Jobsuche ist nicht gleich Jobsuche – die Chancen auf Arbeit sind unter Arbeitslosen sehr ungleich verteilt.

Foto: imago images/blickwinkel

Wien – Nach der Krise ist vor der Krise am heimischen Arbeitsmarkt. Zwar konnte die Corona-bedingte Rekordarbeitslosigkeit langsam zurückgedrängt werden, ohne Arbeitssuchende in Schulungen liegt die Arbeitslosigkeit sogar unter Vorkrisenniveau. Dafür werden nun die strukturellen Schwierigkeiten, mit denen Österreichs Arbeitsmarkt auch ohne Virus zu kämpfen hat, wieder sichtbar. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch für ein Land, in dem die Wirtschaft läuft. Trotz vieler offener Stellen finden viele Menschen keinen Job, und die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Zwischen 2008 und dem Ausbruch der Corona-Krise hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen etwa von rund 39.000 auf rund 100.000 mehr als verdoppelt. Zuletzt waren sogar 128.000 Menschen langzeitarbeitslos.

Wie kann das sein? Mögliche Ursachen für die steigende Langzeitarbeitslosigkeit hat sich die wirtschaftsliberale Agenda Austria in einem neuen Papier angesehen, das am Donnerstag präsentiert wurde. Dabei diagnostizieren die Ökonomen Dénes Kucsera und Hanno Lorenz sogenannte "Mismatches" am Markt. Das heißt: Angebot und Nachfrage finden nicht zusammen, obwohl es weder bei offenen Stellen noch bei Arbeitssuchenden Engpässe gibt. So sind oft schlechter ausgebildete Menschen von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen, Unternehmen suchen aber vielfach Fachkräfte. Oft verhindern geografische Gründe, dass ein Arbeitsverhältnis entsteht – wenn etwa ein in Wien lebender Koch Arbeit sucht, offene Stellen aber im Westen Österreichs konzentriert sind. Und besonders ältere Arbeitssuchende finden oft keinen Job, weil sie den Unternehmen zu teuer sind, wie die Ökonomen argumentieren.

Foto: Standard

Schutz für Ältere

Bei geringqualifizierten Arbeitssuchenden plädieren die Autoren für gezielte Qualifizierung. "Jeder Euro, der in Qualifikation investiert wird, ist ein gut investierter Euro", sagt Lorenz. Spätestens beim Wiedereintritt in Beschäftigung rentiert sich die Qualifizierung.

Beim Alter befürworten die wirtschaftsliberalen Ökonomen, das Senioritätsprinzip im Arbeitsmarkt abzuschwächen. Senioritätsprinzip heißt, dass der Lohn mit den Dienstjahren steigt und nicht primär davon abhängt, wie produktiv ein Arbeitnehmer ist. Im öffentlichen Dienst und in Kollektivverträgen ist das Prinzip häufig anzutreffen. Für ein Unternehmen mit offenen Stellen bedeutet das allerdings oft: Wenn zwei Arbeitslose gleich produktiv sind, lohnt es sich meist, den jüngeren einzustellen, weil der billiger ist.

Würde stärker nach Produktivität entlohnt, würden ältere Arbeitslose leichter einen Job finden, argumentieren die Ökonomen. Das würde gleichzeitig dazu führen, dass ältere Arbeitnehmer leichter gekündigt werden können. Zwar gibt es keinen gesonderten Kündigungsschutz für ältere Dienstnehmer. Aber weil Kündigungen sozial verträglich sein müssen und ältere Arbeitslose besonders schwer einen Job finden, sei es für Arbeitgeber de facto schwer, ältere Arbeitnehmer wieder loszuwerden. Auch das verhindere Einstellungen in dieser Gruppe, argumentiert Lorenz. Der Schutz älterer Dienstnehmer führe gleichzeitig dazu, dass ältere Arbeitssuchende oft keinen Job mehr finden.

Im August lag die Zahl der Arbeitslosen noch über dem Vorkrisenniveau. Mitte September unterschritt sie laut Arbeitsministerium erstmals wieder das Vorkrisenniveau, wenn man Schulungsteilnehmer herausrechnet.

Gezielte Förderungen

Ein Problem sei aber auch, dass Langzeitarbeitslose stigmatisiert werden. Arbeitgeber würden anhaltende Arbeitslosigkeit oft als Signal dafür werten, dass mit dem Jobsuchenden irgendetwas nicht stimme und er deshalb dauerhaft arbeitslos sei. Um Unternehmen einen Anreiz zu geben, Langzeitarbeitslose trotzdem einzustellen, schlagen die Experten staatliche Unterstützungen vor.

Der Staat solle einen Teil der Kosten übernehmen und dann langsam und schrittweise von 75 Prozent des Bruttoentgelts auf null herunterfahren. "Die maximale Fördersumme sollte monatlich auf 1.000 Euro limitiert werden", schreiben die Ökonomen in dem Papier.

Regressives Arbeitslosengeld

Als arbeitsmarktpolitische Rezepte schlägt die Agenda Austria allerdings auch Maßnahmen vor, die einen anderen Grund für die hohe Langzeitarbeitslosigkeit implizieren: nämlich fehlende Anreize, sich schnell genug einen Job zu suchen. Man müsse ein regressives Arbeitslosengeld einführen, fordern die Autoren des Papiers. Zu Beginn der Arbeitssuche sollen Arbeitslose finanziell besser abgesichert sein als derzeit, mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit soll die Geldleistung aber absinken – die Arbeitslosigkeit soll so weniger attraktiv werden und die Menschen einen Anreiz haben, schnell wieder in Beschäftigung zu kommen. Österreich zahle zwar wenig Arbeitslosengeld, über die Notstandshilfe de facto aber ewig.

Dass die Langzeitarbeitslosigkeit in Skandinavien geringer ist als in Österreich, liege auch an der dortigen Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes, argumentieren die Ökonomen der wirtschaftsliberalen Agenda Austria.

Die Frage ist, ob damit Langzeitarbeitslosigkeit effektiv bekämpft werden kann. An den sogenannten "Mismatches" im Arbeitsmarkt ändert ein reformiertes Arbeitslosengeld freilich nichts. Ökonom Lorenz betont, dass es einen Maßnahmenmix brauche. Ein regressives Arbeitslosengeld diene dazu, einen Teil der Langzeitarbeitslosigkeit bereits bei der Entstehung zu verhindern. Aber wenn eine Person mangels Qualifikation arbeitslos ist, findet diese auch keinen Job, wenn ihr das Arbeitslosengeld gekürzt wird. Selbiges gilt für ältere Arbeitssuchende. (luis, 23.9.2021)