Um Immobilienbesitz wird in Verlassenschaften besonders oft gestritten.

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Es ist kein Millionenvermögen, um das die 18-jährige Cornelia und ihr jüngerer Bruder zwei Jahre kämpften – und doch ging es für beide um viel. Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters war ein Testament aufgetaucht, das die Stiefmutter der Kinder als Alleinerbin einsetzte. Teilen wollte diese das Erbe nicht, denn ihr Mann habe Schulden bei ihr gehabt. Rechtsanwalt Marcus Marakovics forderte für Cornelia und ihren Bruder je 10.000 Euro. Zumindest teilweise hatte er damit Erfolg: Das Verfahren ist mittlerweile durch einen Vergleich abgeschlossen.

Der Fall um die Stiefmutter und die Kinder war wohl einer der klischeehaftesten, die Marakovics in letzter Zeit vor Gericht brachte. In der Praxis sind die Gründe für Erbstreitigkeiten aber sehr unterschiedlich. "Viele Leute streiten dann, wenn sie davon ausgehen, etwas zu bekommen, plötzlich aber ein Testament auftaucht, das jemand anderen als Erben einsetzt", erzählt Rechtsanwältin und Mediatorin Ingrid Bläumauer.

Fehlende Sparbücher, zu große Geschenke

Oft werden auch die Gültigkeit des Testaments und die Zurechnungsfähigkeit des Erblassers infrage gestellt. Genauso häufig seien Fälle, in denen sich die Erben nicht darüber einig sind, welches Vermögen überhaupt vorliegt. Dann werde über fehlende Sparbücher, (zu) große Geburtstagsgeschenke oder den Wert von Häusern und Äckern gestritten.

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So unterschiedlich die rechtlichen Gründe für Erbstreitigkeiten auch sein mögen – die Wurzeln des Problems liegen oft woanders. Aus Sicht von Rechtsanwalt Lorenz Kirschner, der zuvor als Richter im Erbrecht tätig war, gibt es zwei Hauptursachen für Streitereien. "Die eine ist das Geld. Also Geld ohne Arbeit. Das ist natürlich immer interessant. Die zweite ist der moralische Anspruch", sagt Kirschner. Dann gehe es nicht mehr um das Vermögen an sich, sondern darum, wer es mehr verdient hat, wer sich um die Eltern gekümmert hat oder wer zu Lebzeiten vernachlässigt wurde.

"Der Todesfall ist immer ein Kristallisationspunkt der letzten 30 bis 50 Jahre Familiengeschichte", sagt Kirschner. "Die Leute sagen: Wenn ich jetzt recht bekomme, dann habe ich eigentlich auch die letzten Jahrzehnte recht gehabt."

Familienrat zu Lebzeiten

Die beste Prävention für Erbstreitigkeiten sei vorausschauende Planung, betont Kirschner. Erblasser sollten möglichst früh offenlegen, was sie mit ihrem Vermögen vorhaben. Heimlichtuerei gehe in den allermeisten Fällen nicht nur emotional, sondern auch wirtschaftlich schief. "Wenn man Konflikte zu Lebzeiten scheut, dann schiebt man sie einfach nur hinaus", sagt Kirschner.

Ähnlich sieht das die Anwältin Bläumauer: "Man müsste sich schon zu Lebzeiten zusammensetzen und die Angelegenheit regeln, damit im Nachhinein nicht gestritten wird." Erblasser sollten die Karten auf den Tisch legen. "Das hat auch den großen Vorteil, dass man sie noch fragen kann, was sie sich bei ihrem Testament denken und warum sie sich so entscheiden", sagt Bläumauer.

Da Menschen ihre Testamente aber oft geheim halten wollen oder plötzlich sterben, lassen sich Streitigkeiten nie ganz verhindern. Im Falle des Falles sei gute Beratung wichtig, sagt Kirschner. Viele Leute, die mit falschen Vorstellungen zu ihm in die Kanzlei kommen, schicke er wieder nach Hause. Anderen rate er, sie sollen gemeinsam mit den Verwandten wiederkommen.

Wollen Anwälte streiten?

Als Alternative zur Klage kommt auch eine Mediation infrage – ein Verfahren zur außergerichtlichen Lösung von Konflikten. Allerdings ist dafür Voraussetzung, dass die Streitparteien überhaupt ein Interesse an einer gemeinsamen Lösung haben, sagt Alexander Krasser, Mediator und emeritierter Rechtsanwalt. "Wenn das der Fall ist, ist das die kostengünstigste und ehrlichste Lösung." Bei der Mediation könne auch zur Wurzel des eigentlichen Problems "abgetaucht" werden.

Die häufig geäußerte Kritik, dass Notare und Anwälte kein Interesse an einer raschen Lösung des Problems hätten, ist aus Sicht der Juristen nicht berechtigt. Anwälte seien dazu verpflichtet, den Prozess wirtschaftlich sinnvoll für den Mandanten zu führen. Laut Kirschner gebe es auch gar keinen Grund für bewusste Verfahrensverzögerungen: "Die Anwälte, die sich auf Erbrecht spezialisieren, sind mehr als ausgelastet." Einzig der emeritierte Anwalt Krasser sieht das etwas anders: "Ein gewisses wirtschaftliches Interesse an langen Prozessen kann man nicht ganz abstreiten." (Jakob Pflügl, 24.9.2021)