Husten, Schnupfen, Heiserkeit – aktuell sind viele Menschen von grippalen Infekten betroffen. Mit ein Grund dafür ist ein lascherer Umgang mit den Hygienemaßnahmen.

Foto: Getty Images / iStockphoto

Langsam wird es draußen kühler, und rundherum beginnen die Menschen zu niesen und zu husten. Mit Corona hat das im Normalfall aber nichts zu tun, es sind die ganz normalen grippalen Infekte, die mit der kühleren Jahreszeit üblicherweise kommen – und von denen viele schon lange nicht mehr geplagt wurden. Denn durch die Schutzmaßnahmen wie Maske tragen, Abstand halten, Hände desinfizieren wurden nicht nur die Corona-Viren eingedämmt. Sie haben auch allen anderen Viren, die über Tröpfcheninfektion übertragen werden, die Möglichkeit zur Verbreitung genommen.

"Wir sehen aktuell eine zunehmende Aktivität vor allem von respiratorischen Viren wie etwa den Rhinoviren. Das ist auch wenig überraschend, die Schulen haben wieder begonnen, diese Entwicklung gibt es jedes Jahr", erklärt Monika Redlberger-Fritz, Virologin am Nationalen Referenzlabor für die Erfassung und Überwachung von Virusinfektionen des Menschen in Österreich. Die Erkenntnisse aus der Corona-Zeit: Wurden die Schulen geschlossen, ging das Virusgeschehen zurück. Wurden sie wieder geöffnet gab es auch sofort einen Anstieg der Infektionen.

Außerdem tauchen die respiratorischen Synzytial-Viren (RSV) wieder vermehrt auf. Sie verursachen einen starken Husten und sind vor allem für ganz kleine Kinder in den ersten beiden Lebensjahren gefährlich, denn "bei diesen können sie eine Entzündung der kleinen Lungenbläschen auslösen, die Kinder müssen im schlimmsten Fall ins Spital und beatmet werden", führt Redlberger-Fritz aus. "Normalerweise sind die RSV im Winter stärker verbreitet, vergangenes Jahr sind sie aber komplett ausgefallen. Im Sommer haben wir bereits einige Infektionen gesehen, was sehr ungewöhnlich ist, jetzt kehren wir langsam zum normalem Infektionsgeschehen zurück."

Weniger Reisen – weniger Viren

Eine andere Viruserkrankung, die im vergangenen Jahr komplett ausblieb, ist die Influenza, und zwar erstmals seit Beginn der Influenza-Aufzeichnung in Österreich. Während des gesamten Winters gab es nur zwei positive Proben. Das liegt vor allem an den Covid-19-Schutzmaßnahmen, bestätigt Redlberger-Fritz: "Das Influenzavirus wird bevorzugt durch Reisen eingeschleppt, die gab es vergangenes Jahr in viel geringerem Ausmaß. Die Viren, die es dennoch nach Österreich geschafft haben, sind durch die Masken in einer Sackgasse gelandet. Solange es diese Schutzmaßnahmen weiter gibt, wird auch in dieser Saison keine Ausbreitung der Influenza zustande kommen."

Vorerst ist also Entspannung angesagt, immerhin sind die Schutzmaßnahmen soeben erst wieder verschärft worden. "Wie es nach der vierten Welle aussehen wird, kann heute niemand sagen. Kommen dann die Masken weg und wird wieder mehr gereist, ist das ideal für die Ausbreitung der Influenza", weiß Virologin Redlberger-Fritz. Ob das passiert, hängt auch vom Zeitpunkt möglicher Lockerungen ab. Denn die Grippewelle hat ihren Höhepunkt üblicherweise im Jänner und Februar. Bleiben die Maßnahmen bis dahin streng, dürfte das auch der Influenza den Garaus machen.

Untrainiertes Immunsystem

Kommt sie aber, rechnet man eher mit einer heftigen Welle. Die folgt nämlich üblicherweise auf eine ruhige Saison. Das liegt daran, dass die Viren auf ein "untrainiertes" Immunsystem stoßen. "Üblicherweise haben wir ständig Kontakt mit Viren, Bakterien, Antigenen. So wird unser Immunsystem permanent geboostert, es fängt viele Infektionen ab, bevor wir sie überhaupt bemerken", erklärt Redlberger-Fritz. "Diese Boosterung ist jetzt eineinhalb Jahre lang ausgeblieben, darum ist die Wahrscheinlichkeit, einen symptomatischen Infekt zu bekommen, deutlich erhöht."

Das erwachsene Immunsystem benötigt nämlich, genau so wie das von Kindern, den permanenten Kontakt mit potenziellen Erregern. Der Unterschied ist lediglich, dass das kindliche Immunsystem die Viren und Bakterien erstmals kennenlernt, also geprimet wird. Die erwachsene Körperabwehr wird geboostert, da es die Erreger im Normalfall schon kennt. Aber die Immunantwort wird schlechter, je länger dieses "Training" nicht stattfindet.

Das sehe man sehr klar, wenn Kinderärztinnen, Apothekerinnen oder Angestellte in Apotheken nach längerer Abwesenheit wie einer Karenzzeit wieder in den Beruf einsteigen, erklärt Virologin Redlberger-Fritz: "Die sind ja diesen Viren permanent ausgesetzt. Nach einer längeren Abwesenheit werden die meisten erst einmal öfter krank. Das dauert eine gewisse Zeit. Dann können ihnen die Erreger aber nichts mehr anhaben, weil das Immunsystem wieder entsprechend geboostert ist."

Erhöhte Awareness

Davon, den Erregern bewusst auszuweichen, rät die Expertin ab. Denn irgendwann wird sich das Leben wieder normalisieren, spätestens dann breiten sich die verschiedensten Erreger wieder ganz normal aus. "Nur weil wir eine Pandemie haben, ist ja nicht der Schnupfen auf einmal ausgerottet." Lediglich bei der Grippe pocht Redlberger-Fritz auf die Impfung: "Ich empfehle die Impfung wirklich generell, weil es eben vergangenes Jahr keine Viruszirkulation gegeben hat. Klar, ein potenzieller Ausbruch steht und fällt mit den Hygienemaßnahmen, aber werden die weniger, ist eine Immunisierung sehr vorteilhaft."

Der ideale Zeitpunkt dafür ist der November, denn üblicherweise erreicht die Grippewelle im Jänner ihren Höhepunkt. In der Zeit dazwischen hat das Immunsystem ausreichend Zeit, genügend Antikörper zu bilden. Der Impfstoff ist dabei diesmal übrigens so gut wie selten, betont die Expertin: "Da das Influenza-Virus so wenig zirkuliert ist im vergangenen Jahr, und zwar weltweit, hatte es auch keine Möglichkeit zu mutieren. Deshalb ist das Vakzin umso punktgenauer."

Alle Vorsichtsmaßnahmen fallen zu lassen, nur weil man geimpft ist – egal ob gegen Covid-19 oder Influenza –, ist aber, so Redlberger-Fritz, keine gute Idee. Im Gegenteil, sie plädiert dafür, dass Masken im medizinischen Bereich weiter bestehen bleiben. "Die Awareness für Übertragungswege ist durch die Pandemie deutlich gestiegen. Es wäre wünschenswert, wenn bei einem Infekt das Tragen von Masken in Arztpraxen oder Krankenhäusern ganz selbstverständlich und normal wird. Dann das kann die Weitergabe von Viren an andere Patienten sehr einfach unterbinden." (Pia Kruckenhauser, 28.9.2021)