Allein lernen oder in der Gruppe? Im häuslichen Unterricht eine heikle Frage, solange Privatschulen nicht als solche gemeldet werden.

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Zehn Kinder zwischen sechs bis 14 Jahren, von ihren Eltern von der Schule abgemeldet, stattdessen unterrichtet in einem privaten Wohnhaus: Als die Behörden von den Vorgängen in Villach erfuhren, statteten sie der Gruppe einen Besuch ab. Dort wurden sie prompt des Hauses verwiesen. Feststellen konnten sie aber, dass im Erdgeschoß des Hauses eine Garderobe, ein Computerraum und Lernmaterialien parat standen. Laut dem Villacher Magistrat handelt es sich um Eltern, die Corona-Maßnahmen ablehnen und ihre Kinder zu Hause unterrichten.

Derartige Vorkommnisse häufen sich. Was zuvor ein absolutes Nischenphänomen war, dringt offenbar langsam, aber doch in breitere Schichten vor: sein Kind nicht mehr in die Schule zu schicken, sondern zum sogenannten "häuslichen Unterricht" anzumelden. Es betrifft österreichweit nach wie vor nur einige Tausend Kinder, aber die Anzahl ist deutlich gestiegen. 7.515 Kinder sind im heurigen Schuljahr über diesen Weg aus der Schule genommen worden, im Vorjahr waren es 2.600.

Neue Debatte

Woran das liegt, lässt sich nicht mit völliger Sicherheit sagen. Die Gründe für die Abmeldungen werden von den Behörden nicht systematisch erhoben – was daran liegt, dass die Anmeldung zum häuslichen Unterricht keiner Bewilligungspflicht unterliegt, sondern lediglich "angezeigt" werden muss. Einige Bildungsdirektionen wissen aber aus Gesprächen mit Eltern, woran es hakt. In Niederösterreich etwa nennt man die Ablehnung von Corona-Schutzmaßnahmen als Hauptgrund, in Salzburg sieht man einen "großen Einfluss". Das legen auch Gruppen in sozialen Medien nahe, in denen sich Eltern austauschen und organisieren. DER STANDARD beobachtet derartige Entwicklungen schon seit mehreren Monaten.

Und nun ist eine neue Debatte entbrannt: Was ist häuslicher Unterricht eigentlich genau – und wie darf er stattfinden?

Geht es nach dem Bildungsministerium, ist der Zusammenschluss zu sogenannten Lerngruppen nicht erlaubt. Zumindest dann nicht, wenn dort quasi alternativ zur herkömmlichen Schule unterrichtet wird. In den letzten Jahren ließ man manche dieser Gruppen mehr oder weniger gewähren. Doch angesichts der stark steigenden Abmeldezahlen wird seitens der Behörden nun mehr Strenge signalisiert. Gleichzeitig dürften sich den Beobachtungen in sozialen Medien zufolge immer mehr derartige Initiativen gründen.

Argumentiert wird seitens des Ministeriums so: Lerngruppen seien erlaubt, solange man dort etwa nur gemeinsam Hausübung mache. Sobald Lerngruppen aber Angebote setzen, die denen einer Privatschule gleichkommen, müsse das der Schulbehörde gemeldet werden. Für eine Privatschule gilt es nämlich auch bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. So muss sie beispielsweise drei Monate vor Schulbeginn angezeigt werden, und der Schulleiter bzw. die Schulleiterin muss über entsprechende pädagogische Fähigkeiten verfügen. Am Beispiel der "Schule" in Villach lässt sich das gut nachvollziehen: Dort wurden offenbar viele Faktoren, die eine Privatschule ausmachen, erfüllt.

Tipps unter Eltern

In Kreisen, in denen Corona-Maßnahmen abgelehnt werden, wächst nun aber der Widerstand gegen derartige Hürden. In einschlägigen Gruppen tauschen sich Eltern darüber aus, wie sie die Regelungen umgehen können. Auch vorgefertigte Schreiben sind in Umlauf, die an die Bildungsdirektionen gesendet werden können. Darin wird ganz grundsätzlich bestritten, dass es sich bei Lerngruppen um Privatschulen handle. Denn in Lerngruppen werde weder unterrichtet, noch gebe es ein erzieherisches Ziel.

Einzelne Personen, die schon Erfahrung in dem Bereich gesammelt haben, geben auch Tipps für die Praxis. Etwa zu Fragen wie: Kommt dann das Jugendamt? Oder dazu, was bei einer Kontrolle durch die Bezirksbehörden zu tun sei. Ratschlag: keine Lernmaterialien bereithalten, verneinen, dass die Kinder auf die verpflichtend zu absolvierende Prüfung am Ende des Schuljahrs vorbereitet werden oder dass überhaupt unterrichtet wird.

Es kann wohl mitunter zu einer Streitfrage werden, wie eine Lerngruppe zu bewerten ist. Das wissen auch die betroffenen Eltern. Markus Juranek ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schule und Recht und bei der Bildungsdirektion Vorarlberg tätig. Er erläutert die Sachlage so: Eine "verkappte Privatschule" liege dann vor, wenn mehrere Kinder – konkret: mehr als zwei – zusammenkommen, zumindest ein Lehrer vorhanden ist und in einem konkreten Raum – ein digitaler Raum reiche nicht – nach einem Lehrplan unterrichtet wird.

Doch was hat es bisher für konkrete Folgen, dass die politisch Verantwortlichen verstärkt betonen, dass derartige Zusammenschlüsse nicht erlaubt sind? DER STANDARD fragte bei allen neun Bildungsdirektionen nach. Einen Gesamtüberblick über die (vermutete) Anzahl an Lerngruppen und etwaigen eingebrachten Anzeigen gibt es nicht. Doch in manchen Bundesländern gibt es Aufzeichnungen: In Tirol etwa geht man von vier derartigen Gruppen aus. In Vorarlberg wird eine Anzeige geprüft. Ebenso werden in Oberösterreich mehrere Fälle unter die Lupe genommen.

In Wien wurden im letzten Jahr zehn Fälle von nicht angezeigten Privatschulen "rechtskräftig ausjudiziert", heißt es. Den betroffenen Kindern wurden daraufhin Schulplätze zugewiesen. Generell betont man aber, dass die aktuelle Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts eher darauf schließen lasse, dass es gegen Lerngruppen per se keine rechtliche Handhabe gebe.

Rückkehrer erwartet

In sozialen Medien kommt jedenfalls immer wieder die Frage danach hoch, wie man, ist der häusliche Unterricht erst einmal angezeigt, nun zu Schulunterlagen oder Schulbüchern komme. Das deckt sich mit der Einschätzung mancher Bildungsdirektionen: nämlich dass sich die Eltern oft nicht im Klaren darüber sind, was häuslicher Unterricht konkret bedeutet. "Einige Eltern und Schülerinnen und Schüler haben sicher das Distance-Learning im Kopf, das in manchen Fällen sehr gut funktioniert hat. Das ist jedoch nicht mit dem häuslichen Unterricht zu vergleichen, da es keine Unterstützung durch die Schule gibt", heißt es aus Salzburg. Man gehe davon aus, dass in diesem Semester einige wieder in den Regelunterricht zurückkehren werden.

Und in Villach? Dort erfolgte am Dienstag eine Nachkontrolle. Der Betrieb wurde eingestellt, heißt es seitens der Behörde. Nun drohen Strafen. Was eine Anzeige aufgrund der Errichtung einer etwaigen illegalen Privatschule betrifft, verweisen Magistrat und Bildungsdirektion aufeinander. Doch eine andere Anzeige wurde bereits vom Magistrat eingebracht, und zwar aufgrund der "bewilligungslosen Änderung des Verwendungszwecks" nach der Bauordnung, Strafrahmen bis zu 3.000 Euro. (Vanessa Gaigg, 29.9.2021)