Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer sprach im Sommer von Möglichkeiten zur Aufbewahrung von U-Ausschuss-Akten. Im Nationalrat stimmte die Koalition aber gegen einen Oppositionsantrag, der die Archivierung in Ministerien zum Ziel erklärte. Die Grünen kritisieren den Antrag

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Bereits im Juni mussten sich die Grünen viel Kritik gefallen lassen, als sie mit der ÖVP eine dreimonatige Verlängerung des Ibiza-Untersuchungsausschusses im Nationalrat ablehnten. Aus Koalitionsräson und unter Zähneknirschen, wie etwa Grünen-Abgeordneter und U-Ausschuss-Mitglied David Stögmüller einräumte. Auch die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer sagte damals, ihr wäre eine Verlängerung lieber gewesen, doch könne die Opposition nach der Sommerpause immerhin einen neuen U-Ausschuss in die Wege leiten.

Lange Verzögerung

Doch selbst dann, wenn es bei einem solchen erneut um Korruptions- und Postenschachervorwürfe in der türkis-blauen Ära ginge, könnte der scheidende U-Ausschuss im Herbst nicht einfach wieder seine Arbeit aufnehmen. Zum einen würde es nämlich viele Monate dauern, bis der Nationalrat den Antrag behandelt und danach noch etwaige Rechtsfragen zum Untersuchungsgegenstand vom Verfassungsgerichtshof geklärt würden.

Vor allem aber stünde der neue U-Ausschuss ohne Akten und Daten da, weil gemäß aktueller Rechtslage das Parlament alle Unterlagen des beendeten U-Ausschusses vernichten beziehungsweise an die liefernden Behörden zurückgeben muss. Ein Ibiza-Ausschuss 2.0 müsste also hunderttausende Mails und Millionen Aktenseiten erneut anfordern, was angesichts manch unkooperativer Stelle – Stichwort Finanzministerium – weiteres Verzögerungspotenzial birgt.

Auf dieses Problem angesprochen, erklärte die grüne Klubchefin Maurer in einem "ZiB"-Interview Ende Juli, dass ein derartiges Aktenvakuum eines neuen U-Ausschusses nicht zwingend sei: "Es gibt Möglichkeiten, damit so umzugehen, dass das nicht passieren muss – beispielsweise, indem man die Akten archiviert." Sie sei "zuversichtlich, dass es da eine entsprechende Lösung" gebe.

Vergeudung von Ressourcen

Nun haben SPÖ, FPÖ und Neos in der Nationalratssitzung am Mittwoch einen Entschließungsantrag eingebracht, der die "Mitglieder der Bundesregierung auffordert, in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich sicherzustellen, dass jene Akten und Unterlagen, die dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgelegt wurden, sicher aufbewahrt und nicht vernichtet werden". Somit, argumentiert die Opposition, müssten die Ministerien bei einem neuerlichen Wunsch nach Lieferung nicht wieder ihren Aktenbestand durchforsten, um die richtigen Unterlagen zusammenzutragen. Die Opposition merkte zudem an, dass rund fünf Prozent der Dokumente des Ibiza-Ausschusses nur in Papierform vorhanden seien, sodass deren Vernichtung samt Neulieferung von Kopien eine "enorme Ressourcenvergeudung" bedeuten würde.

Kritik an Oppositionsantrag

Die Regierungsfraktionen lehnten den Antrag jedoch im Plenum am Mittwoch ab. Warum die Grünen gegen die Aufforderung zur Archivierung stimmten, die Klubchefin Maurer jüngst noch in Aussicht gestellt hatte? Zum STANDARD heißt es seitens der Grünen, dass es in den Ministerien ohnehin "für die Aufbewahrung von Akten umfangreiche gesetzliche Verpflichtungen gibt, die die grünen Minister*innen selbstverständlich einhalten". Der rot-blau-pinke Antrag sei hastig und unausgegoren formuliert worden. Sinnvoller wäre demgegenüber eine Regelung gewesen, die es dem Parlament selbst ermöglicht, Akten des alten U-Ausschusses weiterzuverwenden. Diesbezügliche Gesprächsangebote seien laut Grünen über den Sommer "von der Opposition nicht genutzt" worden.

Neos und SPÖ kontern grüner Erklärung

Diese Darstellung erntet sowohl den Widerspruch von Neos-Fraktionsführerin Stephanie Krisper als auch von SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer. Beide sagen, es habe kein grünes Gesprächsangebot gegeben. Die Grünen könnten nicht immer "medial so tun, als wären sie für eine Lösung, und bei Abstimmungen dann sitzen bleiben", so Krisper im STANDARD-Gespräch. Außerdem sei auffällig, dass in der obigen Stellungnahme der Grünen nur betont wird, dass in deren eigenen Ministerien rechtskonform mit Akten umgegangen werde. "Beim türkisen Finanzministerium kann man nicht davon ausgehen", spielt Krisper darauf an, dass zuletzt sogar der Bundespräsident die Exekution von höchstgerichtlich geforderten Aktenlieferungen herbeiführen musste.

Neuer U-Ausschuss – worüber?

In welchem Ausmaß die Opposition sich in einem künftigen U-Ausschuss überhaupt erneut mit türkis-blauen Causen befassen will, steht immer noch nicht fest. Die FPÖ würde sich gerne auf die Corona-Beschaffungen und österreichische Aspekte des Wirecard-Skandals konzentrieren, die Neos wollen den politischen Einfluss auf Justizermittlungen ins Visier nehmen. Maßgeblich wird aber der Wille der SPÖ sein, da ohne sie die für ein Minderheitenverlangen nötigen 46 Abgeordneten nicht zusammenkommen. (Der Ibiza-Ausschuss wurde von SPÖ und Neos allein paktiert, die gemeinsam 55 Mandatare stellen.) Noch hat sich die SPÖ aber nicht öffentlich auf Themenpräferenzen festgelegt. Krainer hielt freilich via Twitter fest: "Nach dem Untersuchungsausschuss ist vor dem Untersuchungsausschuss: Die Aufklärung geht weiter!" (Theo Anders, 23.9.2021)