweit immerhin rund 500 Frauen pro Jahr, etwa 200 sterben daran. Ein höhere Durchimpfungsrate kann diese Todesfälle verhindern.

Epidemiologisch macht es Sinn, im Jugendalter zu impfen, bevor die Jugendlichen sexuell aktiv werden. Deshalb ist die Impfung für Neun- bis Vierzehnjährige auch gratis im Impfplan. Und auch die Buben werden gratis geimpft, hier ist Österreich international Vorreiter. Das ist wichtig, denn, so Szekeres, "die Männer übertragen HPV".

Föderalismus als Problem

Erschwert wird die unkomplizierte Umsetzung der Impfaktionen durch unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Vor allem den Föderalismus sieht Reinhold Kerbl, Kinderarzt und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, kritisch: "Der Impfplan ist national, die Organisation der Impfungen ist aber Ländersache, das ist nicht ideal. Denn jedes Bundesland setzt hier andere Schritte. Es braucht eine zentrale Steuerung über den elektronischen Impfpass und die Anbindung an Elga." Und er betont die Wichtigkeit der Peer-Group für Jugendliche bei der Impfaufklärung. Kampagnen mit Bloggern und Influencern könnten da helfen. (Pia Kruckenhauser, 21.9.2021)