Forschende arbeiten an einer Pflege-App als Informationsdrehscheibe für alle – außerdem sollen die Pflegenden durch Remote-Technologien unterstützt werden.

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Nicht erst seit Beginn der Pandemie ist der Druck im Pflegebereich groß: Bis ins Jahr 2030 werden mehr als 75.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt, so eine Studie der Gesundheit Österreich GmbH im Auftrag des Sozialministeriums. Die Pflegekräfte selbst sind oft am Limit: Zu geringe Entlohnung, fehlende Wertschätzung, Personalmangel und hohe Arbeits- und psychische Belastung werden als Gründe angegeben, den Job wechseln zu wollen. Wie kann man die Situation für Pflegekräfte – von stationärer, mobiler, hin zur Pflege durch Angehörige – und für die gepflegten Personen selbst verbessern?

Das Projekt Care about Care hat sich des Problems angenommen. Im Juni 2021 startete das zweieinhalbjährige Projekt, koordiniert vom Institut für Informatik an der FH Wiener Neustadt in Kooperation mit der Wirtschaftsuniversität Wien, der Firma Ilogs Mobile Software GmbH, dem Hilfswerk Niederösterreich und internationalen Partnern. Ihr Fokus: Pflege nicht nur von einer Seite zu sehen und so auch langfristig zu unterstützen.

"Es geht darum, neue Informations- und Kommunikationsangebote für das ganze Pflegenetzwerk anzubieten und wirklich Nutzen zu stiften", sagt die Projektleiterin Cornelia Schneider, die mit ihrem Team an der FH Wiener Neustadt die Technologien für das Projekt entwickelt. Aus den Problemstellungen, die sich aus Gesprächen mit den Hilfsorganisationen ergeben hatten, wurden zwei Ideen geboren: eine Pflege-App, das sogenannte Care Cockpit, und ein Pflegenetzwerk für die Pflegekräfte selbst.

Ersteres kann man sich wie eine Informationsdrehscheibe vorstellen: "Das Thema, wie Menschen Informationen über ihre eigene Pflege und Betreuung bekommen, ist immer wieder aufgetaucht", sagt Schneider. Zum Beispiel typische Fragen aus dem Pflegealltag: Wann kommt die Pflegekraft das nächste Mal? Welche Aufgaben wurden beim letzten Besuch erledigt?

Augmented-Reality-Brille

Die niederschwelligen Informationen finden sich in der Vorstellung der Forschenden in unterschiedlichen Teilen einer Pflege-App. Ist ein pflegender Angehöriger einmal nicht zu Hause, könnte er oder sie so sehen, wie es der Person gerade geht. Auch wird ein digitaler Marktplatz angedacht, in dem pflegebedürftige Personen kurzfristig Dienste wie Essen auf Rädern buchen können.

Eine Augmented-Reality-Brille soll mobilen Pflegekräften helfen, die Rat von Kolleginnen oder Kollegen brauchen. Diese können die Situation live mitverfolgen und Tipps geben.
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Doch nicht nur den gepflegten Personen, sondern auch den Pflegekräften selbst soll geholfen werden: "Wir haben einen riesigen Pflegekräftemangel, der auf uns zukommt und immer immanenter wird. Gleichzeitig steigt die Nachfrage", sagt Schneider. "Wir hoffen, dass die Pflegenden mit unseren Systemen Wegzeiten sparen und Sicherheit gewinnen können."

Die Unterstützung funktioniert dabei digital: Weiß eine mobile Pflegekraft in einer Situation nicht mehr weiter, hat sie durch Fernunterstützung mehrere Möglichkeiten: Sie kann etwa eine Augmented- oder Mixed-Reality-Brille aufsetzen und gleichzeitig mit einer zweiten Person telefonieren, die weiterhelfen kann. Etwa wenn es um die richtige Mobilisation oder Lagerung von Menschen geht.

Expertenzentrum

"Natürlich haben die Pflegekräfte das in der Ausbildung gelernt. Aber einmal vor Ort, schauen die Dinge dann oft doch ein wenig anders aus", erklärt Schneider. Am anderen Ende der Leitung steht eine Pflegekraft als Teil eines Expertenzentrums, die die Situation über die Brille live mitschauen und entsprechend unterstützen kann.

"Die Brille ist ein wichtiges Instrument, weil die Person dadurch die Hände frei hat und einzelne Handgriffe unter Anleitung aus dem Expertenzentrum gemacht werden können", sagt Schneider.

Wie das Expertenzentrum genau aussehen wird, ist noch offen. Denkbar sind regionale Netze oder auch eine Zuschaltung aus einem entlegenen Ort. Momentan entwickeln Schneider und ihr Team die Technologie, also Software für die Brillen und Fernunterstützung, gemeinsam mit der Firma Ilogs. In Zukunft wolle man auch diese Technologie noch niederschwelliger anbieten und am Handy als App auch für Angehörige und betreute Personen bereitstellen.

Digitales Empowerment

Um sicherzustellen, dass die Forschung nicht im luftleeren Raum passiert, braucht es auch entsprechende Evaluierung. "Die Entwickler wollen wissen, was die Personen wirklich brauchen; die Zielgruppe will wissen, was möglich ist", sagt Schneider. Die Erhebung davor und danach wird vom Forschungsinstitut für Altersökonomie der WU Wien unter der Leitung von Birgit Trukeschitz übernommen. In der ersten Phase wurden dabei die Vorstellungen, Ideen und Wünsche der Zielgruppe erhoben.

Sobald die Technologie darauf basierend entwickelt ist, geht es darum, sie zu testen. Das soll in drei großen Pilotstudien in Luxemburg, Belgien und Österreich passieren – mit je 130 Personen, die gepflegt werden, 35 Pflegepersonen und 50 Angehörigen, die die Software testen; sowie einer jeweils gleich großen Kontrollgruppe. Das Ziel lautet, die Funktionsfähigkeit, Nutzungsfreundlichkeit, aber auch den Nutzen zu erheben.

"Bei uns geht es um die Lebensqualität der Menschen, aber auch der pflegenden Personen. Wir wollen die richtigen Fragen stellen", sagt Trukeschitz. Das Projekt zielt dabei auf Empowerment beider Seiten ab. Digitalisierung, die im Pflegebereich noch langsamer voranschreite als in anderen Bereichen, könne dabei ein großes Hilfsmittel sein.

Doch glaubt das Team, dass Technologien wie Augmented-Reality-Brillen auch angenommen werden? Projektleiterin Schneider: "Wenn unterschiedliche Personengruppen den Nutzen von der Technologie für sich erkennen und sehen, dass es in ihrem täglichen Tun hilft, glaube ich, dass die Akzeptanz von selbst kommt." (Katharina Kropshofer, 22.9.2021)