„What do we want? Climate justice! When do we want it? Now!“ Diesen Spruch hört man auf jeder Klimademo, von tausenden gerufen und wiederholt: Klimagerechtigkeit jetzt! Das Motto der Klimabewegung ist schon älter als Greta Thunberg. Seit den frühen 2000er-Jahren ist Klimagerechtigkeit ein globales Leitbild im Kampf gegen die Klimakrise und für eine Zukunft, in der niemand zurückgelassen wird. Ihre Wurzeln reichen noch viel weiter zurück und liegen in sozialen Kämpfen von Menschen rund um die Welt. Doch was bedeutet Klimagerechtigkeit überhaupt? Und was würde es heißen, wenn sich die Gesellschaft in ihrem Sinne verändern würde?

Gerecht gegen die Klimakrise

Um Klimagerechtigkeit zu verstehen, muss man zuerst die Ungerechtigkeit hinter der Klimakrise erfassen: Diejenigen, die am wenigsten zur Zerstörung des Weltklimas und unserer Lebensgrundlagen beigetragen haben, leiden am meisten unter den Folgen – und das wird sich in Zukunft noch verschlimmern. Es liegt an den Ländern des globalen Nordens, als erste ihre klimaschädliche Verschmutzung auf Null zu reduzieren und den Süden bei seinen Bemühungen und der Anpassung an die Klimaverschlechterung zu unterstützen. 

Das ist die Erzählung hinter dem Wort Klimagerechtigkeit, die wir am häufigsten hören. Und sie ist wahr – aber unvollständig. Klimagerechtigkeit ist viel mehr als die Reduktion der globalen Emissionen gleichmäßig zwischen allen Ländern aufzuteilen, mehr als moderate Klimafinanzierung reicher Länder, um ärmeren dabei zu helfen, sich an einen heißeren Planeten anzupassen. Ein wirklich gerechter und nachhaltiger Ausweg aus der Klimakrise muss darum an allen der folgenden Punkte ansetzen: 

  • Zunächst sind die schon genannten Verteilungsaspekte wichtig. Dabei geht es aber nicht nur um die Verteilung der Anstrengungen, um die globalen Emissionen auf Null zu senken. Über diesen Aspekt wird am meisten diskutiert – und trotzdem ist die Debatte weit von Klimagerechtigkeit entfernt. Denn sämtliche früh industrialisierten Staaten wie Österreich haben Klimaschulden angehäuft und müssen diese zurückzahlen. Unter den Verteilungsgerechtigkeit fallen aber auf Fragen nach den Vorteilen durch die Nutzung fossiler Rohstoffe und die Nachteile, die durch die Folgen der Klimakrise entstehen. Oder anders gesagt: Wer darf heute noch Kohle, Öl und Gas verbrennen?
  • Es geht aber auch darum, Unterschiede verschiedener Gruppen der Gesellschaft anzuerkennen, inklusive ihrer verschiedenen Bedürfnisse im Verhältnis zu ihrem Lebensraum und bestehender Benachteiligungen und Ungleichheiten.
  • Außerdem braucht es faire und gerechte Prozessen bei Entscheidungen über Klimaschutz-Maßnahmen, in die alle Betroffenen so weit wie möglich eingebunden werden müssen. Die Klimakrise muss demokratisch gelöst werden.
  • Das Ziel von Veränderungen muss es sein, allen Menschen Chancen zu bieten, ihre Leben in einer selbstbestimmten Weise zu gestalten. Dafür braucht es mehr als oberflächlich beachtete Verteilungsgerechtigkeit: Eine grundlegende Neudefinition von gesellschaftlichen Zielen, die sich an legitimen Bedürfnissen orientiert – immer im Einklang mit planetaren Limits.
  • Schließlich braucht es ökologische Gerechtigkeit. Wir müssen anerkennen, dass auch andere Lebewesen als der Mensch ein Recht auf ein Entfaltung und Leben haben. Alles was sich auf diesem Planeten befindet hat eine Daseinsberechtigung und alles ist miteinander verbunden. 
Nicht nur Fridays for Future schreiben sich Klimagerechtigkeit auf die Fahnen (und Banner).
Foto: System Change, not Climate Change!

Zwei Welten

Die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte sind ohne fossile Brennstoffe nicht denkbar. Unsere Welt sähe ganz anders aus, wenn wir nie mit der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas begonnen hätten. Aber wer ist in diesem Fall "wir"? Es ist der Teil der Welt, der heute gemeinhin als "reiche Länder" bezeichnet wird, als “Westen” oder “Globaler Norden”. Es ist auch der Teil der Welt, in dem sich der Großteil der politischen und wirtschaftlichen Macht konzentriert – eine Macht, die bisher eher dazu genutzt wurde, Klimaschutzmaßnahmen zu blockieren als sie zu beschleunigen. 

Fast zwei Drittel der bisherigen Klimaverschmutzung gehen auf das Konto von 90 Großkonzernen, viele davon im Besitz von privaten Aktionären, wie Chevron, Peabody und Shell. Aber auch die österreichische OMV gehört zu dieser Gruppe der größten Klimazerstörer. Private und (teil)staatliche Konzerne haben nicht nur rücksichtslos unsere Umwelt zerstört und den Planeten aufgeheizt, sondern auch unglaublich viel Geld damit verdient. Und sie haben jahrzehntelang lobbyiert, um jeden positiven Wandel zu verhindern: Die Energiewende, bezahlbare Mobilität für alle und ein demokratisches Wirtschaftssystem würden für sie einen Verlust an Geld und Macht bedeuten.

Auch auf der Ebene von Nationalstaaten ist das Bild eindeutig: Insgesamt sind die USA, Kanada, die Länder Europas, Israel, Australien, Neuseeland und Japan für 92 Prozent der klimaschädlichen Emissionen jenseits der sicheren planetaren Grenze von 350 ppm CO2 (Teilchen CO2 pro Million Luftteilchen in der Atmosphäre) verantwortlich, Lateinamerika, Afrika, der Nahe Osten und Asien für nur acht Prozent. Selbst China, der in absoluten Zahlen inzwischen größte Emittent, hat erst in den letzten Jahren seinen fairen Anteil verbraucht. 

Diese Ungleichheit ist nicht nur zwischen den Ländern groß: Wie viel Klimaverschmutzung ein einzelner Mensch verursacht, hängt vor allem von seinem Einkommen und Vermögen ab. Von 1990 bis 2015 sind die jährlichen weltweiten Emissionen um 60 Prozent gestiegen: Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung waren in diesem Zeitraum für etwa die Hälfte der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich. Allein auf das reichste ein Prozent entfielen 15 Prozent der Emissionen – mehr als doppelt so viel wie auf die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Und während der Anteil der letzteren mit lebenswichtigen Bedürfnissen wie Lebensmitteln und Heizen zusammenhängt, stammen die exorbitanten Emissionen der Reichen zu einem großen Teil aus Luxuskonsum wie große Autos und Flugreisen.

Die Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen Mächtigen und Unterdrückten ist nicht nur eine von Nord und Süd im geografischen Sinne – es gibt einen "Globalen Norden" in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas und einen "Globalen Süden" in Europa, den USA und reichen Ländern Asiens und Ozeaniens. Benachteiligte Gruppen in diesen Ländern leiden weit mehr unter der Klimakrise und ihren Folgen als der wohlhabende Teil der Bevölkerung. Gerechte Klimapolitik muss daher auch auf lokaler Ebene gerecht und “global” gedacht werden. 

Dimensionen der Ungerechtigkeit

Die Klimakrise spiegelt andere Ungerechtigkeiten wider – und verstärkt diese. Frauen, Schwarze und People of Color, Indigene, arme Menschen und andere benachteiligte Gruppen leiden besonders unter der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Das gilt in mehrfacher Hinsicht: 

  • Erstens sind sie öfter von den Vorteilen ausgeschlossen, die die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas mit sich bringt und leiden mehr unter den Nebeneffekten der Ausbeutung. Anders gesagt: Wohlhabende Männer fliegen am meisten und fahren am öftesten mit dem Auto. Es sind auch überwiegend Männer, die Ölkonzerne leiten und deren Gewinne einstreichen.
  • Zweitens leiden die genannten Gruppen öfter unter den direkten schädlichen Auswirkungen des fossilen Systems. Ärmere Menschen, Schwarze und People of Color leben häufiger neben Raffinerien oder stark befahrenen Straßen. Die Länder von Indigenen werden häufig zu “sacrifice zones” – Gebiete, die für die Extraktion und Verarbeitung von fossilen Ressourcen zerstört (oder wörtlich: geopfert) werden. 
  • Drittens sind sie stärker von den langfristigen Folgen der Erderhitzung betroffen, etwa in Regionen wo überwiegend Frauen in der Landwirtschaft arbeiten oder für die Wasserversorgung zuständig sind, das immer knapper wird. Zudem verfügen sie meist nicht über Möglichkeiten und finanzielle Ressourcen, sich an geänderte Umweltbedingungen anzupassen.
  • Schließlich ist die Klimakrise ein Verstärker von bestehenden Ungleichheiten Problemen und Konflikten. Wo sich Konflikte entzünden, wie etwa in afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten oft um Ressourcen und Wasser, dort spitzen sich für Frauen oder ärmere Menschen die Lebensbedingungen am dramatischsten zu.

Es bedarf an großen Veränderungen

Dazu kommt: Eine eskalierende Klimakatastrophe wird gerade jene treffen, die sich überhaupt nicht wehren können – weil sie noch gar nicht auf der Welt sind: Kommende Generationen, die noch in hunderten Jahren unter der Zerstörung leiden werden, die heute verursacht wird. 

Klimapolitik darf all diese Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten nicht ignorieren oder gar verstärken. Deshalb muss es bei klimagerechten Lösungen darum gehen, sie zu verringern und Bedingungen für ein gutes Leben für alle Menschen, aber auch für alle anderen Lebewesen zu schaffen, ein Gleichgewicht für den ganzen Planeten. Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Klimagerechtigkeit setzt große Veränderungen der Art und Weise voraus, wie wir auf diesem Planeten zusammenleben, wie wir Entscheidungen treffen, arbeiten, produzieren, konsumieren und wie wir unsere Beziehung zur Natur um uns herum verstehen.

“Natur” bedeutet dabei nicht mehr alles was nicht Mensch oder vom Menschen gemacht ist – im Gegenteil muss (wieder) klar werden, dass wir eine Spezies unter vielen sind, die alle miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Alle Wesen sind Teil der Erde und damit Teil von uns: Ob Tiere, Pflanzen, Flüsse oder Berge. Auch sie haben ein Recht auf Existenz. Indigene Gruppen können eine bedeutende Rolle spielen, dieses Verständnis einer notwendigen Koexistenz aller Lebewesen wieder zu verbreiten. Obwohl sie nur wenige Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, sichern sie auf ihren Ländern 80 Prozent der globalen Biodiversität

Lösungen, die an die Wurzeln gehen

Die Erde höchstens um 1,5 Grad aufzuheizen wird oft als eine Art “Fleißaufgabe” der Klimapolitik dargestellt – im Vergleich zu zwei Grad –, oder als ohnehin kaum mehr erreichbar. Dabei sind 1,5 Grad bereits ein Kompromiss und deutlich zu viel – für tiefliegende Inselstaaten und manche Küstenstädte ist jedes Zehntelgrad eine existenzielle Frage. Zudem gilt grundsätzlich: Je mehr Treibhausgase emittiert werden, desto mehr schlimme Folgen der Klimaveränderung können verhindert werden, und desto wahrscheinlicher ist es. Denn Klima-Modelle sind immer mit gewissen Unsicherheiten behaftet. Für dieses Jahrzehnt bedeutet das: Um mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, müssen die globalen Emissionen bis 2030 um 7,6 Prozent jährlich reduziert werden. 

Für Länder wie Österreich bedeutet das noch stärkere Bemühungen, auch in Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Es ist wichtig, dass Staaten und Unternehmen des globalen Nordens ihre Emissionen so schnell wie möglich reduzieren. Aber auch angehäufte ökologische Schulden müssen zurückgezahlt und die Schäden behoben werden, soweit das möglich ist. Das bedeutet unter anderem, dass Staaten und Konzerne im Norden, die von der Zerstörung von Natur und Lebensgrundlagen profitiert haben, Reparationen für Länder im Süden und besonders betroffenen Regionen und Gruppen leisten müssen. Zudem müssen wir an Lösungen mit und für die Menschen arbeiten, die durch die Folgen einer Krise vertrieben werden, für die sie nichts können. Eine Festung Europa mit grün gestrichenen Mauern ist mit Klimagerechtigkeit nicht vereinbar. 

Wir brauchen Debatten darüber, welche Bereiche der Wirtschaft wir uns nicht mehr leisten können. Luxusaktivitäten, die viel Energie und große Mengen an Ressourcen verbrauchen, müssen wir stoppen, bis wir wieder innerhalb der planetaren Grenzen sind. Beim ökologischen Umbau muss berücksichtigt werden, dass Menschen und verschiedene Gruppen und Regionen unterschiedliche Bedürfnisse haben: Während klar ist, dass nördliche Länder wie Finnland mehr Energie zum Heizen brauchen, haben ländliche Gemeinschaften etwa in Asien oder Afrika, die seit jeher von der Viehzucht leben, ein Recht darauf, ihre traditionelle Lebensweise im Einklang mit den örtlichen ökologischen Bedingungen fortzusetzen. Besonders dort, wo Alternativen schwer umsetzbar sind.

Gegen falsche Lösungen

Die notwendigen Veränderungen können nicht einfach von oben verordnet werden: Klimagerechtigkeit bedarf demokratischer Prozesse unter Berücksichtigung und Beteiligung aller Betroffenen, um zu entscheiden, welche Schritte wir unternehmen müssen. Benachteiligte Gruppen müssen in diese Prozesse besonders einbezogen werden, um Machtungleichgewichte abzubauen und Lösungen zu finden, die nicht auf ihre Kosten gehen. Das gilt sowohl für große Klimakonferenzen wie im Kleinen für die lokale Umsetzung von Projekten für erneuerbare Energie. 

Vermeintlich “grüne” Infrastruktur ist oft nicht verträglich für Natur und lokale Bevölkerung. Das zeigt ein Beispiel aus der jüngeren österreichischen Geschichte: das Grazer Murkraftwerk. Das Großprojekt, das gegen den Willen vieler Grazerinnen und Grazer von der Stadtregierung durchgeboxt wurde, löste Widerstand in breiten Teilen der Bevölkerung aus. Anrainerinnen und Anrainer verloren dadurch Naherholungsräume, Naturschützende machten auf Artenverlust aufmerksam. Zudem hätte es Alternativen gegeben, die viel kleinere ökologische Eingriffe bedeutet hätten. Auch wenn das Kraftwerk nun erneuerbare Energie produziert, ist sein Bau mit vielen Prinzipien der Klimagerechtigkeit nicht vereinbar.

Noch weniger sind es vermeintlich grüne Projekte zur Kompensation von CO2 im globalen Süden, damit hierzulande weitergemacht werden kann wie bisher. Das Prinzip, in Ländern, wo dies "billig" ist, Emissionen zu reduzieren, damit andernorts weitergemacht werden kann wie bisher hält nicht nur den wirklich notwendigen Wandel auf – es ist auch eine neue Form von Kolonialismus.

Komplexes Problem

Die Klimakrise ist kein reines "Umweltproblem" das mit dem Umstieg von einer Technologie auf die andere gelöst werden kann. Sie ist ein zutiefst politisches und gesellschaftliches Problem. Deswegen lautet ein weiterer Leitsatz der Bewegung seit jeher: "System change, not climate change!"

Die Ziele und Prinzipien der Klimagerechtigkeit – ein Stopp der Klimaerhitzung und anderer ökologischer Zerstörung, soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung – können nicht mit einem grün angestrichenen Weiter wie bisher erreicht werden. Dass der Kapitalismus grün werden kann, ist eine gefährliche Fehlannahme, wie auch das Beispiel des Green Deals der EU zeigt. Er braucht stets ein Außen, auf das er zugreifen kann: billige Ressourcen, billige Arbeit, kostenlose Senken. Er muss stetig wachsen um nicht zu kollabieren und damit wiederum soziale Krisen auszulösen. Er ist undemokratisch, ein großer Teil der politischen Macht nicht bei den gewählten Politikerinnen und Politikern liegt, sondern von kapitalstarken Konzernen ausgeübt wird.

Wie Gesellschaft und Wirtschaft derzeit funktionieren, ist unvereinbar mit Klimagerechtigkeit. Stattdessen braucht es einen Wandel unserer Gesellschaften auf wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und demokratischer Ebene. Diese Veränderung kann in vielen Bereichen eine bessere, lebenswerte Zukunft bringen. Bis es soweit ist, wird noch oft gerufen werden: „What do we want? Climate justice! When do we want it? Now!“ (Manuel Grebenjak, 29.9.2021)

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