Den Verhältnissen den Marsch blasen: Richard H. Kirk (li.) und seine Kumpel von Cabaret Voltaire beim Hausmusikabend in Sheffield (1970er-Jahre).

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Die früheste Musik von Cabaret Voltaire bestand aus Störgeräuschen: als würden vorsintflutliche Maschinen ein letztes Mal tief durch- und schließlich verzweifelt ausatmen. Bereits um 1973 bastelte Richard H. Kirk in der staubgrauen Stahlstadt Sheffield gemeinsam mit Chris Watson und Stephen Mallinder am Soundtrack des Widerstands: Sie schufen Klangtüfteleien mit strengem Do-it-yourself-Charme, industriell in der Anmutung, harsch im Abgang.

Ihre proletarische "Musique concrète" hatte gewiss nichts mit Pierre Henry zu tun. Eher glichen ihre Magnetspulengeräusche Laboraufnahmen – und blieben doch rätselhafte Hörspiele, in denen anonym Fabriklärm widerhallte, Nachrichten von vorgestern, das Gebell der Vorarbeiter: ein Schichtarbeiterprogramm mit Punk-Appeal, lange bevor es Punk gab.

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Kirk und seine Kumpel waren "Wreckers of Civilization", noch ehe Soundterroristen wie Throbbing Gristle neben ihnen koaktiv wurden. Richard H. Kirk blieb bis zuletzt der Spiritus Rector von Cabaret Voltaire: In Sieben-Meilen-Stiefel-Schritten erfand er den Dancefloor mit wackeligem Konservenbeat ("Do the Mussolini (Head Kick)"), legte anschließend markerschütternde Electro-Alben vor ("The Voice of America", 1980) und mixte Synthiepop mit weißem Funk ("The Crackdown", 1983). Er selbst "verschwand" alsbald unter einer Vielzahl von Synonymen; die Geräusche, die seinem Mischpult entquollen, blieben unwirsch – eckig und unnahbar und von höchster Suggestivkraft.

Richard H. Kirk betonte später, ursprünglich von Roxy Music und Glamrock fasziniert gewesen zu sein. Doch wann immer Cabaret Voltaire der große Erfolg einzuholen drohte, schlug sich dieser freundliche Extremist seitlich in die Büsche. Seine Hinterlassenschaft ist gewaltig. Kirk experimentierte mit Techno und wölkte (als Sandoz) seine Maschinen mit Marihuana-Rauch ein. Er lebte bis zuletzt in Sheffield, wo er noch heuer unter dem Firmennamen Cabaret Voltaire berückende Drones veröffentlichte. Jetzt ist Richard H. Kirk 65-jährig gestorben. (Ronald Pohl, 23.9.2021)