Die Schutzmaske: eine uralte Erfindung zur Pandemiebekämpfung. Viele heute gängige Maßnahmen fußen auf einstigen Seuchen.
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Nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie ist klar: Genauso wie früher wird es nicht mehr – mit allen negativen und positiven Folgen. Welche Errungenschaften wir vergangenen Pandemien zu verdanken haben, hat die Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer erforscht.

STANDARD: Seuchen verändern unsere Gesellschaft nachhaltig, wie man derzeit sehen kann. Sie haben in der Vergangenheit auch erheblich zu Innovationen im Gesundheitswesen und in der Stadtverwaltung beigetragen, wie Sie in Ihrem Buch "Pandemie sei Dank!" beschreiben. Wie weit blicken Sie denn zurück?

Angetter-Pfeiffer: Da ich mich primär auf Österreich konzentriere, beginne ich mit der Pest, weil das eine der längsten und nachhaltigsten Seuchen war. Die ersten Pestepidemien gab es im 14. Jahrhundert, erloschen ist die Pest in Wien 1713. Die Pest hat die ersten Stadthygienekonzepte hervorgebracht. Sehr viele Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Pest gesetzt wurden, sind auch in der aktuellen Corona-Pandemie gang und gäbe.

STANDARD: Welche Parallelen gibt es denn?

Angetter-Pfeiffer: Man wusste schon im Mittelalter, dass einerseits Hygiene, andererseits strikte Quarantäneregelungen sehr wichtige Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sind. Bei der Hygiene galten freilich noch andere Standards: Man sprühte zum Beispiel Wohnungen mit Parfum ein oder räucherte sie mit Wacholder aus. Man brannte ganze Dörfer ab oder verbrannte Gegenstände der Pestkranken. Es gab auch Lockdowns: Schulen, Universitäten und Badeanstalten wurden geschlossen, Messen durften, wenn überhaupt, nur im Freien abgehalten werden. Gasthäuser wurden in Epidemiezeiten geschlossen, man durfte nur durchs Fenster oder ab Hof verkaufen, die Leute mussten draußen essen. Es gab Vorschriften für Berufsgruppen, so wie wir es heute kennen. Barbiere bekamen etwa strikte Anweisungen, wie viele Kunden gleichzeitig ins Geschäft durften. Dazu kam, dass Handelslieferungen stark eingeschränkt waren. Das löste auch damals schon Hamsterkäufe aus. Es gab Straßensperren, die Strecke zwischen Wien und Salzburg wurde zeitweise überhaupt gesperrt, zwischen Wien und Graz musste man immer wieder Gesundheitskontrollen passieren. Man musste nachweisen, dass man aus einem Ort kommt, in dem in den letzten sechs Wochen kein Pestfall aufgetreten ist, um weiterreisen zu dürfen.

STANDARD: Seit wann werden Masken zur Pandemiebekämpfung eingesetzt?

Angetter-Pfeiffer: Masken gibt es in einer gewissen Art schon seit der Antike. Mit der Pest verbindet man Schnabelmasken, die waren aber hierzulande nicht State of the Art. Hier war es üblich, Tücher in Essig zu tauchen oder mit Kräutern zu füllen und vor den Mund zu halten. Sehr gerne haben die Leute auch die Tücher mit Aquavit beträufelt und zur innerlichen und äußerlichen Desinfektion verwendet. Im 14. Jahrhundert hat daher auch das Branntweingewerbe geboomt. Es gab außerdem das sogenannte Pestbier für die Kranken, als nahrhafte Medizin sozusagen.

"Es gab ständig Debatten über eine Impfpflicht", sagt die Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer.
Foto: ÖAW / Maren Jeleff

STANDARD: Welche bleibenden Errungenschaften brachte die Pest hervor?

Angetter-Pfeiffer: Bereits im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Straßenreinigung eingeführt. Es wurde angeordnet, dass die Häuser alle zwei Wochen gereinigt werden mussten, ebenso wie die Bereiche vor den Häusern. Zuvor landeten ja jegliche Abfälle auf den Straßen, neben toten Tieren und Exkrementen. Im 16. Jahrhundert entwickelte Wien infolge der Pest ein erstes Stadtgesundheitssystem, gewissermaßen eine Vorform des städtischen Gesundheitsamtes MA 15.

STANDARD: Eine der wichtigsten Innovationen war die Pockenimpfung. Wie hat sich die damalige Impfkampagne gestaltet?

Angetter-Pfeiffer: In Österreich war eine der Drahtzieherinnen der Impfkampagne Maria Theresia. Nachdem sie die Impfung an Waisenkindern testen ließ, wurde ein Zentrum am Rennweg errichtet, wo man sich gratis impfen lassen konnte. Die erste Massenimpfaktion fand dann 1800 in Brunn am Gebirge statt. Österreich hat nie eine wirkliche Impfpflicht eingeführt, außer für die Pockenimpfung, allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Davor gab es ständige Debatten darüber. Es hieß, Schulkinder müssen geimpft sein, es wurde aber auch kein ungeimpftes Kind abgewiesen. Aber für ein Stipendium an der Uni oder den Militärdienst brauchte man einen Impfnachweis. Auf der anderen Seite hat man auf Motivation gesetzt: Pfarrer wurden herangezogen, die von Haus zu Haus zogen. Sie räumten Bedenken aus und argumentierten gegen die Impfhasser – mit Erfolg. Hebammen wurden ersucht, Schwangere dazu zu bewegen, ihre Kinder impfen zu lassen. Es wurde sehr viel getan, um die Freiwilligkeit zu fördern.

Während des Ersten Weltkriegs wurden in der Impfgewinnungsanstalt in Wien mehr als 35 Millionen eines Pockenimpfstoffes für das Heer Österreich-Ungarns und die Bevölkerung produziert.
Foto: Daniela Angetter-Pfeiffer

STANDARD: Auch andere Infektionskrankheiten wie Cholera, Typhus, die Ruhr und die Spanische Grippe führten zu Innovationsschüben. Welche waren das?

Angetter-Pfeiffer: Neben modernen Konzepten wie Müllabfuhr und Verbesserungen der Kanalisation war es vor allem die Trinkwasserversorgung, die infolge der Choleraepidemie von 1831 – hervorgerufen durch das Donauhochwasser von 1830 – komplett erneuert wurde. Man glaubte lange, dass Cholera über die Luft übertragen wird. Erst als man sah, dass Quarantänemaßnahmen und Grenzschließungen nicht halfen, machte man sich Gedanken über die Wasserversorgung. Durch die vom Geologen Eduard Suess initiierte Errichtung der Wiener Hochquellwasserleitung 1873 sind die Cholera-, Typhus- und Ruhrfälle ganz stark zurückgegangen. Das war ein riesiges Sozialprojekt. Später haben die Erkenntnisse des Anatomen Julius Tandler über die Tuberkulose – nämlich dass es sich um eine Krankheit handelte, die sich vor allem durch die beengten Verhältnisse in den Arbeiterquartieren verbreitete – dazu geführt, dass Tröpferl- und Kinderfreibäder errichtet und der soziale Wohnbau eingeführt wurde.

Daniela Angetter-Pfeiffer: "Pandemie sei Dank! Was Seuchen in Österreich bewegten"
256 Seiten/25 Euro, Amalthea Verlag.
Foto: Amalthea Verlag

STANDARD: Inwieweit hat sich das medizinische Wissen in der Politik niedergeschlagen?

Angetter-Pfeiffer: 1913 wurde das Epidemiegesetz eingeführt, das bis 2020 in leicht modifizierter Form galt und erst jetzt massiv novelliert wurde. 1917 wurde das erste Volksgesundheitsministerium in Europa in Wien errichtet. Man hat erkannt, dass es ein Gesundheitsmanagement braucht, organisatorisch verantwortliche Stellen. Der erste Gesundheitsminister, Ivan Horbaczewski, war Professor für Medizinische Chemie an der Uni Prag. Während der Spanischen Grippe musste er sehr unpopuläre Maßnahmen treffen und geriet dadurch rasch ins Kreuzfeuer der Kritik, ähnlich wie Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Die beiden erlitten ein paralleles Schicksal.

STANDARD: Wie werden zukünftige Historikerinnen und Historiker die Corona-Pandemie einordnen?

Angetter-Pfeiffer: Ich glaube, dass Corona nahtlos anschließt an die vergangenen Pandemien. Was wir positiv mitnehmen können, ist nicht nur, dass wir nun verstärkt vom Wohnzimmer aus weltweit kommunizieren, es gibt auch ein ökonomisches und soziales Umdenken. Schon während der Pest haben Bauern die Felder von Pestkranken mitbestellt. Ich hoffe, dass das Bewusstsein für Solidarität auch nach der Pandemie bleibt. (Karin Krichmayr, 25.9.2021)