Wir kennen das alle, in verliebten Phasen ist Lust meist von ganz allein stark ausgeprägt und trägt uns von einem berauschenden Augenblick oder Höhepunkt zum nächsten. Wir möchten verführen und verführt werden, können kaum vom anderen lassen, alles finden wir toll. Wir genießen das gemeinsame Spiel.

Wir fühlen uns als Mensch, so wie wir sind (endlich) geliebt, bestätigt und sind im Rausch des Glücks. Wir werden gesehen, begehrt, geliebt, und zwar genau so, wie wir sind. Sogar weil wir so sind, wie wir sind. Das ist eine tiefe Sehnsucht des Menschen. Von inniger Zärtlichkeit, oft Leidenschaft und grandiosen Glücksgefühlen eingehüllt, spüren wir uns selbst und den anderen intensiv und wünschen, dass dieser Zustand ewig anhält. Nach einiger Zeit ist die Situation oft – wie viele von uns im realen Leben schon erfahren haben – eine ganz andere. Die Lust ist vielleicht mitsamt dem Menschen des früheren Begehrens verschwunden oder sie wurde vom Alltag verschluckt. Zu gerne würden wir – weil es so einfach wäre – dem Partner beziehungsweise der Partnerin die Schuld an mangelndem und unbefriedigendem Sex geben.

Dabei tragen wir selbst auch viel dazu bei – das ist ja das Schöne, wenn auch Unbequeme. Selbstverantwortung kann man das nennen oder auch Selbstfürsorge. Denn wer will nicht immer wieder guten Sex?

Vom Verliebtsein zur Liebe

Wenn das Verliebtsein in Liebe "übergeht", eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. Man lässt sich mehr und mehr aufeinander ein und genießt mit der Zeit mehr Vertrauen und Sicherheit, Gewohnheiten, Rituale und Zuverlässigkeit. Es gibt unzählige Studien, die aufzeigen, wie wichtig Sicherheit und Vertrauen sind, um auch Leichtigkeit und Unbeschwertheit miteinander intensiv genießen zu können.

Es kann sich eine individuelle und tragfähige Basis entwickeln, auf die man bauen kann. Mit dieser größer werdenden Selbstverständlichkeit hat man sich gegenseitig besser kennengelernt, glaubt, den Partner "einschätzen" zu können. Mit der Zeit kennt man die Zuckerseiten und Macken, die liebenswerten und unmöglichen Schrullen des Partners, die sexuellen Vorlieben und weiß meist, ob und wie man damit umgehen will und kann.

Wie lassen Sie sich ein?

Zu Beginn der Beziehung ist der Sex meistens aufregend und neuartig. Vor allem, wenn ausreichend Selbstbewusstsein, Mut, Neugierde, Interesse und Offenheit da sind, sich einzulassen. Dieses Aufbauen von Sicherheiten und Vertrauen, entwickeln von Gemeinsamkeiten und Rituale, mit denen beide ihren Wohlfühlplatz finden und die weit über gemeinsamen Sex hinausgehen, ist meist eine wunderschöne Beziehungsphase. Dieser Teil legt die Basis für die Zukunft.

Achtung, Falle: Wer in dieser Phase gleich "glaubt, zu wissen", sich ausschließlich auf "blindes Verstehen" verlässt oder nach früheren Partnerschaften einsortiert – "ist wie x, y, z" – und nicht ausreichend bewusst wahrnimmt und auch fragt –, hat oft schon verloren. Jeder Mensch ist ein Unikat und ist es wert, als solches kennengelernt, entdeckt und erobert zu werden.

Glaubt man, alles zu wissen, was der Partner mag, was ihm Freude und Lust bereitet und was gar nicht geht, wird man blind für aktuelle Bedürfnisse. Hier gilt es zu differenzieren: Es ist einerseits gut, die besonders empfänglichen Körperstellen und besten Tageszeiten oder Situationen, die beliebtesten Stellungen zu kennen. Andererseits macht es unglaublich lebendig, immer und immer wieder bewusst miteinander zu sein, auch intim zu werden. Denn selbst wenn Fantasien und Träume ausgetauscht, vielleicht ausgelebt werden, erotische Vorlieben schon längst zur Gewohnheit geworden sind, gibt es tatsächlich jederzeit die Möglichkeit, sich ganz auf den Moment einzulassen und zu erleben, was jetzt gerade erregt.

Wenn Sie mehr Sex haben wollen, müssen auch Sie daran etwas ändern und nicht alles auf den Partner oder die Partnerin schieben.
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Lustkiller "Los, mach mir Lust!"

Was einige Zeit zuverlässige Befriedigung vermittelt, kann auch langweilig werden. Wenn die Lust nachlässt, würden viele gerne dem Partner beziehungsweise der Partnerin die Schuld an mangelndem und unbefriedigendem Sex geben. Immerhin war er oder sie früher viel aktiver. Stimmt. Sie selbst aber auch. Viele Paare reduzieren ihre Sexualität – meist unbewusst – auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, das ist leider alles nicht sexy.

Wenn die Tage von Gewohnheiten und Alltagskram geprägt oder durch mehrfache Belastungen sehr straff organisiert sind – wie soll da "von ganz allein" Sex stattfinden, geschweige denn lustvoller, aufregender Sex? Da können Vorwürfe wie "Nie ergreifst du die Initiative!" oder "Mach was Neues, aber mach es richtig!" schnell mehr kaputt als Sinn machen.

Rein verbale Bestellungen wie "Du, ich hätte gern mal wieder Sex" kommen meist als vorwurfsvolles "Mach du mal" an. Das sind richtige Lustkiller. Auch wenn einer viel öfter will als der andere und Druck ausübt, kann es sehr kontraproduktiv sein. Druck erzeugt Gegendruck, die Rollen sind dann fixiert. Doch es gibt Methoden, aus dieser be- und erdrückenden Endlosschleife auszusteigen.

Grundvoraussetzung: Entscheidung für die Lust

Es gibt selbstverständlich kein 08/15-Rezept, das für alle gilt. Aber es braucht immer die bewusste Entscheidung zu einem "Ja, ich will wieder lustvollen Sex mit meinem Partner erleben!". Denn wer immer darauf wartet, dass der/die andere beginnt, bleibt in einer "Opferrolle", gibt völlig die Verantwortung ab und damit auch die Gestaltungsmöglichkeiten, Überraschungsmomente, Freude – und das tut niemandem gut.

Wie sieht es mit Ihrer Verführungskompetenz aus? Nein, weder Geigen noch Strapse sind hier gemeint, sondern die Fähigkeit, ein gewisses Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen, die Möglichkeit, Momente des Genusses und der Leichtigkeit zu schaffen und in die eigene Bedürfniswelt einzuladen. So eine Entscheidung gibt augenblicklich Spielräume, selbst etwas zu tun, und Sie können endlich aus gewohnten unbefriedigten Rollen aussteigen.

Was möchten Sie selbst?

Beginnen Sie im ersten Schritt bei sich selbst. Nehmen Sie sich Zeit, um sich selbst wieder zu spüren und einen wohlwollenden Blickwinkel auf die Begehrlichkeiten des eigenen Körpers zu finden. Sind es Berührungen, die sinnliche Bedürfnisse wecken, oder Worte? Optische Eindrücke oder Gerüche? Fantasien oder Erinnerungen? Lieben Sie es, die Stimme und den Atem Ihrer Partnerin, Ihres Partners ganz nahe am Ohr zu spüren? Alles zusammen?

Vergessen Sie, was Ihnen bisher routinemäßig Lust produziert hat, und probieren Sie unbedingt neue Möglichkeiten der Berührung. Denn wer immer tut, was er immer getan hat, darf sich nicht wundern, wenn er das bekommt, was er immer bekommen hat.

Sechs Anregungen, die Lust machen können

  • Ich wünsche mir…: Nehmen Sie Ihren Mut zusammen und reden Sie endlich über Ihren persönlichen Sex! Führen Sie grundlegende oder ernsthafte Gespräche über Sex besser nicht im Bett und auch nicht zwischen Tür und Angel. Nehmen Sie sich Zeit und finden Sie einen entspannten Zeitpunkt, zum Beispiel bei einem Spaziergang. Bleiben Sie bitte unbedingt bei motivierenden Botschaften, die ein Bild zeichnen, wohin Sie möchten. Klare motivierende Worte tun gut, etwa "Ich genieße es, wenn du Stelle x berührst", "Es macht mich heiß, wenn …". Tabu sollten Phrasen wie "Es nervt mich, wenn …", "Ich lasse über mich ergehen, wenn …" sein. Meiden Sie generelle Wörter wie "immer", "nie", "dauernd" – und formulieren Sie Wünsche statt Vorwürfe. Wenn der Sex noch nie wirklich gut war, Sie aber bleiben wollen: Erzählen Sie, dass Sie jetzt Lust auf x, y, z hätten und laden dazu ein. Vielleicht kommt der beste gemeinsame Sex Ihres Lebens noch?

  • Einladungen sind viel erfolgreicher als Vorwürfe: Womit waren Sie schon früher erfolgreich bei der Partnerin, dem Partner? Was turnt ihn beziehungsweise sie an? Womit können Sie Ihrem Gegenüber jetzt einladen und positiv überraschen? Was möchten Sie gerne mit Ihrer Partnerin, Ihrem Partner erleben, wonach sehnen Sie sich? Und wie können Sie das so vermitteln, dass Ihr Gegenüber es bemerkt, neugierig wird und mitmachen möchte?

  • Lust braucht Gelegenheit, Spielräume und Zeit: Nehmen Sie sich bewusst Zeiträume füreinander. Wie wäre es, wenn Sie jetzt beginnen und zu einem Rendezvous einladen? Lassen Sie Ihre Fantasie spielen und erwarten Sie nicht gleich intensiven Körperkontakt beim ersten "neuen" Date. Freuen Sie sich über bewusste Schritte in Richtung gemeinsame Freude. Freude ist eine Vorstufe zur Lust.

  • Lustvolle Rituale: Schön ist es, wenn Sie einander abwechselnd zu Verabredungen einladen. Ob fix vereinbart oder spontan, entscheiden Sie. Klare Verabredungen sind hier ganz hilfreich, so kann rascher Vorfreude entstehen. Wenn Sie möchten, teilen Sie Ihrer Partnerin, Ihrem Partner beispielsweise nur den "Dresscode" mit, alles andere wird eine Überraschung. Es geht weniger um teure Einladungen als um genussvolle gemeinsame Erlebnisse und neue Impulse. Ein Picknick kann viel intimer werden als eine tolle Veranstaltung – und klappt auch einfacher, solange das Wetter noch mitspielt. Überraschungsmomente können auch positiv den Puls erhöhen, und wenn der Puls steigt, zeigen Untersuchungen, liegt Erregung näher.

  • Spielerische zärtliche Annäherung: Berühren Sie einander bewusst anders (langsamer, fester, zärtlicher) und spüren Sie, wie es sich anfühlt, beobachten Sie und vielleicht fragen Sie nach. Schauen Sie einander bewusst mit Blickwinkel auf das Positive an und erzählen Sie dem anderen, was Sie mögen. Ehrliche Liebesbekundungen tun immer wieder gut, das nützt sich auch nicht ab.

  • Manchmal kommt der Appetit auch erst beim Essen: Lassen Sie sich ein. Tatsächlich kommt auch beim Sex die Lust oft erst durch Aktivität und durch angenehme sexuelle Erlebnisse. Sagen Sie, was Sie möchten, vielleicht zu Beginn eine langsamere Annäherung? Hierzu ein sportlicher Vergleich – wer nach langer Pause neu mit dem Laufen beginnt, braucht auch ein wenig Durchhaltevermögen und Regelmäßigkeit, bis er wieder Freude, Erfolge und Hochgefühle verspürt.

Bleiben Sie im bewussten, wohlwollenden Austausch, fragen Sie nach und finden Sie klare, liebevolle Worte, das ist nicht nur schön, das nährt und verbindet. Spüren Sie und reden miteinander. Interpretationen können unwahr sein, lustlose Phasen sind normal, sie kommen und gehen. Mit Freude und Aufmerksamkeit, kleinen Überraschungsmomenten gelingt die Lust viel leichter. (Nicole Siller, 24.9.2021)