Seit einem halben Jahrhundert und 24 Filmen begleitet uns der Mann im Smoking mit der Walther PPK. Er hat den Zeitgeist geprägt und seit seinem ersten filmischen Auftritt in Dr. No 1962 der Zeitgeist ihn. Was hat da also seinen Anfang genommen, auf Dr. Nos geheimnisvoller Insel in der Nähe von Jamaika, mit Sean Connery und Ursula Andress mit zwei Muscheln in der Hand?

Daniel Craig, seit 16 Jahren auf die Rolle des James Bond abonniert. Jetzt geht er in 007-Pension – eine weibliche Nachfolgerin kann er sich nicht vorstellen.
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Zuerst einmal der größte Image-Boost für Geheimdienstarbeit überhaupt: Die besten Spionageromane stammen bekanntlich von jenen, die selbst eine Weile "für die britische Regierung im Ausland gearbeitet haben". Das beweisen uns neben Bond-Erfinder Ian Fleming auch John le Carré und Graham Greene. Doch nur Ersterer überhöhte die Spionagearbeit (nämlich auch: Warterei und Todesangst) zu Coolness, Action, Sex und Martini. Durch die Verfilmungen zementierte sich "die Legende einer britischen Spionage-Effizienz, die bis heute besteht", so der österreichische Geheimdienstexperte Thomas Riegler in The Spy Story Behind The Third Man. Angeblich sah sich auch der russische Geheimdienst gerne Bond-Filme an, um abschätzen zu können, woran der britische Geheimdienst gerade so bastelte. Das Interesse von Produzent Albert R. Broccoli an aktuellen technischen Entwicklungen war amtsbekannt, nicht alle von Qs Erfindungen aus der Luft gegriffen.Bond als selbsterfüllende Prophezeiung, also? Noch heute sind die Filme Lifestyle-Ziel to end all Lifestyle-Ziele, und sei es nur architektonisch: Menschen mit viel Geld, wie beispielsweise Rapper Lil Wayne, gönnen sich ein Haifischbecken, selbst wenn sie darin vermutlich keine unliebsamen Verräter entsorgen wie weiland Bond-Superschurken. Auch Andreas Gabalier hat ein Haus gebaut, das im Bond-Stil gehalten ist.

Haifischbecken in der Villa

"Evil People in Modernist Homes in Popular Films" heißt die Ausgabe einer Architekturzeitschrift, die sich u. a. mit den legendären Rückzugsorten von Bond-Fieslingen befasste. Leben wie Scaramanga, Ernst Stavro Blofeld und Emilio Largo? Wer will das nicht! Der Filmarchitekt vieler dieser herrlich größenwahnsinnigen Bauten vom Krater bis zur Raumstation, Ken Adams, kam übrigens 1921 als Klaus Hugo Adam in Berlin zur Welt, seine jüdischen Eltern emigrierten 1934 nach England (ja, auch das ist James Bond). Uns, die wir uns Unterwasservilla, Insel und Haifischbecken nicht leisten können, selten in mondänen Kasinos sitzen und in deren Zügen nie Wodka-Martinis serviert werden, bleibt immer noch, Lampen von Verner Panton, oft in Bond-Filmen zu sehen, auf Willhaben zu suchen. Auch Connerys babyblauer Frottee-Einteiler aus Dr. No war erst kürzlich wieder um teures Geld im Handel erhältlich, falls jemand Lebenslagen dafür einfallen.

Knallharte Action – die Bond-Filme und -Bücher von Ian Fleming vermittelten ein Bild vom britischen Agentendasein, das sogar fremde Geheimdienste beeindruckte.
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Doch das Phänomen Bond ist mehr als ein teurer Flohmarkt. Die Filme sind ein technisches Museum der Ideen, vom explosiven Aston Martin bis zum zusammenbaubaren Hubschrauber im Koffer (Little Nellie!) und dem schwimmenden Lotus Esprit S1. Der sich sofort einstellende Erfolg der Filmreihe resultierte in atemberaubenden Budgets, so sind die Filme ein filmhistorischer Beleg dafür, was man sich je nach Jahrzehnt in Sachen Action mit Geld kaufen konnte und auch welche Art von Product-Placement (die 1990er-Jahre! Bond im BMW!).

Bond-Filme sind ein Museum vergangener Luxus-Urlaubsdestinationen genauso wie von Kolonialgeschichte. Davon, wer als Bösewicht galt auf dieser Welt und wer als Held. Und mit Frauenrollennamen wie "Pussy Galore", zu Deutsch in etwa "massenweise Muschi", oder "Xenia Onatop" (ist beim Sex gern oben) natürlich auch von Rollenbildern. Ein Museum rassistischer Darstellungen, aber auch von zahlreichen nicht weiß besetzten Rollen. Und wenn man sich dafür interessiert, sind die Filme auch ein Museum der Filmsynchronisation. So mancher Umtata-Sexismus kracht in der BRD-Synchro noch lauter als im Original. Bond ist eine Art Verhandlungsbasis, eine Chiffre. Und nein, das hat nichts mit seinen sechs Darstellern zu tun: Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und Daniel Craig.

Wann ist ein Bond ein Bond?

Denn so gern die Frage "Connery oder Moore?" auch diskutiert wird, in Wahrheit geht es dabei selten ums Schauspielen. Die Frage ist: Wann ist ein Bond ein Bond? Was sind das für Vorstellungen vom Mannsein? Und welche davon gehören ins Museum? Ganz ehrlich, wäre das noch scharf heute, lange nach der Nachkriegszeit, ein Typ, der im Bett postkoital Lage und Jahrgang des Jahrgangschampagners runterbetet? Immer "Geschüttelt, nicht gerührt" sagt bei der Bestellung seines Drinks? Sich ständig an Mitarbeiterinnen ranmacht? Na ja.

Beim erneuten Reinkippen in alte Bond-Filme bleibt wenig Interpretationsspielraum beim Thema "Ist das noch ein Flirt oder schon ein Übergriff?". Man zuckt 2021 zusammen bei den Dialogen. Wenn Bond mit einer Frau schläft, die das nicht will (dafür gibt es auch ein Wort). Auch, was spannend ist, hat sich verändert: der frühe Versuch, mit George Lazenby schon 1969 einen handfesteren Zugang zum Agentensein reinzubringen, beispielsweise. Der vielgeschmähte Timothy Dalton (1987 und 1989), gar nicht schlecht. Der Trottel-Sexismus der Brosnan-Bonds der 1990er-Jahre ist aus heutiger Perspektive teils noch unerträglicher als jener der 60er- und 70er-Jahre, vielleicht auch, weil ihm die Ausrede "Es ist so lange her" fehlt. Vermutlich bekommt jede Zeit den Bond, den sie verdient. Immerhin hat 1995 eine ganz andere Revolution stattgefunden: Dame Judi Dench übernahm die Rolle von M und hielt als Bonds Chefin mit ihrer Meinung über das "Relikt" nie hinter dem Berg. Diesmal war die Welt dem Bond-Universum ein paar Jahre voraus: 1992 war Stella Rimington MI5-Chefin geworden, weltweit als erste Geheimdienstchefin überhaupt (ja, sie schreibt auch Spionagethriller, und ja, sie sieht aus wie Judi Dench im Film).

Irony killed the movie star

In Der Morgen stirbt nie (1997) wird M von einem Admiral erklärt: "Bei allem Respekt, M, manchmal denke ich, Sie haben nicht die Eier für diesen Job." Sie antwortet: "Der Vorteil ist, ich denke nicht ununterbrochen mit ihnen." In der deutschen Synchro-Version fehlt dem Wortwechsel die eigentliche Pointe.

Roger Moore in "In tödlicher Mission"
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Die britische Pop-Granate Robbie Williams schenkte sich selbst 1998 im Video zu Millennium seinen eigenen Bond-Auftritt, mit Code "700" (hey, verkehrt rum!) auf der Jausenbox, sexy Frauen in engen Kostümen, hochgezogener Augenbraue und gescheitertem Raketenstart. Bond charmant verblödelt, aber "made in England, Pinewood Studios".

Weniger charmant verblödelte sich der "richtige" Bond dann 2002 (Stirb an einem anderen Tag) mit einem unsichtbaren Auto und einem Eispalast. Realismus mag eine fragwürdige Forderung an einen filmischen Geheimagenten sein, aber bei all dem teuren Krach war aus der potenziellen Identifikationsfigur Bond die Luft draußen. Irony killed the movie star.

Ursula Andress und Sean Connery in "Dr. No"
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Nichtsdestoweniger brach medial die Hölle los, als im Herbst 2005 bekanntgegeben wurde, dass ab sofort Daniel Craig die Hauptrolle spielen würde. Ein blonder muskulöser Bond! Darf das sein? Doch die Revolution von Casino Royale lag tatsächlich anderswo: Da war ein Bond, der in türkiser Badehose aus dem Meer steigend seinen Job als filmische erotische Traumerfüllung offen thematisierte, dem Töten nur mittelviel Spaß machte und der auch noch – huch! – zärtlich war. In Casino Royale setzt sich Bond nach einer tödlichen Schießerei im von Vesper Lynd (Eva Green) ausgesuchten Tom-Ford-Smoking wortlos zur verängstigten Frau unter die Dusche und dreht das Wasser wärmer. Er nützt die Situation nicht aus, um bei ihr im Bett zu landen. Dass das 2006 im Kino noch eine angenehme Überraschung darstellte, erzählt auch etwas über den Zustand der Welt.

Eine andere Revolution fand ebenfalls fast im Vorübergehen statt, und zwar in Skyfall: Javier Bardem in der Rolle von Bösewicht Raoul Silva öffnet dem gefesselten Bond das Hemd, streichelt zärtlich Schussnarbe, Schlüsselbein und seine Oberschenkel und sagt: "Es gibt für alles ein erstes Mal." "Warum glauben Sie, das ist mein erstes Mal?", antworte Bond ungerührt. Ein Bond, der schon einmal Sex mit einem Mann hatte? Ja, das geht. Seit 2012.

Alles ein wenig komplexer

Die Figur James Bond muss sich verändern, zwangsläufig. Daniel Craig selbst hat das erkannt. Er war es, der Fleabag-Autorin Phoebe Waller-Bridge für das Drehbuch von Keine Zeit zu sterben zusätzlich an Bord holte (bereits bei Dr. No schrieb übrigens eine Frau mit, Johanna Harwood, sie arbeitete auch an Liebesgrüße aus Moskau).

Noch heute sind die Bond-Filme Lifestyle-Ziel: Rapper bauen sich Villen mit Haibecken, reiche Kids investieren in futuristische Flitzer.
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Warum also regt sie also immer noch so auf, die gar nicht so neue Frage nach einem weiblichen Bond, einem schwarzen Bond, einem – Gott bewahre! -weiblichen schwarzen Bond? Nach einer Regisseurin? Es geht wie immer um Besitzansprüche und Deutungshoheiten. Erstaunlich viele Gefühle gibt es da für eine Filmfigur, aber kein Wunder, nur wenige davon durchleben mit uns ein halbes Jahrhundert Menschheitsgeschichte. Wollen wir sie teilen? Wenn ja, mit wem? Überhaupt: Wem gehört James Bond? Bösewichte und ihre Motive sind anders geartet als vor 50 Jahren, das gilt für echte und erfundene. Die politische Welt ist komplexer geworden (Judi Dench, laut fluchend in Casino Royale: "Christ, I miss the Cold War!"). Heldinnen und Helden ebenfalls. Die Frage ist weniger: Hält James Bond das aus? Sondern: Tun wir das? Das filmische Männer- und Menschenmuseum der Zukunft wird es uns zeigen. (Julia Pühringer, 26.09.2021)