Der Handel packt nicht alle kleinen und regionalen Lieferanten in Watte. Eine neue Richtlinie soll ihre Beziehung transparenter machen.

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Wien – Der Nachweis von Pestiziden in privaten Haushalten am Rande landwirtschaftlich intensiv genutzter Gebiete wirbelt Staub auf. Eine EU-weite Studie im Auftrag einer internationalen Bürgerinitiative belegt eine Kontamination von Innenräumen durch die Abdrift von Pflanzenschutzmitteln.

Auch Österreich ist davon betroffen. In Puch bei Weiz, im Herzen der steirischen Apfelproduktion, wurden in einem Schlafzimmer zwölf verschiedene, teils gesundheitlich umstrittene Wirkstoffe nachgewiesen.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) lässt die Untersuchung nun von der Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) prüfen. Landwirte bemühen sich zu kalmieren: Die Ergebnisse seien zu wenig repräsentativ und nur für einen sehr kleinen Teil der Österreicher von Belang, so der Tenor.

"Fehlerquellen bekannt"

"Bei 99 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen gibt es keine Probleme mit Abdrift", ist Adolf Marksteiner, Experte der Landwirtschaftskammer, überzeugt. Bei den übrigen sei die Fehlerquelle rund um Technik und unsaubere Arbeit bekannt, an Lösungen werde über laufende Projekte gearbeitet. In Lebensmitteln selbst ist die Belastung durch diverse Pflanzenschutzmittel aus seiner Sicht vernachlässigbar.

Die Industriegruppe Pflanzenschutz bemängelt das Forschungsdesign der Studie, das nicht jenen Standards entspreche, die die Industrie erfüllen müsse. Das vorgelegte Papier dramatisiere den Diskurs und sei ein verwerfliches Spiel mit der Angst der Menschen.

Der Umgang mit Pestiziden ist ein Reizthema – vor allem in Ländern wie Österreich, die regionale Produktion politisch zur Chefsache machen. Doch unliebsame Chemie ist nur eine von vielen Baustellen der Landwirtschaft.

Schlagabtausch

Für Schlagzeilen sorgt regelmäßig ihre Beziehung zum Lebensmittelhandel. Die Abhängigkeit kleiner Lieferanten von den Branchenriesen Rewe, Spar und Hofer ist enorm. Wettbewerbsrechtlich wurde deren Wachstum in der Vergangenheit auf der Fläche kaum Grenzen gesetzt. Und die meisten Produzenten verabsäumten es, eigenständige Marken aufzubauen und alternative Absatzwege zu suchen.

Köstinger spart nicht mit Kritik am Handel. Im Frühjahr sorgte sie mit der Forderung, dass Fleisch gut ein Drittel mehr kosten müsse, damit Österreichs Bauern vernünftig wirtschaften können, für harte Kontroversen.

Jüngst richtete sie Supermärkten über das Magazin "Profil" aus, dass ihre Übermacht zu groß sei und erpresserische Zustände herrschten. Der Bauernbund und die Landwirtschaftskammer leisteten ihr konzertiert Schützenhilfe. Etliche Funktionäre sind über Köstingers Ausritt jedoch nicht gerade glücklich, ist hinter den Kulissen zu hören: Der gewählte Ton schade vielen regionalen Lieferanten mehr, als dass er ihnen nütze.

Die zum Rewe-Konzern gehörende Supermarktkette Billa schlug der Ministerin eine Aussprache am 4. Oktober vor, Köstinger zeigte sich am Mittwoch allerdings verärgert über die Art der Einladung. Sie halte es für schlechten Stil, einen Termin zu diktieren und ihr medial ausrichten, grollte sie. Dies zeige die Denkweise der Handelskonzerne, die überzeugt seien, ihrem Gegenüber alles vorsetzen zu können. Tatsächlich sei sie an diesem Tag aber auch verhindert. Einmal mehr klagte Köstinger darüber, dass Österreichs Bauern dem Preisdruck und dem Dumping des Handels nicht mehr standhalten könnten.

Schutz für kleine Lieferanten

Tatsache ist, dass mehrere wichtige politische Initiativen, um österreichischen Produzenten den Rücken zu stärken, stocken.

Als einer der stärksten Hebel gilt derzeit die von der EU im Vorjahr verabschiedete Verordnung gegen unlautere Handelspraktiken. Die Hälfte der Mitgliedsstaaten hat sie bereits in nationales Recht umgesetzt. Österreich hätte dies bis Mai erledigen sollen, ist damit aber säumig. Nun droht ein Verfahren wegen Vertragsverletzung. Konkret geht es um ein Schutzinstrument vor allem für kleine Lieferanten, die nicht wie Konzerne auf eigene Rechtsabteilungen zurückgreifen können.

Viele sehen sich mit kreativer Gängelung konfrontiert, von erzwungenen Jubiläumsrabatten bis hin zu unverhältnismäßig hohen Schadenszahlungen bei Rückholaktionen und willkürlicher Auslistung. Ziel ist eine unabhängige Ombudsstelle, die vermitteln soll, ehe der Konflikt ein Fall fürs Kartellgericht wird.

Österreich übte sich jedoch lange in politischen Scharmützeln, wo denn diese Stelle administrativ anzusiedeln sei. Gestritten wurde bis hin zur Zahl der Dienstposten, die dafür geschaffen werden sollen, erzählen in die Verhandlungen Involvierte dem STANDARD. Klar sei, dass sich der Handel ungern Ketten anlegen ließe und im Wirtschaftsministerium mit dieser Sorge durchaus Gehör fand.

Graubereich

Eine Liste an geächteten Praktiken würde Lieferanten eine gute Handhabe gegen mögliche Willkür des Handels geben, sagt Franz Sinabell, Landwirtschaftsexperte des Wifo. Und sie mache Hoffnung auf höhere Transparenz und fairen Wettbewerb. "Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steigt Österreich hier bisher jedoch nicht aufs Gas." Dass Lieferanten von sich aus widrige Zustände anprangern, bezweifelt Sinabell. "Es ist ein Graubereich." Die meisten Produzenten sind seinen Erfahrungen nach nicht dazu bereit, über konkrete Verkaufsverhandlungen zu sprechen.

Auf Nachfrage im Landwirtschaftsministerium heißt es, dass die Richtlinie gegen unfaire Geschäftspraktiken noch heuer beschlossen werden muss. Sie sei vom Wirtschaftsministerium vorgelegt worden, befinde sich nun in fachlicher und politischer Endabstimmung. Damit wäre der Weg im Wettbewerbsrecht offen für eine weisungsfreie Ombudsstelle.

In Umsetzung ist Sinabell zufolge in Österreich die Markttransparenzverordnung. Diese erfasst Preise entlang der Wertschöpfungskette. Ziel ist es, marktbeherrschende Stellung messbar zu machen.

Woran es sich noch spießt

Stillstand herrscht rund um die verpflichtende Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel, die das Einkommen vieler Landwirte aufbessern könnte. Die Entwürfe zur Verordnung sind aufgrund der Uneinigkeit der Koalitionspartner nach wie vor nicht in Brüssel. Es spießt sich daran, ob auch Wirte einen Blick in ihre Töpfe gewähren sollen. (Verena Kainrath, 22.9.2021)