Christa Prets hat "sehr verwundert", dass die IFSC aus Innsbruck keine Lehren zog.

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Sie zieht den Hut vor Johanna Färber.

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Eine Athletin im Zentrum voyeuristischer TV-Bilder – das ist heuer im Klettersport kein einmaliger Vorfall. Nachdem beim Weltcup im Juni in Innsbruck der ORF in der Kritik gestanden war, kam es bei der WM in Moskau durch den dortigen Broadcaster zur unschönen Wiederholung. Während des Boulder-Halbfinales war das Gesäß der Österreicherin Johanna Färber, als sie vor der Wand stand, in Großaufnahme und Zeitlupe gezeigt worden. Die frühere SPÖ-Politikerin Christa Prets kämpft für Geschlechtergerechtigkeit im Sport, sie zieht den Hut vor Färber, die sich öffentlich wehrt, und rät Verbänden, die Frauenquote in allen Bereichen zu erhöhen.

STANDARD: Auch einmal ist nicht keinmal. Doch wie groß ist Ihre Überraschung darüber, dass sich ein und derselbe Sportverband binnen Kurzem ein und denselben Vorwurf – sexistische TV-Begleitung einer seiner Athletinnen – gefallen lassen muss?

Prets: Ich bin schon sehr verwundert. Das zeigt mir, dass keine Sensibilisierung stattgefunden hat, es ist auch ein Zeichen absoluter Respektlosigkeit Sportlerinnen gegenüber. Der Verband und die Veranstalter wären in der Verantwortung gewesen, haben diese Verantwortung nicht wahrgenommen.

STANDARD: Was hat die IFSC, der Sportkletter-Weltverband, falsch gemacht? Wie hätte er die TV-Bilder in Moskau verhindern können?

Prets: Die IFSC hätte auf Innsbruck, wo man vielleicht noch von Gedankenlosigkeit sprechen konnte, reagieren müssen. Man muss vor Großevents die TV-Zuständigen, vielleicht auch Kameraleute und Fotografen, darauf hinweisen, was geht und was nicht geht.

STANDARD: Was geht nicht?

Prets: Wie bei Männern geht es auch bei Frauen im Sport darum, dass sie eine Leistung erbringen. Diese Leistung soll gezeigt werden. Es geht nicht, dass eine Sportlerin auf ihre äußere Erscheinung reduziert wird, dass der Blick des Publikums von der Leistung weggezogen und auf Sexistisches gelenkt wird. Man muss immer wieder auf Fairness in der Berichterstattung pochen. Und Frauen, die sexistisch dargestellt werden, sollen sich wehren.

STANDARD: Färber ist in Innsbruck an die Öffentlichkeit gegangen.

Prets: Das war wunderbar, ein gutes Beispiel. Da hätten im Weltverband die Alarmglocken schrillen müssen. Leider haben sie nicht geschrillt. Die Verantwortlichen haben nichts gelernt aus dem Vorfall, deshalb ist genau dasselbe wieder passiert.

STANDARD: Was können Sportorganisationen generell tun, um sexistische Vorfälle oder gar sexuelle Übergriffe möglichst zu verhindern?

Prets: In den großen Dachverbänden und vielen Fachverbänden gibt es Gender-Beauftragte, die von uns geschult werden. Übergriffe kann man nicht hundertprozentig ausschließen, aber man kann in der Prävention viel tun. Und man sollte viel Augenmerk auf Gleichstellung von Frauen mit Männern legen. Die meisten Gremien sind nach wie vor stark männlich dominiert. Es gab eine EU-weite Strategie mit dem Ziel einer 50:50-Besetzung. Davon kann noch keine Rede sein, Österreich ist besonders weit davon entfernt. Dass es in gut sechzig Fachverbänden nur eine Handvoll Präsidentinnen gibt, sagt alles.

STANDARD: Was würde sich ändern, wenn in Sportgremien mehr Frauen sitzen als aktuell?

Prets: Jeder Verband hat sowohl mit Sportlerinnen als auch mit Sportlern zu tun. Das IOC hat es immerhin geschafft, dass an Olympischen Spielen gleich viele Sportlerinnen wie Sportler teilnehmen. Der nächste Schritt sollte sein, dass es gleich viele Funktionärinnen wie Funktionäre gibt. Gremien gehören fifty-fifty besetzt. Dann wäre von vornherein mehr Aufmerksamkeit für sensible Themen gegeben. Hätten mehr Frauen mitgeredet, wäre es vielleicht gar nicht erst zu so unsäglichen Bekleidungsvorschriften wie im Beachvolleyball oder Beachhandball gekommen. Vielleicht hätte man gleich darauf geachtet, dass Sportlerinnen weitestgehend selbst bestimmen, welche Kleidung sie tragen, weil sie sich damit wohlfühlen. Die Leistungen von Turnerinnen in langen Hosen sind genauso super wie die Leistungen von Turnerinnen in knappen Anzügen.

STANDARD: Inwiefern hat sich die Berichterstattung über Frauensport verändert?

Prets: Auch das wurde EU-weit untersucht. Der Anteil der Berichterstattung über Frauensport ist etwas größer geworden, aber noch lange nicht hoch genug. Immerhin gibt es mittlerweile in vielen Redaktionen ein Bewusstsein dafür und auch den Willen, mehr über Frauensport zu berichten.

STANDARD: Jetzt sind wir ein wenig vom Thema abgekommen.

Prets: Das stimmt, aber es hängt halt alles zusammen. Gremien, in denen keine einzige Frau sitzt. Kameraleute, die nicht nachdenken. Sportredaktionen, die den Frauensport links liegenlassen. Eines führt zum anderen. (Fritz Neumann, 22.9.2021)