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Flüchtlinge und Migranten, die laut EU vom Regime in Minsk nach Belarus gelockt wurden, stecken an der Grenze zu Polen fest. Von dort können sie oft weder vor noch zurück.

Foto: AP / Czarek Sokolowski

Die Abschottung der polnisch-belarussischen Grenze mit einem hohen Stacheldrahtzaun hat die ersten Todesopfer gefordert: Am Sonntag wurden auf polnischer Seite drei Leichen gefunden und auf belarussischer – angeblich nur einen Meter von der Grenze entfernt – die Leiche einer Frau. "Sie sind an Unterkühlung und körperlicher Erschöpfung verstorben", erläuterte Polens Premier Mateusz Morawiecki in Warschau. "Noch wissen wir nicht, wer die Iraker sind, aber wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um ihnen ihre Identität zurückzugeben."

Die Polen erfahren auch von Rettungsaktionen: "Wir haben acht Menschen aus dem Sumpfgebiet bei Supraśl gerettet, sieben davon wurden sofort ins Krankenhaus gebracht", sagt Morawiecki. Und: "Wir haben fünfzehn Migrantenkinder gerettet, von denen die Hälfte Corona-krank war."

Ausnahmezustand

Überprüfen lässt sich das alles nicht. Auch nicht die täglich vom Grenzschutz bekanntgegebenen Zahlen von versuchten und verhinderten "illegalen Grenzübertritten". Denn vor rund einem Monat verhängte Präsident Andrzej Duda auf Antrag der nationalpopulistischen Regierung den Ausnahmezustand über die Grenzregion zu Belarus. Entlang der über 400 Kilometer langen Grenze sind auf einer Breite von drei Kilometern knapp 200 polnische Städte und Dörfer betroffen.

Touristen, Journalisten und anderen Ortsfremden ist der Zutritt verboten, zudem gibt es eine Nachrichtensperre. Die letzten Bilder, die von der Flüchtlingskrise an Polens Ostgrenze über die Bildschirme flimmerten, zeigten eine Gruppe von 32 frierenden Afghanen, darunter vier Frauen, ein 15-jähriges Mädchen und einen 17-jährigen Burschen, die den polnischen Soldaten auf Englisch zuriefen: "Wir wollen internationalen Schutz!" Sie standen rund um ein schlecht brennendes Lagerfeuer und konnten weder vor noch zurück. Hinter ihnen standen belarussische Soldaten, vor ihnen polnische, die ihnen den Grenzübertritt verweigerten.

Obwohl Hilfsorganisationen die Regierung in Warschau aufforderten, die knapp drei Dutzend Afghanen aufzunehmen, ihnen warmes Essen und ein Dach über dem Kopf zu geben und sie ein reguläres Asylbewerbungsverfahren durchlaufen zu lassen, weigerten sich die regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). "Wir lassen uns nicht erpressen!", so Morawiecki.

"Befehl von oben!"

Mit diesen Worten ist ein letztes Bild aus der Zeit vor dem Ausnahmezustand verbunden: ein großer weißer Topf mit heißem Letscho und zehn kleine Packungen Pizza, die Dorfbewohner aus der Umgebung den Flüchtlingen hatten zukommen lassen wollen. Der Grenzschutz ließ das Essen nicht durch. Und so stand es tagelang bei Wind und Wetter im Gras und verschimmelte. "Befehl von oben!", knurrte ein Grenzer hinter seiner Gesichtsmaske. Anwälte versicherten, sie hätten die mündliche Vollmacht der Flüchtlinge, einen Asylantrag zu stellen, doch Soldaten verhinderten den weiteren Kontakt über Megafone, indem sie die Motoren der Militärfahrzeuge laut aufheulen ließen.

Warschau geht davon aus, dass es sich bei dem ungewöhnlichen Flüchtlingsandrang an der Ostgrenze um einen hybriden Krieg von Minsk und Moskau gegen die EU handelt. Er sei eine Vergeltung für die Sanktionen gegen Belarus, die die EU nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen gegen das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko verhängt hat.

Ankunft in Deutschland

Tatsächlich sagte dieser im Mai, dass er Flüchtlinge "nicht mehr an der Weiterreise in die EU" hindern werde. Auf Aufnahmen mit Nachtsichtkameras des polnischen Grenzschutzes ist zu sehen, wie auf belarussischer Seite Militärfahrzeuge an die Grenze heranfahren, viele Menschen aussteigen und in Richtung polnischer Grenze rennen. Morawiecki zufolge habe es allein im September 4000 Versuche gegeben, die Grenze zu überschreiten. In den meisten Fällen habe Polen die Übertritte verhindern können.

Da Minsk zehntausende Iraker, Afghanen und Somalier habe einfliegen lassen, die über Polen oder Litauen nach Deutschland wollten, werde Polen die Grenze mit weiteren 500 Soldaten und schwerem Militärgerät verstärken, so Morawiecki. Laut vorläufigen Angaben des deutschen Innenministeriums steigt indes auch an der deutsch-polnischen Grenze die Zahl der illegalen Grenzübertritte stark an, wie rbb24 am Mittwoch berichtete. (Gabriele Lesser aus Warschau, 23.9.2021)