Bild nicht mehr verfügbar.

Evergrande hat tausende Wohnungen in China gebaut. Jetzt ist das Geld knapp. Der Konzern steht auf der Kippe. Die Anleger sind nervös, die chinesische Nationalbank hat vorsichtshalber schon Geld ins Bankensystem gespült.

Foto: Reuters / Aly Song

Der chinesische Immobilienkonzern Evergrande sorgt für Schlagzeilen. Das Unternehmen hat einen Schuldenberg angehäuft und steht vor dem Zusammenbruch. Für wen ist das bedrohlich? Wird der Konzern gerettet werden? Und warum wird Evergrande mit dem Fall Lehman Brothers verglichen?

Frage: Was ist Evergrande genau?

Antwort: Evergrande ist ein 1996 gegründeter chinesischer Immobilienentwickler. Gemessen am Umsatz von 66,8 Milliarden Euro für 2020 ist der Konzern das zweitgrößte Immobilienunternehmen in China.

Frage: Warum hat der Konzern ein Problem?

Antwort: Der Immobilienentwickler hat Schulden von 300 Milliarden Dollar angehäuft. Das entspricht rund zwei Prozent des BIPs von China. Das Unternehmen muss aber laufende Zinszahlungen – etwa für Anleihen – bedienen. Das wird aufgrund der Überschuldung immer schwieriger. Gelingt das nicht, gilt Evergrande als pleite.

Frage: Wie hoch ist die Zinslast aktuell?

Antwort: Bis zum Jahresende sind Zinszahlungen von rund 670 Millionen Dollar fällig. Bereits diese Woche stehen mehrere Zinszahlungen an.

Frage: Werden die Zinsen bezahlt werden?

Antwort: Der Chef von Evergrande, Hui Ka Yan, versucht seit Tagen, die nervösen Anleger zu beruhigen. Am Mittwoch kündigte Evergrande an, eine Anleihekuponzahlung von 35,9 Millionen Dollar pünktlich heute, Donnerstag, zu leisten. Diese wird fällig für eine Onshore-Anleihe für September 2025. Nicht geäußert hat sich das Evergrande-Management, ob es auch die ebenfalls heute, Donnerstag, fälligen Zinsen von 83,5 Millionen Dollar für seine Offshore-Anleihe vom März 2022 leisten wird können. Am 29. September steht eine Zahlung von 47,5 Millionen Dollar für eine Anleihe für März 2024 an.

Frage: Was passiert, wenn diese Zahlungen nicht mehr erfolgen?

Antwort: Dann gilt Evergrande als zahlungsunfähig. Die Frage, die sich Investoren weltweit nun stellen, ist, was in diesem Fall passieren wird. Es könnte sein, dass die chinesische Regierung den Konzern stützt. Es könnte auch sein, dass dieser zerschlagen wird. Von der Regierung gab es bisher keine Aussagen zu geplanten Handlungen.

Frage: Wie groß ist Evergrande?

Antwort: Das Unternehmen hat bisher 1.300 Bauprojekte in 280 Städten betreut und beschäftigt mehr als 120.000 Mitarbeiter. Evergrande ist massiv gewachsen, hat fast 250 Tochterunternehmen gegründet, viele davon in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands. Der Konzern baut nicht nur Häuser und Wohnungen, er hat in den Fußballklub Guangzhou investiert, in Themenparks, Medien und Konsumgüter wie Mineralwasser und Babymilch. Auch im Bereich E-Autos ist Evergrande aktiv. Ein Zusammenbruch würde sich daher auf viele Branchen auswirken.

Frage: Warum könnte eine Pleite von Evergrande über China hinaus ein Problem sein?

Antwort: Hier gibt es mehrere Facetten. Die Schulden, die das Unternehmen hat, hat es zum überwiegenden Teil bei chinesischen Banken. Diese könnten den Ausfall wohl verkraften. Eine Schieflage im Finanzsystem würde China nicht riskieren. Es sind aber auch andere Finanzdienstleister involviert. Die US-Bank Citigroup etwa fungiert als Treuhänder und Zahlstelle für eine Evergrande-Anleihe. Sie könnte auf Verlusten sitzenbleiben. Eine Insolvenz brächte hohe Ausfälle bei den ausgegebenen Finanzprodukten, wie etwa den erwähnten Anleihen. Unklar ist auch, was mit Anzahlungen für Wohnungen oder noch nicht fertiggestellten Immobilien passieren würde. Diese Verunsicherung schlägt bereits auf den Kapitalmarkt durch. Investoren zeigen sich auch anderen chinesischen Immobilienentwicklern gegenüber skeptisch. Hinzu kommt, dass der asiatische Immosektor bis zu 16 Prozent zu Chinas BIP beiträgt. Durch die Nachfrage nach Rohstoffen, Arbeitskräften und Finanzierungen ist Chinas Bausektor einer der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren der Welt. Sinkende Nachfragen würden weltweit Zulieferer treffen.

Frage: Wie konnte es zu dieser Schieflage von Evergrande kommen?

Antwort: Daran ist Chinas Führung mitbeteiligt. Sie versucht seit geraumer Zeit, Überhitzungen am Immobilienmarkt einzufangen. Die Vergabekriterien für Immobilienkredite wurden verschärft. Wohnungen dürfen auch nicht mehr vor ihrer Fertigstellung verkauft werden. Das war aber Teil des Systems von Evergrande. Daher wurde es für den Konzern immer schwieriger, mit dem Verkauf von Wohnungen seine Schulden zu begleichen.

Frage: Warum redet man bei Evergrande auch von einem Lehman-Moment?

Antwort: Als 2008 die international verflochtene US-Investmentbank Lehman Brothers kollabierte, schlug das auf das globale Finanzsystem durch. Fällt Evergrande, fürchtet man sich vor ähnlichen Effekten. Weil die Schuldenlast aber hauptsächlich in China liegt und die Nationalbank dem Bankensystem schon Geld zugeschossen hat, erwarten Experten kein zweites Lehman. (Bettina Pfluger, 23.9.2021)