Rot vom Herzen bis zum Blazer: Mit Birgit Gerstorfer geht die SPÖ Oberösterreich am Sonntag erstmals mit einer Frau an der Spitze ins Wahlrennen.

Wolfgang Simlinger

Die Momente mit einem kleinen Schwarzen im Linzer Altstadtbüro sind in den Tagen des oberösterreichischen Wahlkampfs selten, aber umso kostbarer für die rote Landeschefin Birgit Gerstorfer, die "eher ungern mobil arbeitet". Am Sonntag tritt sie als SPÖ-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl an.

STANDARD: Oberösterreich ist hinsichtlich der Impfquote weiterhin österreichweites Schlusslicht. Sie haben sich zuletzt wiederholt gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Wie kann man dann die Quote heben?

Gerstorfer: Es geht sicher nicht mit einem Appell. Es braucht individuelle Informationen für jene Personen, die unsicher sind. Einfach ganz gezielte Impfkampagnen. Diese Unsicherheiten kann man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ausräumen.

STANDARD: Braucht es Impfzuckerln? Motto: ein Stich, ein Gutschein?

Gerstorfer: Es würde sicher eine gewisse Anreizsituation produzieren. Aber eben auch eine Neiddebatte entfachen. Die, die freiwillig gegangen sind, haben nichts bekommen, und der andere kriegt etwas dafür. Das hat eine gewisse Sensibilität.

STANDARD: Zumindest im laufenden Wahlkampf wurde Corona quer durch alle Parteien eigentlich kaum thematisiert. Ist es klug, die aktuelle Lage aus wahltaktischen Gründen auszusparen?

Gerstorfer: Wir als SPÖ haben sicher das Thema nicht ausgespart. Wir haben uns vor allem immer sehr kritisch in Richtung der verantwortlichen ÖVP geäußert. Etwa hinsichtlich der minimalistischen Testangebote im vergangenen Herbst. Oder wie das Contact-Tracing passiert ist. Wie Teststandorte ausgesehen haben. Allein der Umstand, dass das Land vollzeitbeschäftigten Praktikanten im Contact-Tracing nur 1.100 Euro gezahlt hat, war doch ein Irrsinn. Letztlich ist es ein Totalversagen der beiden Regierungsparteien in Oberösterreich. Eine Hü-hott-Informationspolitik. Die ÖVP wirbt für das Impfen, die FPÖ warnt vor der Impfung. Und da soll sich die Bevölkerung noch auskennen?

STANDARD: Für Verwunderung, vor allem auch in den Reihen der roten Bundespartei, haben Ihre Wahlkampfauftritte mit den ehemaligen Parteigranden Christian Kern und Hannes Androsch gesorgt. Hätte es nicht der rote Anstand verlangt, die aktuelle Parteichefin einzuladen?

Gerstorfer: Pamela Rendi-Wagner ist im Zuge des laufenden Wahlkampfs regelmäßig in Oberösterreich. Aber natürlich, wenn besondere Persönlichkeiten bei Pressekonferenzen dabei sind, haben diese einen weit höheren Aufmerksamkeitspegel. Etwa unser Anliegen eines Rechtsanspruchs auf eine Sommerschule. Da kann ich damit leben, wenn jetzt darüber diskutiert wird, ob Kern die richtige Wahl war.

STANDARD: Aber auch beim offiziellen Wahlkampfauftakt in Steyr hat man auf einen Auftritt von Parteichefin Rendi-Wagner offensichtlich ganz bewusst verzichtet ...

Gerstorfer: Dass ich als Spitzenkandidatin beim Wahlkampfauftakt im Mittelpunkt stehe, ist ja wohl mehr als logisch. Aber ich kann Sie dennoch beruhigen, es war eine reine Terminfrage. Dafür ist die Parteichefin dann bei der großen Abschlussveranstaltung mit dabei.

STANDARD: Sie fordern einen Rechtsanspruch auf eine dreiwöchige Sommerschule für alle Kinder. Aber reicht eine zwei- oder dreiwöchige Sommerschule aus, um tatsächlich (Corona-) Bildungsdefizite auszugleichen?

Gerstorfer: Da stellt sich zunächst die Frage, wie man die Sommerschule definiert. Es geht für mich eben nicht primär um die Frage des Defizitausgleichs. Es geht darum, einen Rechtsanspruch zu schaffen, die Eltern zu entlasten, den Schülern einen Spaßfaktor in der Schule zu liefern. Nicht nur nachbüffeln. Es ist ja auch keine Verpflichtung.

STANDARD: Bräuchte es nicht einen Ausbau der ganzjährigen Betreuung – etwa zusätzliche verpflichtende Förderstunden, freiwillige Nachhilfeeinheiten in den Klassen?

Gerstorfer: Das gibt es doch ohnehin. Natürlich kann man über einen Ausbau reden. Aber mir geht es um eine Reduktion der 14 Ferienwochen auf elf Wochen. Darum, eine bessere Organisation der Kinderbetreuungszeiten zu schaffen, eine Entlastung der Gemeinden, für Betriebe.

STANDARD: Sie haben die Partei 2015 an einem absoluten Tiefpunkt übernommen. Jetzt scheint, es herrsche zumindest nach außen wieder ein Mehr an roter Geschlossenheit. Haben Sie die streitbaren Genossen wieder auf Linie gebracht?

Gerstorfer: Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass die Geschlossenheit deutlich gestiegen ist. Und wir können gut miteinander reden und uns austauschen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass in den letzten drei Jahren irgendwelche Konflikte öffentlich ausgetragen wurden. Natürlich gibt es immer Themen, bei denen nicht alle vom ersten Tag an einer Meinung sind. Aber zumindest reden wir darüber.

STANDARD: Ihre Wettervorhersage für den aktuellen Wahlkampf war bereits 2018 "ein Sturm, der gewaltig sein wird". Aktuell hat man aber oft das Gefühl, es ist maximal ein rotes Lüfterl. Müsste die SPÖ nicht deutlich präsenter, angriffslustiger sein, um das Ziel, den zweiten Platz zurückzuerobern, auch zu erreichen?

Gerstorfer: Bitte, die Angriffslust ist vorhanden. Es ist halt immer die Frage, welche Resonanz die Angriffslust in der öffentlichen Berichterstattung hat. Wir erleben, dass unsere Angriffe in der Medienberichterstattung nur klein stattfinden. Wir haben schon Schwierigkeiten, unsere Themen in den Medien entsprechend abzubilden.

STANDARD: Das kann jetzt an den Medien oder der SPÖ liegen.

Gerstorfer: Es geht mir gar nicht darum, auf die bösen Medien zu schimpfen. Aber die mediale Wahrnehmung ist oft die einer Partei in der Krise. Das findet sich doch in jedem zweiten Artikel über uns.

STANDARD: 2015 sind die Sozialdemokraten von zuvor knapp 25 auf 18,4 Prozent abgestürzt, verloren Platz zwei und damit den Anspruch auf den Landeshauptmann-Stellvertreter. Also durchaus eine rote Krise, oder?

Gerstorfer: Und inzwischen sind aber sechs Jahre vergangen. Wir machen heute gute Sachpolitik ohne persönliche Angriffe. So etwas mache ich prinzipiell nicht. Wir üben sachliche Kritik. Das machen wir auch im Landtag. Wir bringen konkrete Vorschläge ein und sind keine Überschriftenpartei wie etwa die ÖVP. Bei denen ist doch nichts dahinter: Wir haben ein 580-Millionen-Corona-Hilfspaket, das letztlich nur 24 Millionen Euro schwer ist. Ein Gemeindehilfspaket, das auf dem Papier 344 Millionen schwer ist und tatsächlich nur 44 Millionen zusätzliches Geld ist. Wir haben einen Oberösterreich-Plan, bei dem aktuell von den 190 Millionen, die heuer ausgezahlt werden sollen, gerade einmal 30 Millionen Euro ausgezahlt wurden.

STANDARD: Aber warum findet die rote Kritik in der Gesellschaft offensichtlich weder thematisch noch emotional entsprechend großen Anklang? Die Umfragen sehen die SPÖ aktuell bei mageren 18 Prozent.

Gerstorfer: Menschen schreiten am 26. September zur Wahlurne. Die Anzahl der Unentschlossenen ist noch groß. Und unsere internen Umfragen sehen ganz anders aus. Ich bin also sehr zuversichtlich. Wir punkten mit den Themen Arbeit, Bildung, Pflege, und die Stimmung ist eine ganz andere als 2015.

STANDARD: Ist die SPÖ heute thematisch nicht zu beliebig, inhaltlich zu schwammig?

Gerstorfer: Überhaupt nicht. Es sind klar die Themen, die die Menschen heute beschäftigen.

STANDARD: Wofür steht die SPÖ eigentlich heute?

Gerstorfer: Wir sind die einzige Partei, die das Leben für die Menschen systemisch leichter und besser macht. (Markus Rohrhofer, 22.9.2021)