Die von Evergrande noch nicht fertiggestellte Tourismus-City, die Wohnen, Handel und Unterhaltung verbindet, liegt derzeit auf Eis.

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Mit einem Brief will der Verwaltungsratschef von Evergrande, Hui Ka Yuan, Anleger und Eigentümer von Immobilien seines Konzerns beruhigen. Evergrande habe "seine dunkelste Stunde" hinter sich, heißt es in dem Schreiben an die Mitarbeiter, das auch über die chinesischen Medien verteilt wurde. Doch Papier ist bekanntlich geduldig, die Lage von Evergrande hingegen höchst prekär.

Der Immobilienentwickler hat Schulden von 300 Milliarden Dollar angehäuft. Das entspricht rund zwei Prozent des BIPs von China. Bis zum Jahresende sind Zinszahlungen in der Höhe von rund 670 Millionen Dollar fällig. Schon am Donnerstag werden 83,5 Millionen Dollar Zinsen für eine Anleihe für März 2022 fällig.

Ob das Unternehmen die am Donnerstag fälligen Zinsen begleichen kann, ist offen. Allerdings teilte das von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Evergrande am Mittwoch mit, dass man eine Anleihekuponzahlung in Höhe von 35,9 Millionen Dollar auf jeden Fall leisten will. Die Zahlung für die in Shenzhen gehandelte Anleihe werde pünktlich am Donnerstag beglichen, an den Märkten sorgte die Ankündigung für etwas Erleichterung, die Aktienkurse stiegen wieder. Am Mittwoch kommender Woche steht zudem eine Zahlung von 47,5 Millionen Dollar für eine weitere Anleihe an.

Massives Wachstum

Es sind also Schicksalstage für den Konzern, der über die Jahre massiv gewachsen ist. Evergrande hat bisher 1.300 Bauprojekte in 280 Städten betreut, fast 250 Tochterunternehmen gegründet, viele davon in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands. Der Konzern baut nicht nur Häuser und Wohnungen, er hat in den Fußballklub Guangzhou investiert, in Themenparks, Medien und Konsumgüter wie Mineralwasser und Babymilch.

Auch in der Branche für Elektroautos ist das Unternehmen vertreten. Evergrande New Energy Auto machte zuletzt mehr als 600 Millionen Dollar Verlust. Kryptoassets sollen ebenfalls zum Portfolio gehören. Entsprechend groß sind die Sorgen vor den Folgen eines Zerfalls.

Großes Versprechen

Der Firmenchef versprach in seinem Brief, dass Evergrande alle Immobilienprojekte wie versprochen beenden und Verantwortlichkeiten gegenüber Käufern, Investoren und Banken erfüllen werde. Ein großes Vorhaben. Die Fläche unfertiger Immobilien entspricht laut einer Berechnung von Bloombergder von drei Vierteln Manhattans.

Der Brief ist nicht die erste Beruhigungspille. Ding Yumei, die Frau von Hui Ka Yuan (der einst der reichste Mann in China war), kaufte zuletzt für drei Millionen Dollar Junkbonds des eigenen Unternehmens, um Investoren zu beruhigen. Zum Wochenstart wurde Anlegern angeboten, Finanzprodukte des Konzerns in Immobilien zu tauschen. Bisher haben diese Maßnahmen keine Wirkung gezeigt. Der Aktienkurs von Evergrande sackte seit Jahresbeginn um 84 Prozent ab.

Für die Führung in Peking ist die Schieflage von Evergrande heikel. Um eine Überhitzung am Immo-Markt zu verhindern, hat sie zuletzt die Vergabekriterien für Immobilienkredite verschärft. Wohnungen – sie gelten in China als Spekulationsobjekt – sollen nicht mehr vor ihrer Fertigstellung verkauft werden. Das war aber ein wichtiger Teil des Systems von Evergrande. Daher wurde es für den Konzern immer schwieriger, mit dem Verkauf von Wohnungen die Schulden zu begleichen. Ob die Regierung den Konzern rettet oder in eine (möglichst kontrollierte) Pleite schickt, ist derzeit offen. 90 Prozent der Evergrande-Schulden werden von Chinas Banken gehalten. Einen Finanzskandal kann sich China nicht leisten. Zumal dieser auch international für Verwerfungen sorgen würde.

Rapide Verschlechterung

Laut einer Schätzung der asiatischen Investmentbank Nomura trägt der Immo-Sektor bis zu 16 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Chinas bei. Durch seine Nachfrage nach Rohstoffen, Arbeitskräften und Finanzierung ist Chinas Bausektor einer der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren der Welt. Umso besorgter ist Ting Lu, Asien-Chefvolkswirt bei Nomura, wegen der "rapiden Verschlechterung" der jüngsten Daten. Sie zeigen unter anderem, dass die Zahl der Verkäufe neuer Häuser im August in 30 Städten im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent zurückgegangen ist und die Grundstücksverkäufe in 100 Städten um 53 Prozent eingebrochen sind. Beide Kennzahlen haben sich Anfang September weiter verschlechtert. (bpf, red, 22.9.2021)