Das müsste man erst erklären: Warum nur sollte ein solches Übermaß an Unschuld unter einem solchen Übermaß an Geheimnistuerei versteckt werden? Der Bundeskanzler hat das Land fast drei Wochen lang hinters Licht geführt, das er am Ende des Tunnels einer möglichen Falschaussage leuchten sieht. Aufrichtigkeit im Umgang mit Publikum und Medien sieht anders aus, vor allem bei jemandem, der sonst gar nicht oft genug und aus bescheidenen Anlässen Presse und Fernsehen mit Beteuerungen seiner Unschuld und sonstigen Emanationen seines Geistes speisen kann. Und da verschweigt er ausgerechnet, wie er in einer "verantwortlichen Äußerung" vor einem Richter seine porentief reine Unschuld bewiesen haben will, während eine sehnsüchtige Öffentlichkeit seit Monaten danach lechzt, wann es damit endlich so weit sei. Message-Control kann so grausam sein.

Sebastian Kurz bei der UNO-Vollversammlung in New York
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Lange wurde seine Einvernahme wegen des Verdachts auf Falschaussage im Zusammenhang mit der Bestellung von Thomas Schmid zum Öbag-Chef aufgeschoben, wobei die Überlastung durch die Corona-Krise als Grund angegeben wurde. Um eine Ansteckung bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu vermeiden, gewährte man dem Bundeskanzler die Einvernahme bei einem Richter – ungewöhnlich, aber zulässig. Warum diese Extrawurst, wo er doch von seiner Unschuld überzeugt ist, lässt sich nicht juristisch, nur mit Kanzlerdünkel erklären. Und dann plötzlich wird dieser lange verzögerte Termin von öffentlichem Interesse zu einem vorgezogenen Privatissimum, ohne Rücksicht darauf, dass die Corona-Krise einem neuen Höhepunkt zustrebt, nun offenbar ohne in den Genuss der Managementqualitäten des Kanzlers zu kommen.

Zerstörte Träume

Das ORF-Sommergespräch mit ihm wäre echt interessant geworden, hätte er dort vom Erlebnis der richterlichen Einvernahme samt Unschuldsdarstellung berichten dürfen. Das Schicksal hat ihm diesen Knüller verwehrt. "Mit der Justiz war so lange Stillschweigen vereinbart worden, bis die Befragung veraktet ist", erfuhr Die Presse aus dem Bundeskanzleramt. Einerseits werden an der Bürokratie die schönsten Träume zunichte, andererseits ist ihre Präzision zu bewundern. Die Veraktung dauerte exakt so lange, bis der Bundeskanzler bei der Generalversammlung der Uno in New York unter den Großen der Welt genügend Abstand von den Zumutungen der heimischen Justiz gewinnen und hoffen konnte, der Staatsmann würde den Geheimniskrämer in eigener Sache vergessen lassen.

Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der korrekten Veraktung eines Vorganges, wie ihn schließlich schon lange kein Bundeskanzler mitgestalten durfte – wenigstens die nackte Tatsache der Einvernahme hätte man der Öffentlichkeit nicht vorenthalten müssen. Was die Frage aufwirft, wer noch von der Wahrheit verschont wurde. Wusste der Bundespräsident davon, oder hat er es auch erst bei der Uno erfahren? Wusste man in den Parteien davon, denen man ein gewisses Interesse schon wegen der Arbeit im Untersuchungsausschuss nicht absprechen kann? Wusste der grüne Koalitionspartner davon, oder hat man Kogler einfach dumm leben lassen? Aber seit damit zu rechnen ist, dass Kurz auch im Falle einer Anklage im Amt bleiben will, sind Terminfragen nicht mehr so wichtig. (Günter Traxler, 23.9.2021)