"Gö, du bist der Polt?" – "Jo, scho lang. Derlei kann Gerhard Polt beim Oktoberfest passieren.

Foto: Heribert Corn

Gerhard Polt sitzt beim Frühstück im Restaurant eines Wiener Hotels. Er ist nicht nur im Humor eine Autorität, auch als Gastgeber lässt er sich nicht lumpen. "Setzts eich her, des geht si scho aus. Wollts wos frühstücken? Das geht aufs Zimmer."

Es ist ein Samstag im August, Tags zuvor hat der Bayer mit den Well-Brüdern an einem lauen Sommerabend im Theater im Park das Programm Im Abgang nachtragend gegeben, gespickt mit Anspielungen auf die Politik des Gastgeberlandes. Reden wollen wir mit ihm aber über die deutsche Politik. Über dies, das und das andere. "Jo, von mir aus", sagt er und nimmt einen Schluck von seinem Kaffee.

STANDARD: In Deutschland und Österreich gab es zuletzt mehrere Plagiatsaffären. Von Politikern ist man Halbwahrheiten und Lügen gewohnt, aber bei einer gefälschten Diplomarbeit ist man menschlich enttäuscht. Ist das nicht seltsam?

Polt: Wenn einer plagiiert, ist er ein Dieb, das ist ein Diebstahl. Dann ist es nicht ein Fehler, den er macht, es ist ein Charakterfehler, der die Person degradiert. Es geht dann vielleicht tiefer, als wenn man sagt, der hat da ein Versprechen nicht gehalten. Da sagt man dann vielleicht, jetzt haben wir ihn, der ist grundsätzlich als Individuum verwerflich.

STANDARD: Schwindeln war früher beim Lehrkörper insofern anerkannt, als dass das Nichterwischtwerden ein Indiz für eine gewisse vorhandene Intelligenz war.

Polt: Bei uns, da gab es den Fall, wo diese Masken besorgt und verkauft worden sind, so über Beziehungsgeflechte, wo bei der CSU viele Namen wieder auftauchen, die schon der alten Zunft angehört haben. Und die tauchen wieder auf und bringen diese Masken auf den Markt, und drum haben viele Leute gesagt, dass man die jetzt so anklagt, des hätt’s unterm Franz Josef Strauß nicht gegeben. Weil damals war sozusagen die Kulanz größer. Ich weiß nicht, ob’s katholisch ist, jedenfalls ist es diese Mentalität, wo man sagt, ja, a Hund is er schon. Das heißt, er macht üble Sachen, aber es wird doch auch bewundert.

Polt spricht, die Kellnerin schaut.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die österreichische Satireplattform "Die Tagespresse" hat den ÖVP-Politiker Andreas Hanger wegen Wettbewerbsverzerrung geklagt. Sie werfen ihm vor, dass er ein versteckter Satiriker sei und seine politische Bekanntheit dafür nutzt. Die Klage ist vom Handelsgericht akzeptiert worden.

Polt: Da gab’s bei uns ein Beispiel, wo die Ehefrau vom Franz Josef Strauß geklagt hat: Die Karikaturisten und Satiriker müssten ihnen Tantiemen zahlen, weil sie lebten ja von ihrem Mann.

STANDARD: Was sagt das über Politik aus, wenn man sagt, das kann der doch nicht ernsthaft als Politik verkaufen?

Polt: Es gibt Menschen, wo ich mir nicht klar bin, ist der einfach so unverschämt oder ist das Kalkül? Dieses Gebaren – welche Form von Intelligenz ist das? Intelligent war der Al Capone auch, aber es war eine kriminelle Intelligenz. Also es kommt darauf an: intelligent in Bezug auf was?

STANDARD: Manche Politiker werden scheinbar nur dafür eingesetzt, um von einer Sauerei abzulenken.

Polt: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man sich selber einen Buhmann schafft, der wie beim Kasperltheater als Watschenmann dient.

STANDARD: Am Wochenende wird in Deutschland gewählt, was würden Sie sich für eine Politik wünschen?

Polt: Ganz banale Dinge halt, dass zwischen den politischen Kreisen und einer Alltagsrealität von vielen Menschen eine Näherung wäre. Dass Menschen, die das politische Gewerbe betreiben, nicht vergessen, woher sie kommen und für wen sie da sind. Dass sie eine Dienstleistung vollbringen. Dass sie sich wirklich in den Dienst der Gesellschaft stellen. Dass es Leute sind, die Kenntnisse darüber haben, wie es den Leuten geht. Die wissen, wo Menschen verletzlich sind und wo man ihnen helfen muss.

"Gö, du bist der Polt?" – "Jo, scho lang."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Es gibt diesen Stehsatz von Politikern am Wahlabend, dass sie das Ergebnis mit großer Demut zur Kenntnis nehmen. Die hält nur nie lang an.

Polt: So ist es auch mit dem Verantwortung-Übernehmen. Ich hab’ einmal eine Geschichte geschrieben, wo das einer beruflich macht. Aber was sind die Konsequenzen eines falschen Handelns? Bei der Wirecard, da gab es Untersuchungsausschüsse, und da hab ich mir gedacht, ich versteh schon, wenn du Finanzminister bist, selber hast du es ja nicht gemacht. Ich mach den nicht persönlich verantwortlich, aber ich verlange, dass sich der dann hinstellt und sagt: Es tut mir zutiefst leid, dass so viele Menschen geschädigt worden sind, und dass mein Apparat, dem ich vorstehe, nicht in der Lage war, das zu verhindern. Man muss sehen, der leidet darunter, dass sein Apparat das nicht erbracht hat. Und dass er wirklich den Willen hat, das zu verbessern.

STANDARD: Es wird nur noch kommuniziert, aber nicht mit den Menschen geredet.

Polt: Ich schau in Italien oft Fernsehdiskussionen, und da ist jedes dritte Wort "Lassen Sie mich doch zu Ende reden!". Und jeder schnauft und wartet, dass er in die nächste Gesprächslücke hineinkommt, ein Durcheinander. Aber am Schluss sind sie alle demonstrativ zufrieden mit dem Gespräch.

STANDARD: Sie streifen in Ihrer Kunst immer wieder das Soziotop des Stammtisches. Der gilt als bierschwere, eher konservative Zusammenkunft. Andererseits streiten sich dort die Leute immer wieder zusammen, weil sie nicht auf den Stammtisch verzichten wollen.

Polt: Für mich ist der Stammtisch auch das Wartezimmer beim Arzt. Überall ist ein Stammtisch, wo Menschen aus verschiedensten Gründen ins Gespräch kommen. Beim Tierarzt, wo sie gewisse Zeit miteinander verbringen und Themen austauschen, das find ich toll. Zuerst redet man übern Hund und die Katz, aber irgendwann über Politik. Leider nicht mehr in den öffentlichen Verkehrsmitteln ...

STANDARD: ... da regiert jetzt das Handy ...

Polt: ... ja, aber der Stammtisch ist ein wichtiges Instrument der Sozialisation, wo man ganz banale Dinge erleben kann, quer durch die gesellschaftliche Rangordnung. Beim Oktoberfest auch. Wobei es dort schon abnimmt. Überall herrscht Segregation. Die haben eine Box, die sind dort unter sich, damit geht was verloren. Wenn ich aufs Oktoberfest geh – zufällig sind sympathische Leut’ da, oder weniger, oder Leit’, die sind redselig oder a net, oder weiß der Teifl. Diesem Zufall sich auszusetzen ist ja wunderbar und spannend. Drum geh ich dorthin. Wenn ich mir den wegnehme, weil ich vorbestelle und reserviere – was Blöderes kannst net machen.

"Da gab’s bei uns ein Beispiel, wo die Ehefrau vom Franz Josef Strauß geklagt hat: Die Karikaturisten und Satiriker müssten ihnen Tantiemen zahlen, weil sie lebten ja von ihrem Mann."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Mit Gerhard Polt beim Oktoberfest zum Sitzen zu kommen, das ist wie ein Lottosechser.

Polt: Meine Erfahrung ist die, wenn ich mich so hinbegebe, dann kann’s schon passieren, dass einer sagt, "Gö, du bist der Polt?". Sag i: "Jo, scho lang." Aber innerhalb von relativ kurzer Zeit beruhigt sich der. Und jetzt hab ich an Vorteil: Weil der mich kennt, erzählt er mir Dinge, die er nur deshalb erzählt, weil er mich familiarisiert.

STANDARD: Kabarett ist ja eine Art politische Seelsorge, und die setzt sich dann im Leben fort …

Polt: Ich seh mich ja nicht als Kabarettist, ich bin ein Erzähler. Ein Geschichtenerzähler, und der muss seine Geschichte ja woher hab’n. Geschichten haben ja einen Ursprung. Wenn ich auf der Bühne bin, könnt ich bei fast allen Geschichten sagen, was mich stimuliert hat, wer das war und wo und in welchem Milieu. Das erzähl ich weiter. Das ist meist keine Einzelmeinung, aber die hat was Symptomatisches. Das betrifft immer mehrere Leute.

STANDARD: Als jemand, der mit Humor sein Leben bestreitet – kennen Sie einen aktuellen politischen Witz?

Polt: Ich hab da eine Karikatur gesehen, da wo der mit seinem Sohn zur Partei geht und sagt: "Der Bub möchte gerne mitmachen bei euch." – "Ja was kann er denn, der Sohn?" – "Jo nix." – "Ah, das ist gut, dann brauch ma ihn net anlernen." (Karl Fluch, 23.9.2021)