Der Tod eines 20-jährigen Studenten, der im deutschen Idar-Oberstein bei der Arbeit in einer Tankstelle durch einen Kopfschuss getötet wurde, sollte ein Weckruf sein. Dass nun eine Familie um einen jungen Menschen trauern muss, nur weil dieser einen Kunden auf die Maskenpflicht aufmerksam machte, ist erschütternd – aber leider nicht überraschend. Die Szene rund um die selbst ernannten "Querdenker", auf deren Telegram-Kanälen der Mord nun gefeiert wird, radikalisiert sich seit Monaten, und viele Experten haben vor Gewaltausbrüchen gewarnt. In Österreich konnte die Polizei vor wenigen Monaten in der Szene ein Waffenlager ausheben.

Blumen und Kerzen vor der Tankstelle in Idar-Oberstein.
Foto: APA/dpa/Birgit Reichert

Bisher weiß man, dass auch der 49-jährige Schütze in Idar-Oberstein in sozialen Medien ein Fan rechtsextremer Inhalte und der AfD war, dass er Corona für eine Erfindung, Deutschland für eine Diktatur und die Impfung für tödlich hielt. "Ein Spinner", hört man da oft als Beschwichtigung.

Verschwörungstheorien

Menschen, die Corona-Maßnahmen kritisieren, etwa weil diese nicht alle logisch sind, oder die sich einfach vor der Impfung fürchten, reagieren oft allergisch, wenn man sie davor warnt, mit Rechtsextremen demonstrieren zu gehen. Doch Letztere instrumentalisieren Corona. Gewaltverherrlichende Verschwörungstheorien, die Andersdenkende zum Feind und Unterdrücker stilisieren oder gar zu Reptilien dehumanisieren, sind lebensgefährlich. Behörden und Medien haben sie zu lange toleriert, auch aus Angst, normale Maßnahmenkritiker zu kränken, die gar nie gemeint waren. Selbst jetzt liest man im Boulevard vom "Streit über Maskenpflicht", der der Tat, die tatsächlich eher einer Hinrichtung glich, vorangegangen sei. Oder von einem "Mord wegen Maske". Doch nicht die Maske ebnete den Weg zur Tat, sondern das ewige Narrativ, man lebe in einer Diktatur, müsse Notwehr oder Widerstand leisten.

Der Schütze sagte der Polizei, er habe sich "in die Ecke gedrängt gefühlt", "ein Zeichen setzen" wollen. Wenn das ein Neonazi sagt, der tötet, weil er glaubt, er werde von Juden, Linken und Ausländern verfolgt, bleibt er ein rechtsradikaler Terrorist. Wenn das ein Anhänger des IS sagt, der tötet, weil er für ihn Ungläubige aus dem Weg räumen will, bleibt er ein islamistischer Terrorist. Es ist Zeit, Klartext zu reden: Auch wenn der Täter noch ganz andere Probleme hatte, bleibt die Tat ein ideologisch motivierter Akt des Terrors. Sie so zu benennen, sind wir auch den Männern und Frauen schuldig, die beruflich täglich an Kassen oder in Öffis auf die Masken hinweisen müssen. Sie gehören geschützt – nicht nur vor Infektionen. (Colette M. Schmidt, 22.9.2021)