Eltern, die am Erfolg einer mehrsprachigen Erziehung zweifeln, begegnen mir oft in meiner Arbeit. Und auch mich als Mutter beschäftigt manchmal der Gedanke. Eltern, die nicht deutschsprachig sind, die vor kurzem nach Österreich eingewandert sind, stellt sich diese Frage natürlich nicht. Hier haben sie eine Sprache, oder manchmal zwei, die ganz klar ihre starke Sprache ist, in der sie Geschichten erzählen, aus Kinderbüchern vorlesen, Schlaflieder singen und die alltägliche Kommunikation bewältigen.

Wie ist es aber bei der Mutter oder dem Vater, die selbst bilingual aufgewachsen sind? Ich bin zum Beispiel in einem meiner Elternseminare einem Vater begegnet, der selbst bilingual mit Deutsch und Portugiesisch aufgewachsen ist. Er ist in Österreich geboren. Seine gesamte Bildungslaufbahn hat er auf Deutsch absolviert. Zweifellos ist Deutsch seine Bildungssprache und die Sprache, in der er sich wohl und frei fühlt. Die Erstsprache seiner Frau ist Polnisch, Deutsch hat sie erst viel später als Erwachsene gelernt. Gemeinsam haben sie sich für eine bilinguale Erziehung ihrer Kinder entschieden, die dritte Sprache Portugiesisch hat der Vater jedoch nicht weitergeben. Es erschien ihm ein nicht zu bewältigender Aufwand zu sein. Ist in diesem Fall weniger mehr?

In manchen mehrsprachigen Familien gehen Sprachen gänzlich verloren. Sei es, weil die Eltern an sich zweifeln oder weil sie die Anstrengung nicht auf sich nehmen wollen. Wie zum Beispiel in der Familie eines dreijährigen Jungen, in der die Mutter deutschsprachig ist, der Vater bilingual mit Deutsch und Russisch. Der Vater sagte mir, dass er, wenn er nach der Arbeit müde nach Hause komme, sich nicht anstrengen möchte, mit seinem Sohn Russisch zu sprechen. Er empfindet die Bilingualität als zu aufwendig. Wie auch immer wir diese Entscheidung bewerten wollen, gelebte Bilingualität oder Mehrsprachigkeit erfordert viel Energie und das überzeugte Bekenntnis beider Elternteile zu ihr. Vielleicht wird das Kind sein plurales sprachliches und kulturelles Erbe zu einem späteren Zeitpunkt antreten, allerdings nicht mehr in der Qualität vollinhaltlich gelebter Muttersprachen.

Welchen Betrag leistet die Gesellschaft?

Diese Frage sollte uns auch beschäftigen, denn nach wie vor werden Sprachen gesellschaftlich ganz unterschiedlich bewertet. Während Bilingualität mit Englisch und Deutsch stets als großer Mehrwert betrachtet wird, sieht es mit den Sprachen, die zu den großen Migrationsgruppen unserer Gesellschaft gehören, anders aus. Sprachkompetenzen in Türkisch, Serbisch, Rumänisch und vielen weiteren Sprachen werden eher als unnötige Hürde angesehen, als Hindernis auf dem Weg zu einer guten Deutschkompetenz. Sogar Nachbarsprachen wie Slowakisch und Ungarisch, die im Übrigen als Minderheitensprachen in der österreichischen Verfassung verankert sind, werden eher als prestigelos angesehen.

Das führt zu Verunsicherung bei den Eltern, zur Vernachlässigung dieser Sprachen und endet nicht selten im Sprachverlust. Ein Familienschatz, der für immer verlorengeht. Hinzu kommt, dass das Bildungsministerium neuerlich Ressourcen für den Sprachunterricht, vor allem für die kleineren Sprachen, abgebaut hat, das heißt weniger Muttersprachunterricht, weniger nachbarsprachliche Angebote und so weiter. Dies sei besorgniserregend, meint dazu die Bildungs- und Sprachexpertin Karin Steiner, denn Österreich verspiele so sein Potenzial, sich als internationaler Standort zu positionieren, auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Chancen. Jede Sprache ist gleich viel wert, jede Sprache ist ein Gewinn, vor allem, wenn sie zu unserer Lebensgeschichte gehört.

Die Sprache weiterzugeben bedeutet einiges an Bemühungen. Gemeinsam zu lesen oder Radio oder Fernsehsendungen in der jeweiligen Sprache zu hören oder zu sehen hilft, die Sprachkompetenzen auszubauen.
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Die Bemühung um die eigene Sprache

Eine ganz andere Herangehensweise an die Herausforderung gelebter Mehrsprachigkeit zeigt das folgende Beispiel einer Mutter, deren Baby vor kurzem auf die Welt gekommen ist. Sie selbst ist Tochter einer Thai sprechenden Mutter und eines deutschsprachigen Vaters. Sie war sich von Anfang an des Aufwandes bewusst, Thai mit ihrem Kind zu sprechen, aber sie wollte diese Hürde meistern, damit die Familiensprache der Großmutter erhalten bleibt. Sie erzählte mir, wie ungewohnt es sich anfühlte, plötzlich den ganzen Tag Thai zu sprechen. Anfangs, sagte sie, fehlten ihr die Worte. Aber nach etwa einem Monat sei sie voll in die Sprache eingetaucht, und sie sei zur Normalität geworden. Wichtig erscheint mir bei der Geschichte dieser Mutter ihre klare Entscheidung. Außerdem berichtete sie mir, dass sie angefangen habe, sich um ihre eigenen Thai-Sprachkenntnisse zu bemühen. Man könnte sagen, sie und ihr Kind wachsen zusammen in dieser Sprache auf. Sie erwerben gemeinsam Neues.

Alle diese Entscheidungen werden individuell getroffen. Aber gibt es einen Parameter oder eine allgemeingültige Maßgabe für die Entscheidung zur kindlichen Spracherziehung in der eigenen Erstsprache? Ab wann ist das eigene Sprachniveau hierfür ausreichend oder nicht gut genug? Eine heikle Frage, denn die Kompetenzen in einer Sprache, mit der wir aufgewachsen sind, auch wenn es nicht unsere Bildungssprache ist, sind meist tief verankert. Wir haben eine muttersprachliche Basis aufgebaut. Leider ist der Erwerb einer Erstsprache im Migrationskontext nicht ausreichend erforscht und ist grundsätzlich ein schwierig zu bewältigender Forschungsgegenstand, weil die Ausgangssituationen so vielseitig sind. Dieser Meinung ist zum Beispiel die Sprachwissenschafterin Natalia Gagarina.

Sprache erleben

Die Sprachkompetenzen sind nicht in Stein gemeißelt, sie können sich verändern, oft in recht kurzen Zeitläufen. Mit anderen Worten, wir können beständig an unseren Sprachkompetenzen arbeiten, sie erweitern und vertiefen. Wir Eltern können in die Stärkung unserer schwächeren Sprache investieren und damit ein sehr wertvolles Vorbild für unser Kind sein.

Vor wenigen Wochen sind wir in das neue Schuljahr gestartet. Davor waren viele Familien im Urlaub. Einige sind vielleicht in ihren Herkunftsländern gewesen. So auch meine Familie. Wir haben einige Zeit in Bulgarien und in Spanien verbracht. Und ich war sehr dankbar, dass meine Kinder in ihre beiden Familiensprachen eintauchen konnten. Es ist durch nichts zu ersetzen, an einem lauen Sommerabend mit den gleichaltrigen Freunden zusammenzusitzen und sich in diesen Sprachen Geschichten zu erzählen, sich gegenseitig zu besuchen oder mit den Cousins und Cousinen ausgiebig zu spielen und zu diskutieren. Dabei lernen die Kinder weit mehr als nur neue Worte und Ausdrücke, sie erleben die Sprache, sie erleben, was sie alles mit ihren verschiedenen Sprachen bewirken können. In diesem Urlaub habe ich aber auch auf die Entwicklung meiner eigenen Mehrsprachigkeit geschaut. Man kann so viel tun, um sich selbst weiterzuentwickeln – sozusagen Urlaub als Sprach-Challenge.

Sprachreichtum statt Ängste

In der deutschsprachigen Umgebung verarmt unsere Erstsprache, zumindest fühlt es sich so an. Wir vergessen nicht, das Sprachrepertoire wird vielmehr vom Deutschen "verschüttet". Mit etwas gutem Willen und einigen Ideen kann man die eigenen Sprachkenntnisse wieder "ausbuddeln". Wir können Radio hören – mittlerweile ist das durch den Onlinezugang jederzeit möglich. Wir können online Zeitung lesen oder aktuelle Blogs. Wir können mit den Kindern lesen und schreiben üben und selbst viel vorlesen. Wir können in unserer Freizeit in der Erstsprache ein Buch lesen, wir können Filme ansehen, auch das ist mit den digitalen Angeboten möglich. Und wir können uns bemühen, Menschen zu treffen, mit denen wir diese Sprache anwenden. Wir können Spiele für die Kinder erfinden, die neu und dadurch spannend sind. Nach kurzer Zeit wird man die Veränderung bemerken, wichtig dabei ist das konsequente Durchhalten des eingeschlagenen Weges, wie bei jeder Form der mehrspaltigen Erziehung. In diesem Sinne: Feiern wir am Europäischen Tag der Sprachen am 26. September die Mehrsprachigkeit, und machen wir uns mit Schwung und Elan daran, diese an unsere Kinder weiterzugeben und ihnen damit eine weitere Lebenstür zu öffnen. (Zwetelina Ortega, 26.9.2021)