Foto: Nintendo
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Eine schöne, verrückte Videospielwelt, in der man ein Game produzieren kann, in dem man Zahnpasta ausdrückt, Achselhaare ausreißt oder ein Stück brennendes Fleisch mit einer pinkelnden Statue löscht: Die Wario Ware-Reihe beweist seit jeher, laut, in Capslock und mit Ausrufezeicheneinseins11, dass Chaos Spaß macht. Keine zehn Sekunden hat man Zeit, um die aberwitzigen Mikrospielchen blitzschnell zu bestreiten.

Einmal muss Katzendreck im Streu verscharrt werden, im nächsten Moment treibt man bereits einen Fahrradfahrer an, um ihn über die Ziellinie rollen zu lassen. Einen kleinen Hinweis, was zu tun ist, gibt es zu Beginn jedes Mikrogames. So stürzt man sich von einem aus einem Fiebertraum stammenden Spielchen ins nächste, bis einem die Versuche ausgehen oder man völlig erschlagen ist vom Lesen, Denken, Handeln.

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Komplexeres Gameplay, weniger Spielspaß

Denn das wird einem als Spieler oder Spielerin quasi gleichzeitig abverlangt. Während man auf dem DS noch mit dem Stylus Obst zerschneiden konnte oder auf der Wii mit der Wiimote per Gestensteuerung Luftballone aufblasen musste, geht Get It Together! einen anderen Weg und macht die Charaktere der Serie, die bisher nur im Hintergrund agierten, zum Teil des Gameplays. Wario darf mit Karacho nach vorn preschen, die Hexe Ashley kann fliegen und Projektile abschießen, während der Gen-Z-Boy 9-Volt sich nur horizontal auf seinem Skateboard bewegen und ein Jo-Jo nach oben schießen kann. Von den 20 Spielfiguren hat jede ihre eigene Bewegungseigenschaft, was die Spielbarkeit und auch den Spaß der einzelnen Mikrogames stark beeinflusst. Die neue Ebene an Komplexität erfordert nicht mehr nur Lesen, Denken, Handeln, sondern auch noch Lernen: Lernen, welche Spielfigur wie funktioniert und wie ich sie im jeweiligen Mikrospiel einsetze.

In einem Szenario findet man sich in der 8-Bit-Welt der Ice Climber wieder und muss die Figur von der untersten auf die höchste Ebene durch Öffnungen manövrieren. Mit Charakteren, die fliegen, springen oder sich teleportieren können, kein Problem. Mit Charakteren wie eben 9-Volt oder seinem Kumpel 18-Volt, der statisch am Boden verankert ist und sich nur über Ringe weiterhangeln kann, wird das Mikrogame ungleich schwerer. Manch einfache Aufgaben wie das Runterreißen einer Gesichtsmaske oder das Ziehen des Stöpsels aus der Badewanne geraten so zu einer unnötig komplizierten Angelegenheit. Das ist dann besonders frustrierend, wenn man weiß, dass das Spiel mit einer anderen Figur einfacher zu bewerkstelligen wäre.

Gleichsam findet man sich in vielen Mikrospielen aber auch wieder in der Situation, dass sie für ein paar Charaktere viel zu einfach zu lösen sind. Abgründe überwinden, einen Parcours voller Hindernisse zu durchlaufen oder sich aus einem Müllsack befreien sind mit springenden oder fliegenden Spielfiguren keine Herausforderung. Wario Ware: Get It Together! ist hier die Balance abhandengekommen, pendelt man zu oft zwischen Frustration und Langeweile hin und her.

Während man sich mit anderen Figuren frei bewegen kann, ist 18-Volt fest am Boden verankert und kann nur in Diagonalen agieren.
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Launig, aber nicht lange bei Laune haltend

Im Story-Mode, für den man, wenn überhaupt, fünf, sechs Stunden mit Klopausen benötigt, um ihn zu komplettieren, lassen sich die verschiedenen Charaktere zunächst freischalten. In den verschiedenen Szenarien erledigt man unter Themen wie Essen, Technik oder Nintendo subsumierte Mikrogames. Die sind typisch für die Serie in den unterschiedlichsten Stilen von kindlichen Kritzeleien bis komplexen Animationen gestaltet und transportieren perfekt den absurden und sich nicht selbst ernst nehmenden Charakter der Wario Ware-Reihe.

Zusätzlich hat Nintendo dem Mikrogame-Chaos eine Handvoll Mikromikrogames (Nanogames? Pikogames? Megamikrogames?) zur weiteren Unterhaltung in Get It Together! gepackt, die aber nicht wirklich überzeugen, geschweige denn Spaß machen. Versuchen, den Ball so lang wie möglich in der Luft zu halten, ist einfach eine Version eines vorhandenen Spielchens, nur halt ohne Zeitlimit. In einem anderen Zusatzmikrospiel muss man Verträge sammeln und ans Ende des Levels transportieren. Diese zusätzlichen Herausforderungen sind lieblos und fast schon beleidigend banal. Ja, zusätzlicher Content ist wichtig und bietet oft überraschend gutes Gameplay, aber nicht wenn er wie ein allererstes Programmierprojekt wirkt.

Um einen bei Laune zu halten, hat Nintendo den Wario-Cup eingeführt. Darin kann man sich in wöchentlich wechselnden Online-Challenges gegen den Rest der Welt messen. In einer der ersten Aufgaben gilt es zum Beispiel, 15 Mikrogames so schnell wie möglich zu erledigen. Die weiteren Challenges des Cups werden zeigen, ob der Modus reicht, immer mal wieder in Wario Ware reinzuschauen.

Flache Lernkurve

Wario Ware war für mich immer ein Einspieler-Game. Das liegt vor allem daran, dass die Serie für viele Casual-Player, die ich in meinem Umfeld habe, viel zu chaotisch, unklar, und vor allem zu schnell ist. Es ist bei weitem kein Mario Kart. Es ist viel mehr die Koks-Version davon mal 1.000.

Im Mehrspielermodus treten bis zu vier Spieler gegeneinander an. Vorweg kann man sich aus den verschiedenen Charakteren eine gewisse Zahl aussuchen, mit denen die Mikrogames bestritten werden sollen. Veteranen dürfen sich gerne an den schwierigen Figuren abmühen, Neulinge der Serie sollten besser frei bewegliche wählen. Das Problem hier ist wie schon gesagt die neue Komplexität. Hat man früher noch mit irgendwelchen Fuchteleien, einer schnellen Handbewegung oder Stiftführungen ein Spiel mit Glück geschafft, passiert das in Get It Together! viel seltener. Man muss das Mikrogame verstehen, wissen, wie man die Spielfigur lenkt, und einen Task erledigen – und das alles in weniger als zehn Sekunden.

Das kann – in der richtigen Runde, mit Spielerinnen und Spielern mit Geduld, Vorwissen oder masochistischen Zügen – super funktionieren und Spaß machen. Laien können mit der Hektik hingegen wenig anfangen, und die flache Lernkurve der unterschiedlichsten Spielweisen, trägt ihr Übriges bei.

Die Mikrogames lassen sich auch zu mehreren bewältigen.
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Fazit

Bei Wario Ware: Get It Together! hat es einfach nicht klick gemacht. Die eigentlich unterhaltsame Mischung aus purem Chaos, absurden Ideen und hektischen Spielchen leidet enorm unter dem neuen Gameplay. Das Spiel unterhält, aber nicht für lange. Bereits einige Stunden nach dem Test hat man kaum Interesse, sich wieder an Wario Ware zu wagen. Zu stark ist der Kontrast zwischen Frustration und Banalität. Besonders für Neueinsteiger ist der neue Teil der Wario Ware-Reihe nicht der leichteste Einstieg in die Serie. Wario-Veteranen werden sich schneller einleben und sicher auch ihre Freude haben. Die Komplexität des Gameplays hat der Serie aber große Teile seiner Leichtigkeit und Zugänglichkeit geraubt – und leider auch seinen Spaß. (Kevin Recher, 25.9.2021)