FPÖ-Chef Haimbuchner begegnete Kritik an seiner Lieblingslektüre mit dem Hinweis, sie sei nicht verboten, stehe auf keinem Index.

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Haben Sie ein Lieblingsbuch, einen Lieblingsautor jedweden Geschlechts? Bücher können spannend sein, aufschlussreich, einprägsam, anrührend, manche bleiben lange im Gedächtnis haften, doch all das macht sie noch nicht zum Lieblingsbuch. Wie Lieblingsspeisen müssen Lieblingsbücher alle Sinne ansprechen. Form und Inhalt überzeugen dermaßen, dass man am Ende gewiss sein kann, da reicht nichts heran, was ich je gelesen habe.

Ein solch beglückendes Leseerlebnis wurde FP-Spitzenkraft Manfred Haimbuchner zuteil, dem LH-Stellvertreter von Oberösterreich. Er bekannte sich zu Ernst von Salomon als Lieblingsautor und dessen Prosa Der Fragebogen als Lieblingsbuch. Das ist schon ein paar Jährchen her und löste bei Kommentatoren Befremden aus, aber abseits eines Stakkatos biografischer Schlaglichter Salomons, wenn ich nicht irre, keine ausführlichere Betrachtung des Werkes selbst. Die möchte ich hier nachtragen.

Schneidige Rechtfertigungsprosa

Haimbuchners Lieblingsbuch hat einen massiv präsenten Helden, nämlich seinen Lieblingsautor. Auf 670 dicht beschriebenen Seiten arbeitet dieser nach 1945 den umfangreichen Fragebogen der alliierten deutschen Militärregierung mit einer Mischung aus Anekdoten, ausufernden Reflexionen und Polemiken ab.

Mehrere Hunderttausend verkaufte Exemplare belegen, das bei Rowohlt erschienene Buch traf einen Nerv der Zeit. Weit davon entfernt, die Hitlerherrschaft in Bausch und Bogen zu verurteilen, ermöglichte die gekonnt geschriebene, schneidige Rechtfertigungsprosa einem vorwiegend rechtsgepolten Lesepublikum doch eine gewisse Distanzierung von deren scheußlichsten Merkmalen.

Dabei war Haimbuchners Lieblingsautor in seiner Jugend selbst alles andere als zimperlich. Als Mitverschwörer einer für viele Schandtaten verantwortlichen antidemokratischen Rechts-außen-Organisation war er u. a. 1922 an der Ermordung des jüdischen deutschen Außenministers Walther Rathenau aktiv beteiligt, wofür er fünf Jahre im Zuchthaus saß. Seine Freikorps- und Verschwörerzeit beschäftigte ihn in Prosa- und Filmarbeiten, noch im 1951 erschienenen Fragebogen spielt die Welt dieser gewalttätigen Feinde der Weimarer Republik eine zentrale Rolle.

Zeitsprünge

Der rote Faden des Buchs nötigt Salomon zu Zeitsprüngen. Ich greife einen heraus. Den Zweiten Weltkrieg verbringt er, meist in Luxushotels, als Drehbuchautor im gehätschelten Bavaria- und UFA-Biotop. Seine als Ehefrau getarnte Partnerin Ille und er "unterlagen den kleinen Belästigungen des Krieges nicht": "Wir fraßen und soffen wie die Kapitalisten. (...) Ich bekenne, dass ich kein einziges Mal dabei an die vielen Zeitgenossen dachte, die zur gleichen Zeit in den Konzentrationslagern saßen."

Wie Salomon beklagt Heinrich Hoffmann, Hitlers Lieblingsfotograf und früher Gefolgsmann, zentrale Gestalt des NS-Kunstraubs und des Verkaufs von Spitzenwerken entarteter Kunst ins Ausland, gegen Ende einer Propagandafilm-Premierenfeier im Jänner 1942 den Mangel an exquisiten Rotweinen und lädt etliche Darbende spontan in seine Villa ein, wo man sich mitten im Völkerringen dann aber doch lieber an französischem Champagner delektiert.

Salomon betont, erst im Laufe des Zusammenseins sei ihm aufgegangen, um wen es sich bei dem als Professor titulierten Gastgeber handelte. Und er betont, Ille gefragt zu haben: "Wer ist Eva Braun?", als sie ihm zuraunte, wie die selbstsichere Dame heiße, mit der sich Hoffmann schon bei der Party auffällig intensiv beschäftigt hatte. Salomon seinerseits hatte einen guten Offiziersfreund dabei, einen Mann mit einem "klaren, ernsten und anständigen Knabenkopf", bewährt im Spanischen Bürgerkrieg als von Hitler gesandter Kampfpilot.

Es ging aufgeräumt zu, lässt der Autor wissen, Ille verbrachte schöne Stunden just auf dem Sessel, den der Führer bei seinen Besuchen im Hause Hoffmann stets vorzog. Mit dem Hausherrn bewunderte der Autor u. a. dessen 14 Spitzwegs und den echten Breughel, wenig begeistert zeigte er sich von Hitlers bildnerischen Arbeiten.

Vier Seiten später dreht Salomon die Uhr ins Jahr 1938 zurück. Es ist November, und der wie so oft Unbedarfte mutmaßt, ein Betrunkener müsse in die zersplitterte Auslage einer Weinhandlung getorkelt sein, als er hinter seinem Rücken Krachen und Klirren vernimmt und bestürzt gewahr wird, da werfen Leute mit Steinen die Glasfronten des Cafés ein.

Später, als ihnen die Pogromnacht dämmert, verliert Ille, eine von ihm geschützte Jüdin, die Nerven, weil ihr Klingelknopf den Namen Salomon trägt, obwohl Ernst arisch bis ins x-te Glied ist. Sie wirft ihm vor, von Anfang an dabei gewesen zu sein, was der zuerst energisch bestreitet, dann aber zugibt. Dass es so weit kommen konnte, habe er aber nicht gewollt.

Zerknirschung

An anderer Stelle gibt er ein Telefonat wörtlich wieder, das er am selben Tag führte: "Das Entsetzliche ist, daß niemand ‚den Juden‘ helfen kann, weil jede Hilfe sie noch mehr gefährdet. Das Entsetzliche ist, daß wir uns selber nicht helfen können, daß viel mehr noch als den Juden uns geschieht." Als er etwa einer alten jüdischen Dame zu einem Sitzplatz in der Tramway verhelfen wollte, habe sie sich gewehrt, ihn "mit unverhülltem Haß" angeblickt und sei an der nächsten Haltstelle ausgestiegen, ohne ihr Ziel erreicht zu haben, weil sie sich vor dem Schaffner fürchtete.

Ernst von Salomon wiegt 1950 tatsächlich seine Nöte rund um die "Kristallnacht" gegen das Leid, den Tod jüdischer Mitmenschen auf und kommt zum Schluss, ihm sei damals noch viel mehr geschehen als den Juden. Seine Zerknirschung hindert ihn freilich nicht, später mit Leuten wie Hoffmann, die von den Arisierungen persönlich profitierten, Champagner zu trinken, geraubte Kunstschätze zu bestaunen und die KZs zu vergessen.

Mit einschlägigen Filmen wie Menschen ohne Vaterland oder Carl Peters stellte Salomon sich gern in den Dienst der NS-Propaganda. Das Geld für die logistisch aufwendige Ermordung Rathenaus, enthüllt der Autor feixend, stamme aus einem von ihm begangenen Betrug als Wechselstubenangestellter am Frankfurter Hauptbahnhof. Schweizer Fans, in Sonderzügen zum Ländermatch gegen Deutschland angereist, hätten ihre Franken eingetauscht, die er angeblich mit den französischen verwechselt habe.

So blieb eine Menge Zaster übrig, kein Schweizer habe den Irrtum bemerkt. Antisemitismus sei aber nicht das Motiv für die Ermordung des Ministers gewesen: "Tatsächlich war Rathenau ja der einzige Jude, der von uns ermordet wurde." Er sei vielmehr als Symbol der Erfüllungspolitik gegenüber den Alliierten gestorben.

Der rechte Narrensaum

Schlagende Burschenschaften charakterisiert der Autor so: "es ging munter gegeneinander mit ‚in die Kanne‘ und ‚komme nach‘ und ‚ad exercitium salamandri‘, wobei die Trinkgefäße auf dem Tisch gerieben, geklopft und geschüttelt wurden, – und es herrschte eine große Lust und Fröhlichkeit, und zuerst wurde von Tisch zu Tisch geflachst (...), und wer gestern noch mit den andern durch die Wälder streifte, das Gewehr im Anschlag und Schulter an Schulter, (...) der wurde heute offiziell: ‚Mein Herr, Sie haben mich fixiert!‘ und ‚Werde Ihr unkommentmäßiges Verhalten gebührend einzuschätzen wissen!‘ (...) Worte schwirrten wie ‚Schläger‘ und ‚schwere Säbel‘ und: ‚Sie haben mich beleidigt!‘ und ‚Darf ich Sie aufs Klo bitten!‘"

Als Kritik dürfen solche Schilderungen aber nicht missverstanden werden: "Ich fand den ehrwürdigen Brauch, sich gegenseitig von Zeit zu Zeit mit scharfgeschliffenen Instrumenten die Backen aufzuschlitzen, so entsetzlich nicht."

Wenn Burschenschafter Haimbuchner zugesteht, es gebe einen gewissen rechten Narrensaum in der FPÖ, erinnert das an ein Wort, das Salomon "seinem" Kapitän Ehrhardt, dem Chef der nationalen Mord-Organisation Consul, in den Mund legt, der 1922 kurz nach Rathenaus Tod die völkischen Vereine der "Rasseraßler", darunter die Hitlerei, als "Narrensaum der Bewegung" bezeichnet. Mehrmals betont der Salomon von 1950, 80 Prozent der Deutschen seien gegen die Nazis gewesen – wie er.

FPÖ-Chef Haimbuchner begegnete Kritik an seiner Lieblingslektüre mit dem Hinweis, sie sei nicht verboten, stehe auf keinem Index. Das ist nicht der Punkt. Ich habe Der Fragebogen selbst mit Gewinn gelesen und hielte es für absurd, das Buch zu verbieten. Nur würde ich nie jemandem bei einer Wahl meine Stimme geben können, der dieses Werk und seinen Autor als Lieblinge bezeichnet. (Ludwig Laher, ALBUM, 25.9.2021)