Walter J. Pfeil, Professor für Arbeitsrecht und Sozialrecht, hält wenig von der jüngsten Anweisung betreffend arbeitslose Personen von Arbeitsminister Martin Kocher. Er sieht "in politischer Hinsicht eine geradezu schändliche Dimension".

Niemand wird infrage stellen können, dass Arbeitslose sich anstrengen müssen, um eine Beschäftigung zu finden. Die der Arbeitslosenversicherung zugrunde liegende Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die Anordnung von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) an das AMS, im Falle einer Nichterbringung eines Impfattests das Arbeitslosengeld zu kürzen, ist trotzdem rechtlich und politisch fragwürdig. Zweifelsohne erhöht sie den Druck auf Arbeitslose wie auch auf Impfunwillige. Sie bedient damit zwei Forderungen, die – wenn auch wohl in unterschiedlichem Ausmaß – gesellschaftlich mehrheitsfähig scheinen.

Soll es AMS-Sperren für Ungeimpfte geben? Eine Anweisung des Arbeitsministers sieht dies vor.
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Doch die Anstrengungen, die Arbeitslose leisten müssen, um einen Job zu finden, werden schon jetzt vor allem durch die Zumutbarkeitsbestimmungen objektiviert: Wer sich weigert, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder durch unangemessenes Verhalten (etwa im Bewerbungsgespräch) eine Beschäftigung vereitelt, verliert seinen Anspruch, zunächst für sechs Wochen und dann eventuell sogar auf Dauer. Die Zumutbarkeit soll eine Balance herstellen zwischen den berechtigten Interessen Arbeitsloser (Schutz der Gesundheit, angemessene Bezahlung, Bedachtnahme auf Familienpflichten und erworbene Qualifikationen) und dem Interesse der Allgemeinheit, Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen ehest möglichst zu beenden.

Empfehlung reicht nicht

Geimpft zu sein gehört freilich nicht zu den hier maßgebenden Kriterien. Hier bräuchte es einen Gesetzesbeschluss, dessen Verfassungsmäßigkeit allerdings noch zu prüfen wäre. Eine Vollzugsanweisung oder eine Empfehlung – als welche die Vorgabe nun dargestellt wurde, offenbar weil das Ministerium erkannt hat, dass der Inhalt rechtlich heikel ist – reicht keinesfalls.

Das Problem wird auch nicht dadurch entschärft, dass das AMS selbst keinen Impfnachweis verlangt. Vielmehr seien Arbeitgeber berechtigt, eine Jobzusage von einer Corona-Impfung abhängig zu machen. Tatsächlich besteht hier Vertragsfreiheit, die wohl nur durch den Schutz vor Diskriminierungen (aufgrund von Geschlecht, Alter, Religion, Weltanschauung, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder Behinderung) begrenzt wird. Arbeitgebern ist es durchaus erlaubt, nur Personen einzustellen, die ihnen sympathisch sind, demselben Fußballverein anhängen oder eben geimpft sind. Letzteres wird sachlich begründet sein, wenn die Beschäftigung im Gesundheits- oder Pflegebereich oder zu körpernahen Dienstleistungen erfolgen soll.

Darüber hinaus wird oft und an sich zutreffend darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber auch Fürsorgepflichten gegenüber den anderen Beschäftigten und Schutzpflichten gegenüber Kunden haben. Diese Pflichten können aber nur dann auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgewälzt werden, wenn auch deren berechtigte Interessen Berücksichtigung finden. Eine generelle Impfpflicht ist weder aus dem allgemeinen Arbeitsrecht noch aus dem Arbeitslosenversicherungsrecht abzuleiten. Beschäftigte müssen dann "nur" das Risiko eines Jobverlustes und Arbeitslose jenes einer Nichteinstellung tragen.

Grundrechtsfrage

Die Arbeitslosenversicherung muss für dieses Risiko nur einstehen, wenn das Scheitern der Einstellung nicht der betreffenden Person anzulasten ist. Dafür reicht aber nicht die subjektive Anforderung des Arbeitgebers, mag sie auch im Einzelfall berechtigt erscheinen. Es bedarf vielmehr einer Objektivierung, die ein unsachliches oder gar willkürliches Vorgehen – und das gibt es bei Bewerbungen auch von Arbeitgebern – weitestmöglich ausschließt. Im Hinblick auf Impfungen kann das letztlich nur durch die staatliche Anordnung einer Impfpflicht erfolgen. Darin liegt freilich eine Einschränkung individueller Grundrechte. Diese ist für gewisse Bereiche und auch Berufsgruppen sachlich zu rechtfertigen. Eine generelle Verpflichtung scheint hingegen rechtlich unverhältnismäßig und ist gesellschaftlich kontraproduktiv, wie zuletzt Heribert Prantl in seinem Gastbeitrag aufgezeigt hat.

Erste harte Sanktionen

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit und damit der Verfassungskonformität ist besonders auf die Sanktionen bei einer Pflichtverletzung zu achten. Man darf zwar davon ausgehen, dass es keine unmittelbaren Strafen geben kann. Trotzdem macht es einen elementaren Unterschied, ob Nichtgeimpfte bloß keinen Zugang zu bestimmten Veranstaltungen oder zur Nachtgastronomie haben oder ob ihnen die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen wird. Denn eine Sperre durch das AMS schlägt auch auf jene Arbeitslosen durch, bei denen zu geringe Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung durch Sozialhilfe oder Mindestsicherung aufgestockt werden müssen. Dies geht dann wegen "mangelnder Arbeitswilligkeit" ebenfalls verloren.

Damit erhält ein rechtliches Problem auch in politischer Hinsicht eine geradezu schändliche Dimension. Die politisch Verantwortlichen scheuen vor strengeren Covid-Maßnahmen zurück, wenn die Umfragewerte sinken oder Wahlen bevorstehen. Dafür sollen die ersten harten Sanktionen bei Impfunwilligen gesetzt werden, die sozial schwach sind und deswegen auch sonst "übersehen" werden. Ein solches Vorgehen ist auch in gerade in (verfassungs)rechtlicher Hinsicht unhaltbar, weil es unsachlich ist, einzelne Gruppen unausgewogen zu belasten oder nur ihnen zusätzliche Beschränkungen aufzuerlegen.

Nach allem, was wir wissen, sind Impfungen sicher und schützen zumindest vor schweren Erkrankungen. Sie aber allein für Arbeitslose als zumutbar zu qualifizieren und nur dort Impfunwillige zu sanktionieren ist rechtlich und politisch verfehlt. (Walter J. Pfeil, 23.9.2021)