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Vibrio cholerae löst mithilfe eines Toxins Cholera aus. Mit welchen Mitteln Darmbakterien wie dieses Schaden anrichten, wird in Graz erforscht.

Foto: Picturedesk.com / Science Photo Library / AMI images

Organismen, die in ihm wohnen, bestimmen seine Gesundheit, vielleicht sogar seine Stimmung. Und sie können den Körper auch komplett aus der Balance bringen. Klingt wie ein Film über Außerirdische, doch tatsächlich beschreibt das die Beziehung zwischen Menschen und ihrem Mikrobiom, also der Vielzahl an Mikroorganismen, die auf dem und im menschlichen Körper leben.

Allein die Darmmikroben machen bis zu zwei Kilo unseres Körpergewichts aus. Das menschliche Gehirn kommt durchschnittlich auf 1,3 bis 1,5 Kilo. Wir wissen heute nicht nur, dass diese Mikroorganismen unserer Verdauung helfen, sondern auch, welche negativen Folgen eine Störung – hervorgerufen etwa durch Antibiotikaeinnahme – haben kann. Kurz gesagt: wie stark das individuelle Mikrobiom unser tägliches Leben beeinflusst.

Bis vor kurzem gab es bei der Erforschung dieser Interaktionen ein Problem: Um die einzelnen Organismen und deren Eigenschaften sowie ihre Wirkungsweise auf Körperzellen näher erforschen zu können, musste man sie im Labor kultivieren. Doch das gelang nicht immer.

"Wir können nur ungefähr zwei Prozent aller Bakterien überhaupt im Labor kultivieren – von jenen, die im Darm vorkommen, noch weniger", sagt Stefan Schild. Er koordiniert das Projekt Sekretom der Initiative BioTechMed-Graz, welche die Forschung der Medizinischen Universität Graz, der Technischen Universität Graz und Karl-Franzens-Universität Graz bündelt.

Vesikel als Lieferanten

Die Bedingungen, die etwa im Darm vorherrschen, kann man im Labor nur schwer nachstellen. Schild gehört zu einer Gruppe an Forschenden, die dieses Problem umgehen: Dafür isolieren sie sogenannte Membranvesikel direkt aus dem Darm von Patienten, die Teil entsprechender Studien sind.

"Jede Art, die uns interessiert, müssen wir zuerst im Labor kultivieren können. Das dauert oft viermal so lange – wenn wir es dann überhaupt schaffen", sagt Schild. "Also überspringen wir so die Notwendigkeit, bestimmte Spezies überhaupt kultivieren zu müssen." Die magische Zutat bei diesem Ansatz sind die sogenannten Membranvesikel, die von der Oberfläche der Bakterien abgeschnürt werden und von den Forschenden direkt aus dem Darm isoliert werden.

Die Vesikel sind Teil von Zellen und dienen als eine Art Lieferant. Die Mikroorganismen nutzen diese Vesikel, um sogenannte Effektoren – etwa Toxine, also Gifte – zu Zielzellen bringen. Die Vermutung ist, dass diese Effektoren von menschlichen Darmepithel- oder Immunzellen wahrgenommen werden und so unsere Gesundheit beeinflussen.

Diversität ist entscheidend

Als Beispiel nennt Schild Vibrio cholerae, ein Bakterium, das die Durchfallerkrankung Cholera auslöst. "Wir wissen, wie Vibrio cholerae mithilfe eines Toxins Durchfall auslöst. Doch bisher hat niemand wirklich verstanden, warum dieses Gift so lange im Darm überleben kann, der ja eigentlich eine sehr feindliche Umgebung ist", erklärt Schild.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie schafften der Mikrobiologe und seine Kollegen und Kolleginnen Klarheit: Auch Vibrio cholerae verpackt sein Toxin in Membranvesikel. Dadurch ist es vor Verdauungsenzymen geschützt und kann länger im Darm überdauern. Die Vesikel können wiederum einfacher von den Darmepithelzellen aufgenommen werden – und dort massiven Schaden anrichten.

Mechanismen, mit denen Krankheitserreger Krankheiten auslösen können, stehen im Fokus des Sekretom-Projekts. "Es gibt viel mehr – unter Anführungszeichen – gute als böse Bakterien", sagt Schild.

Ändert sich die Diversität oder die Menge gewisser Mikroorganismen im Darm, kann das einen Krankheitserreger begünstigen. So kann ein Bakterium von einer anderen Spezies in Schach gehalten werden. Sobald sich Umwelteinflüsse, etwa durch Antibiotikaeinnahme, verändern, kann sich dieses stark vermehren und etwas im Körper auslösen.

Resistente Bakterien

Zum Beispiel das Bakterium Klebsiella oxytoca, das von einer Schleimkapsel umgeben und resistent gegen das breitenwirksame Antibiotikum Penicillin ist. "Wenn Klebsiella in den Darm kommt, kann es andere Bakterien mit Toxinen abtöten und so eine Nische frei machen. Aber es kann auch unsere Körperzellen verändern." Ein Mechanismus, den Schilds Kollegin Ellen Zechner im Rahmen des Sekretom-Projekts untersucht.

Jeder sechste Mensch ist mit Klebsiella besiedelt. Die meisten haben keine Symptome. Bekommt man nun aber ein Breitbandantibiotikum verschrieben, kann Klebsiella unseren Darm überwuchern, während andere Bakterien absterben. Kippt das Ganze, weil Klebsiella mehr und mehr Gift produziert, kommt es zu einem massiven Absterben der Darmepithel-Zellen und zu blutigem Durchfall.

Die Mechanismen, die hinter der Absonderung dieser Toxine stecken, stehen weiterhin im Mittelpunkt des Projekts. "Das ist wie der Paracelsus-Effekt: Die Dosis macht das Gift", sagt Schild. Auch wenn die Erforschung des Mikrobioms eine Lebensaufgabe ist, könne man eines schon jetzt klar sagen: "Die neuen Methoden, um Membranvesikel direkt aus dem Darm zu isolieren, sind ein Meilenstein. Jetzt können wir praktisch in den Darm der Patienten hineinhorchen." (Katharina Kropshofer, 8.10.2021)