Pilnacek soll einer "Kurier"-Redakteurin Amtsgeheimnisse verraten haben; er bestreitet das.

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Fast ein Jahrzehnt lang war Christian Pilnacek Wächter über alle Strafverfahren in Österreich: Als Leiter der Supersektion V im Justizministerium gingen Vorhaben der einzelnen Staatsanwaltschaften über seinen Tisch. Pilnacek konnte mitentscheiden, wer angeklagt wird, Ermittlungen in die eine oder andere Richtung lenken oder per Weisung einstellen. Über ihm gab es nur mehr den Minister und dessen Weisungsrat. Vor allem Wolfgang Brandstetter und Josef Moser (beide von der ÖVP nominiert) machten Pilnacek zu ihrer rechten Hand.

Die Zeiten haben sich geändert: Mit Alma Zadić bestimmt nun eine junge Grüne über das Ministerium. Sie entmachtete Pilnacek, indem sie zuerst seine Supersektion aufteilte und ihn dadurch von der Aufsicht über Ermittlungen abzog. Dann folgte im Frühjahr 2021 seine Suspendierung aufgrund mehrerer Ermittlungen samt erbittertem Rechtsstreit zwischen Pilnacek und Ministerium. Der tiefe Fall des langjährigen Sektionschefs ist aber noch nicht zu Ende: Am 3. November wird er als Angeklagter vor dem Straflandesgericht Wien erscheinen müssen. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft, weil er Amtsgeheimnisse verraten haben soll – Pilnacek plädiert auf nicht schuldig; es gilt die Unschuldsvermutung.

Schon wieder Chats

Es sind wieder einmal Chatnachrichten, die einem Spitzenbeamten zum Verhängnis werden könnten. Am 15. und 16. Dezember 2020 konversiert Pilnacek mit einer Redakteurin des Kurier. Aus den Chats soll hervorgehen, dass er sie zunächst persönlich getroffen hat, danach unterhalten sich die beiden online weiter. "Hoffe, Sie sind auch bald zu Hause; habe mich gefreut, Sie zu sehen", sagt Pilnacek in einer Sprachnachricht. Die Redakteurin antwortet, sie sei schon zu Hause, und nimmt Bezug auf etwas, das Pilnacek ihr offenbar zuvor erzählt hat: Das sei "schlimm, irgendwie Stasi-Methode".

Dabei geht es um eine weitere Journalistin, die bei der Presse arbeitet. Sie hatte einen Artikel über die von Pilnacek verhasste Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) verfasst und darin Dinge geschrieben, die den dortigen Oberstaatsanwältinnen und Oberstaatsanwälten sauer aufstießen – und zwar so sehr, dass sie eine strafrechtliche Anzeige gegen die Journalistin einbrachten.

Anzeige und Anklage

Die Staatsanwaltschaft Wien nimmt aber gar keine Ermittlungen auf. "Bei einer am Recht der freien Meinungsäußerung nach Art. 10 MRK orientierten Betrachtung erfüllt der in Rede stehende Artikel sohin keinen strafrechtlichen Tatbestand", heißt es später in der Begründung, warum kein Verfahren eingeleitet worden ist.

Zu diesem Zeitpunkt, als Pilnacek und die Kurier-Redakteurin chatten, ist die Angelegenheit allerdings nur einem kleinen Kreis an Eingeweihten bekannt. Es ist eine Phase, in der Pilnacek vehement gegen die WKStA vorgeht, mit der er seit Jahren einen erbitterten Konflikt austrägt; mitausgelöst durch die heimliche Aufnahme einer Dienstbesprechung in der Causa Eurofighter, die publik wurde. "Bin noch am Überlegen, was ich mit diesem Wissen mache", schreibt Pilnacek der Journalistin über die Anzeige der WKStA-Staatsanwälte gegen die Redakteurin der Presse.

Am nächsten Tag fragt die Kurier-Journalistin weiter nach. Pilnacek erklärt, das Verfahren liege bei der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien. Würde die Redakteurin berichten, "so wäre klar, wer geleakt hätte". "Ich mache eh nichts", antwortet diese; Pilnacek repliziert: "Vielleicht geht es auf anderem Weg", etwa über eine parlamentarische Anfrage, "dann wäre ich froh, wenn Sie was machen". Die Staatsanwaltschaft Innsbruck, die in diesem Fall ermittelte, sieht hierin das Vergehen der Verletzung des Amtsgeheimnisses.

Bundesverwaltungsgericht sah Dienstpflichtverletzung

Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht war die Angelegenheit im Zuge von Pilnaceks Kampf gegen seine Suspendierung bereits behandelt worden. Dort hatte er sich verteidigt, dass die Kurier-Redakteurin selbstrecherchiertes Wissen mit ihm habe abgleichen wollen, er also nichts verraten habe. Außerdem sei der Chatverlauf aufgrund des Redaktionsgeheimnisses geschützt gewesen. Beides verneinte das Bundesverwaltungsgericht. "Es liegt daher ein ausreichend begründeter Verdacht für die schuldhafte Begehung einer Dienstpflichtverletzung (...) vor", heißt es in der schriftlichen Entscheidung.

Das Straflandesgericht Wien muss nun entscheiden, ob neben dem dienstrechtlichen auch ein strafrechtliches Fehlverhalten vorliegt. Dabei handelt es sich nur um eines von mehreren Verfahren, die gegen den suspendierten Sektionschef geführt werden: Ihm wird außerdem vorgeworfen, im Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt zu haben und eine Hausdurchsuchung an den einstigen Justizminister Brandstetter verraten zu haben. Das wird von allen Beteiligten bestritten.

Pilnaceks Verteidiger Rüdiger Schender äußerte sich auf Anfrage nicht. Die Presse hatte die Anzeige der WKStA gegen ihre Journalistin später selbst publikgemacht, was zu vielen empörten Reaktionen über das Vorgehen der WKStA führte. Die Behörde entschuldigte sich anschließend: Die Wahl des Mittels sei "nicht adäquat" gewesen. (Fabian Schmid, 23.9.2021)