Wenn man sie auf dem Bild betrachtet, wird klar, warum die Beach Boys Anfang der 1970er eher abgemeldet waren – gute Güte. Gleichzeitig offenbart sich, wen jemand wie die Kelly Family bei ihrer Gründung 1974 vor Augen hatte.

Die tapsigen Versuche der Beach Boys, der Mode um 1970 zu folgen – musikalisch zeitigte das Meisterwerke, die nun im Boxset "Feel Flows" umfassend aufbereitet wurden.
Foto: Iconic Artists Group LLC

Die Beach Boys waren die uneingeschränkten Regenten der US-Charts in den 1960ern. Sie produzierten den Sound einer Generation; nur die Beatles kamen ihnen nahe, weshalb eine künstlerische Rivalität entstand, die 1966 Meisterwerke wie Pet Sounds (Beach Boys) und 1967 Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band von den Beatles hervorbrachte.

Probleme

Doch Ende der 1960er erschien der optimistische Hedonismus der Beach Boys aus Kalifornien plötzlich weltfremd. Surferträume, Girls und Lieder übers Cabriofahren wirkten angesichts des Vietnamkriegs, der Bürgerrechtsbewegung und Politikermorden deplatziert. Hinzu kamen interne Probleme: ausbleibende Hits, Geldschwierigkeiten und der Rauswurf von ihrer Plattenfirma, der die Boys zwang, sich etwas zu überlegen. Das taten sie mit zwei Alben: Mit dem 1970 erschienenen Sunflower und dem im Jahr darauf veröffentlichten Surf’s Up positionierten sich die Beach Boys neu.

The Beach Boys - Topic

Diese Werke sowie eine dreistellige Zahl an Outtakes, Demos und unveröffentlichten Aufnahmen wurden nun mit dem Boxset Feel Flows: The Sunflower & Surf’s Up Sessions 1969–1971 zugänglich gemacht.

Melancholie

Anstatt heiteren Rock ’n’ Roll mit himmlischen Gesängen spielten die Strandbuben nun zart psychedelischen Rock, die notwendigen Drogen dafür hatten sie über die Jahre ausgiebig verinnerlicht, in der Zeit des Neubeginns sollen aber alle nüchtern und brav gewesen sein.

dripperj

Ein weiteres Novum war, dass die Dominanz des Genies Brian Wilson aufgehoben war. Dieser durchlebte eine schwere Zeit, andere in der Band nützten die Chance, um ihrerseits Songs zu schreiben, mehr eine richtige Band zu werden. Denn um Wilsons spektakuläre Visionen umzusetzen, hatte es ohnehin öfter begnadetere Studiomusiker gebraucht – das stellte sich manch einer schon die Sinnfrage.

Gelungener Spagat

Connaisseure schätzen die beiden Alben, weil den Beach Boys darauf der Spagat gelingt, himmlische Musik mit Tiefgang zu machen. Mit einer Melancholie, die zwar subkutan vielen Beach-Boys-Songs eingeschrieben, jedoch nie in dieser Deutlichkeit zugelassen worden war.

Dominic O'Neill

Auf fünf CDs ist zu hören, wie sie sich an eine neue Identität herantasten, wie sie sich bei Robert Moog den Synthesizer ausborgen, wie Schlagzeuger Dennis Wilson seine ersten Songs schreibt, wie sie experimentieren, fremde Songs covern, wie Sozialkritik wichtiger wird als die nächste Welle und wie diese Talente aus den selbstgeschaffenen Klischees ausbrechen.

Dabei erschufen die Beach Boys eine Reihe von Klassikern, die sich heute längst neben jenen aus den Happy-peppy-Tagen eingereiht haben. Fantastisch. (Karl Fluch, 22.9.2021)