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Förderung der Philanthropie: Wer vor seinem Tod Teile seines Vermögens beispielsweise einer gemeinnützigen Stiftung zuwendet oder selbst eine solche Stiftung errichtet, entzieht den pflichtteilsberechtigten Personen den entsprechenden Vermögenswert.

Foto: Getty Images / Robert Daly

Wer ein Testament errichten möchte, kann vielfach nur über einen Teil seines Vermögens frei verfügen. Der Grund sind die Pflichtteile zugunsten der Kinder und des überlebenden Ehegatten bzw. eingetragenen Partners, die – sehr pauschalisiert betrachtet – insgesamt etwa die Hälfte des Werts des hinterlassenen Vermögens ausmachen. Nur über den Rest kann letztwillig disponiert werden.

Das österreichische Erbrecht befindet sich dabei im Einklang mit der kontinentaleuropäischen Rechtstradition, die durch eine mehr oder weniger strenge Pflichtteilsbindung zugunsten der nächsten Angehörigen eines Verstorbenen gekennzeichnet ist. Dahinter steht der Gedanke einer gewissen Familienbindung des Vermögens; auch wird geltend gemacht, dass der Pflichtteil den Kindern als materielle Startbasis für ihr eigenes Leben dienen soll.

Diese Gründe haben jedoch an Überzeugungskraft verloren: Der Familienbindung des Vermögens steht die wachsende Individualisierung in der Gesellschaft entgegen; und die steigende Lebenserwartung hat dazu geführt, dass der Vermögensübergang an die Kinder häufig erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem diese bereits im fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt stehen und dann einer materiellen Starthilfe nicht mehr bedürfen.

Alternative zum Pflichtteilsrecht

Rechtspolitisch zwingend ist ein derart strenges Pflichtteilsrecht ohnehin nicht. Dem angloamerikanischen Recht sind Pflichtteile kontinentaleuropäischer Prägung fremd. Dort gibt es allerdings die sogenannten "family provisions", die das Gericht im Einzelfall einem nahen Angehörigen des Verstorbenen einräumen kann. Der wesentliche Unterschied zum Pflichtteil ist die Bedarfsabhängigkeit: Während der Pflichtteil in jedem Fall auf Teilhabe am Nachlasswert gerichtet ist, wird bei den "family provisions" ein bestimmter Unterhaltsbedarf des Berechtigten vorausgesetzt.

Obwohl in der österreichischen Diskussion immer wieder Zweifel an der rechtspolitischen Legitimation des herkömmlichen Pflichtteilsrechts geäußert wurden, ließ sich der Gesetzgeber bei der großen Erbrechtsreform des Jahres 2015 von dieser Kritik nicht beeindrucken. Er hielt am Modell eines starren Pflichtteils fest, der den Berechtigten ohne Rücksicht auf den jeweiligen Bedarf zusteht. Zu tief schien das traditionelle Pflichtteilsverständnis im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung verankert.

Förderung der Philanthropie

Wegen dieser erst wenige Jahre zurückliegenden Grundsatzentscheidung ist auf absehbare Zeit nicht mit einer rechtspolitischen Neubewertung zu rechnen. Zu erwägen ist freilich, dass an kleineren Stellschrauben gedreht werden könnte. Eine davon betrifft eine verstärkte Förderung der Philanthropie zulasten des Pflichtteils.

Dies ist weniger revolutionär, als es möglicherweise erscheint. Denn bereits seit mehr als hundert Jahren enthält das österreichische Erbrecht eine Bestimmung, wonach Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken, die der Erblasser noch zu Lebzeiten macht, bei der Bemessung der Pflichtteile nicht berücksichtigt werden.

Wer also vor seinem Tod Teile seines Vermögens beispielsweise einer gemeinnützigen Stiftung zuwendet oder selbst eine solche Stiftung errichtet, entzieht den pflichtteilsberechtigten Personen den entsprechenden Vermögenswert, weil der Pflichtteil in einem solchen Fall nur auf der Grundlage des beim Tod noch vorhandenen Vermögens berechnet wird. Eine Höchstgrenze für Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken gibt es nicht.

Carnegies Vermächtnis

Es liegt auf der Hand, dass die Rechtsordnung in diesem Zusammenhang das öffentliche Interesse an der Förderung der Philanthropie höher bewertet als das Individualinteresse der pflichtteilsberechtigten Angehörigen auf Teilhabe am Vermögen des Verstorbenen. Diese Wertung kommt einem Postulat nahe, das der US-amerikanische Milliardär und Philanthrop Andrew Carnegie bereits Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Schrift Wealth formulierte: Jeder vermögende Mensch solle seine Güter bereits zu Lebzeiten dem Wohl seiner Mitmenschen widmen. Denn: "A man who dies thus rich dies disgraced."

Anknüpfend an diese Regelung wäre eine Erweiterung des Philanthropiegedankens zu erwägen. Warum sollte die Förderung gemeinnütziger Zwecke, die jetzt bei Zuwendungen zu Lebzeiten besteht, nicht auch für letztwillige Verfügungen gelten? Was spricht gegen ein Modell, wonach etwa der Wert eines Vermächtnisses, das der Erblasser einer gemeinnützigen Institution aussetzt, bei der Bemessung der Pflichtteile unberücksichtigt bleibt?

Folgt man diesem Vorschlag, dann würden die Pflichtteile nur vom übrigen Wert der Verlassenschaft bemessen. Wem dieser Gedanke zu radikal erscheint, der könnte auch das Ausmaß "pflichtteilsfreier" Zuwendungen mit einem bestimmten Anteil des Nachlasswerts beschränken. In jedem Fall könnte auf diese Weise die Förderung der Philanthropie mit den Mitteln des Erbrechts zulasten der Familienbindung des Vermögens gefördert werden, deren rechtspolitische Legitimation ohnehin brüchig geworden ist.

Schutz für bedürftige Angehörige

Gegen dieses Modell wäre ein Einwand möglich: Was, wenn die nächsten Angehörigen des Verstorbenen tatsächlich bedürftig sind und finanziellen Bedarf zur Sicherung ihrer materiellen Lebensgrundlage haben? Sollte der Erblasser auch dann ihren Pflichtteil durch gemeinnützige Zuwendungen im Testament schmälern dürfen?

Allerdings schützt bereits das geltende Recht die Angehörigen in solchen Fällen, weil Kinder und Ehegatten (eingetragene Partner) die Unterhaltsansprüche gegen den Verstorbenen nach dessen Tod gegen die Verlassenschaft und die Erben richten können. Selbstverständlich spricht nichts dage gen, diese Ansprüche beizubehalten und gegebenenfalls zu stärken.

Solidarität vor Familienbindung

Dort aber, wo kein Unterhaltsbedarf von Angehörigen besteht, sollte das Potenzial des Erbrechts zur Förderung der Philanthropie, die der Solidarität und dem Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft dient, stärker genutzt werden. Wenn bereits nach geltendem Recht Zuwendungen zu gemeinnützigen Zwecken, die der Erblasser zu Lebzeiten gemacht hat, Vorrang vor der Familienbindung des Vermögens genießen, dann erscheint es konsequent, dass auch letztwillige Zuwendungen, die solchen Zwecken dienen, bei der Bemessung der Pflichtteile nicht berücksichtigt werden.

Einer wohlhabenden Gesellschaft stünde es gut an, dem Erblasser selbst die Wahl zu überlassen, ob und inwieweit er in seinem Testament eher gemeinnützige Anliegen unterstützen oder einen Teil seines Vermögens aufgrund des Pflichtteilsrechts seinen Kindern und dem Ehegatten (eingetragenen Partner) hinterlassen möchte. Der hier erstattete Vorschlag könnte mit geringem Aufwand gesetzestechnisch umgesetzt werden. (Martin Schauer, 23.9.2021)